In der umfangreichen ägyptischen Sammlung des Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim befindet sich ein gebrannter Tonziegel mit der Darstellung des Totengottes Osiris, ein sogenannter Kornosiris, auch „sprossender Osiris“, aus der Spätzeit, 6./5. Jahrhundert v. Chr. (Inventarnummer: PM 4550).

Die Herkunft des Objektes ist unbekannt. Der Ägyptologe Hans Kayser, der von 1945 bis 1974 Direktor des Roemer- und Pelizaeus-Museum war, erwarb den Kornosiris um 1960 für das Museum.

Der Kornosiris ist 6 cm hoch, 21,5 cm lang und 10,5 cm breit, etwas kleiner als die Ziegelsteine der heutigen Zeit.

Beschreibung und Erhaltungszustand

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Auf der Oberseite des gebrannten Tonziegels ist stark versenkt das Umrissbild des Totengottes Osiris in der Seitenansicht dargestellt. Osiris schaut nach rechts und trägt die für ihn typische Atefkrone mit den beiden Straußenfedern. In seinen Händen hält er die Insignien seiner Herrschaft im Totenreich, Krummstab und Flagellum. Sein Körper ist wie üblich bis auf Kopf und Arme eng eingehüllt wie eine Mumie dargestellt. Anlässlich der Bestattungsriten spielte der Kornosiris eine wichtige Rolle. Für die Bestattungsriten wurde der Hohlraum mit einer Mischung aus Erde und Getreidekörnern gefüllt, die anschließend befeuchtet wurde, so dass die Saat keimen konnte. Diese Vorgehensweise verkörpert den Charakter des Osiris als Vegetations- und Fruchtbarkeitsgott und garantierte dem Verstorbenen in analoger Weise die erhoffte Regeneration, seine Wiedergeburt. Wenngleich derartig gestaltete Ziegel erst in der Spätzeit auftauchten, lässt sich die grundsätzliche Sitte bis in das Neue Reich zurückverfolgen. In einigen Königs- und Privatgräbern der 18. Dynastie wurden osirisförmige, lebensgroße Holzkästen gefunden, die – den Kornmumien vergleichbar – wie eine Mumie in Stoffbinden eingewickelt waren. Im Grab des Tutanchamun fand sich in der Schatzkammer in einer großen Kiste ebenfalls ein Kornosiris, der vollständig umwickelt war.[1] Vermutlich fanden die Kornosiris-Ziegel auch im Rahmen der Kultfeste für Osiris Verwendung.

Ein literarischer Beleg, der die im „Kornosiris“ verborgene Analogie zwischen Säen und Gedeihen des Korns und der Bestattung und Auferstehung des Menschen in formelhaft verkürzter Form zum Ausdruck bringt, findet sich in den Sargtexten IV.169. „Ich lebe, ich sterbe, ich bin die Gerste, nicht vergehe ich!“ Das heißt, dass Korn, das in die Erde gesenkt wird, im Dunklen in der Unterwelt lebt und als neues Korn wächst und aufersteht.

Literatur

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  • Hans Kayser: Die ägyptischen Altertümer im Roemer-Pelizaeus-Museum in Hildesheim (= Pelizaeus-Museum. Band 8). Gerstenberg, Hildesheim 1973, ISBN 3-8067-8002-1, S. 104.
  • Arne Eggebrecht (Hrsg.), Bettina Schmitz, Rainer Hannig, Regine Schulz, Matthias Seidel: Suche nach Unsterblichkeit (= Katalog-Handbuch, Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim. Katalognummer T28). von Zabern, Mainz 1990, ISBN 3-8053-1292-X.
  • Wilfried Seipel (Hrsg.): Ägypten: Götter, Gräber und die Kunst; 4000 Jahre Jenseitsglaube. Band 1 (= Kataloge des Oberösterreichischen Landesmuseums. Neue Folge, Nr. 22,1). Oberösterreichisches Landesmuseum, Linz 1989, ISBN 3-900746-14-1, S. 154.
  • Wolfgang Helck, Eberhard Otto, Rosemarie Drenkhahn (Hrsg.): Kleines Lexikon der Ägyptologie. Harrassowitz, Wiesbaden 1999, ISBN 3-447-04027-0, S. 214.
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Einzelnachweise

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  1. The Griffith Institute: Tutankhamun: Anatomy of an Excavation. The Howard Carter Archives: Black oblong box containing germinating figure of Osiris. Auf: griffith.ox.ac.uk; abgerufen am 27. April 2016 (englisch).