Zenzl Mühsam

Anarchistin, Ehefrau von Erich Mühsam
(Weitergeleitet von Kreszentia Mühsam)

Zenzl Mühsam, auch Creszentia Mühsam, geboren als Kreszentia Elfinger (* 27. Juli 1884 in Haslach bei Au in der Hallertau; † 10. März 1962 in Ost-Berlin), war eine deutsche Anarchistin. Sie war an den Kämpfen um die Münchner Räterepublik an der Seite ihres Mannes Erich Mühsam beteiligt.

Gedenktafel am Haus, Binzstraße 17, in Berlin-Pankow (2024)

Leben und Wirken

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Zenzl Mühsam war das fünfte Kind der Holledauer Gastwirte und Hopfenbauern Creszentia und Augustin Elfinger. Sie wuchs mit fünf Brüdern und einer Schwester auf und erhielt die damals auf dem Land übliche einfache Schulbildung. Als sie acht Jahre alt war, starb ihre Mutter.[1]

Anfang des 20. Jahrhunderts trat sie in München eine Stelle als Dienstmädchen an. Sie wechselte häufig ihren Arbeitsplatz, was damals sehr ungewöhnlich war. Mit 17 Jahren bekam sie einen Sohn.[1] Um weiterarbeiten zu können, gab die ledige Frau das Kind ihrer Mutter zur Pflege.[2]

Sie bewegte sich in der Münchner Kunstszene und lernte dort den Anarchisten Erich Mühsam kennen, eine wichtige Figur der Münchner Bohème. Am 15. September 1915 heirateten die beiden. Die Ehe mit Mühsam blieb kinderlos.

1918 war Erich Mühsam einer der führenden Köpfe der Münchner Räterepublik, auch Zenzl Mühsam war daran beteiligt. Nach deren Niederschlagung saß ihr Mann in Festungshaft. Zenzl Mühsam versorgte ihn mit Essen, Kleidern und Literatur, kritisierte die Haftbedingungen und setzte sich für eine Amnestie der Räterevolutionäre ein. Sie war Mitgründerin der Roten Hilfe Deutschlands, hielt Vorträge und sammelte Geld für die politische Sache.[1]

In den Zwanzigerjahren zogen Zenzl und Erich Mühsam nach Berlin. Im März 1933 wurde Erich Mühsam im Konzentrationslager Oranienburg interniert, seine Frau konnte ihn nicht retten. Nach seiner Ermordung im Juli 1934 drohte der Anarchistin Zenzl Mühsam die Verhaftung durch die Gestapo. Am 16. Juli, dem Tage seiner Beerdigung, flüchtete sie nach Prag. Dabei half ihr die amerikanische Journalistin Dorothy Thompson. Als sie von dort versuchte, Erichs Tagebücher oder anderes veröffentlichen zu lassen, fand sich kein Verleger. Auch ihre Freundin Meta Kraus-Fessel konnte ihr nicht helfen. In Prag litt sie an Depressionen. Nur von der ihr persönlich bekannten Jelena Stassowa, der Vorsitzenden der MOPR, kamen wiederholte Einladungen. Ihre Freunde warnten sie vor der Hilfe der Kommunisten. Da erhielt sie die Versprechung, dass man sich in Moskau um das Werk Mühsams als eines Nazi-Opfers kümmern würde. Am 8. August 1935 reiste sie für drei Monate nach Moskau, nachdem sie in Prag ein Versprechen der Moskauer „Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter“ erhalten hatte, einen ersten Band mit Gedichten Mühsams zu veröffentlichen.[3]

Doch Mühsam geriet in die Kämpfe zwischen Anarchisten und Kommunisten. Gegenüber ihrem verstorbenen Mann herrschte eine misstrauische Haltung, weil er die kommunistischen Funktionäre kritisiert hatte. Am 23. April 1936 wurde sie in Moskau unter dem von der Geheimpolizei frei erfundenen Vorwurf der „konterrevolutionären trotzkistischen Tätigkeit“ bezichtigt. Sie wurde verhaftet und in der Moskauer Lubjanka inhaftiert. Es folgten Änderungen der Anklagepunkte, Freilassung unter Aufenthaltsverbot für Moskau und Leningrad und eine erneute Verhaftung im November 1938 mit einer Verurteilung gemäß Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR am 11. September 1939 wegen „Zugehörigkeit zu einer konterrevolutionären Organisation und wegen konterrevolutionärer Agitation“ zu acht Jahren Arbeitslager. Diese Strafe verbüßte sie im Lager Potma in der Mordwinischen Republik. Im November 1946 entließ man sie, verhinderte aber ihre Heimreise nach Deutschland und setzte sie völlig mittellos in einen Zug nach Nowosibirsk. 1949 wurde sie erneut inhaftiert und „auf ewig“ in das Dorf Ust-Tarka in der Oblast Nowosibirsk verbannt, wo sie in einer Lehmhütte leben musste.[1]

Erst 1954 kam sie frei, nach dem Tod von Stalin. Sie wollte zurück in ihre bayerische Heimat, durfte aber nur in die DDR ausreisen, wo sie die letzten acht Lebensjahre verbrachte. Bis dahin hatte sie fast 20 Jahre in sowjetischen Straflagern und Verbannung verbracht. In Ostberlin erhielt sie eine Ehrenrente, die Verdienstmedaille der DDR, den Vaterländischen Verdienstorden und eine kleine Wohnung. Sie musste sich jedoch verpflichten, über ihre Zeit in der Sowjetunion zu schweigen.[1]

1962 starb Zenzl Mühsam im Alter von 77 Jahren in Ost-Berlin an Lungenkrebs.[4]

Ehrungen und Auszeichnungen

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1959 wurde Zenzl Mühsam anlässlich ihres 75. Geburtstages mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber ausgezeichnet.[5]

Sie erhielt ein Ehrengrab in der Grabanlage „Pergolenweg“ des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde. Nach dem Ende der DDR wurde ihre Urne im Herbst 1992 in das Ehrengrab Erich Mühsams auf dem Waldfriedhof Dahlem übergeführt – veranlasst durch Rationalisierungsmaßnahmen der Friedhofsverwaltung und die Auffassung des Berliner Senats, „dass nur die Teilung der Stadt eine gemeinsame Grabstätte bis dato verhindert hatte“. Der Grabstein auf dem Zentralfriedhof existiert weiter (Stand 2021).

Im Januar 2020 wurde in München-Neuperlach eine Straße nach ihr benannt.[6][7] Ein Saal im Erdgeschoss der Seidlvilla am Nikolaiplatz wurde ebenfalls nach ihr benannt.[8]

Schriften (Auswahl)

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  • Uschi Otten, Chris Hirte (Hrsg.): Zenzl Mühsam: Eine Auswahl aus ihren Briefen. Erich-Mühsam-Gesellschaft, Lübeck 1995, ISBN 3-931079-11-2.
  • Der Leidensweg Erich Mühsams. Mit einem Vorwort von Werner Hirsch. Mopr-Verlag, Zürich 1935, DNB 992708826.

Rezeption

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Literatur

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  • Michaela Karl: Zenzl Mühsam: Die unbeugsame Witwe. In: Bayerische Amazonen – 12 Porträts. Pustet, Regensburg 2004, ISBN 3-7917-1868-1, S. 96–115.
  • Uschi Otten: „Den Tagen, die kommen, gewachsen zu sein“. Zur Lebensgeschichte der Kreszentia Mühsam. In: Der Bär von Berlin. Jahrbuch 2001 des Vereins für die Geschichte Berlins. Westkreuz-Verlag, Berlin 2001, ISSN 0522-0033.[9]
  • Uschi Otten: Überleben für das Werk Erich Mühsams. Zenzl Mühsam in der Falle des Exils. In: Simone Barck, Anneke de Rudder; Beate Schmeichel-Falkenberg (Hrsg.): Jahrhundertschicksale – Frauen im sowjetischen Exil. Lukas Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-931836-93-2, S. 128–141.
  • Reinhard Müller: Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung. Hamburger Edition, Hamburg 2001, ISBN 3-930908-71-9, S. 241–286, 377–428.
  • Frauen um Erich Mühsam – Zenzl Mühsam und Franziska zu Reventlow. Sechste Erich-Mühsam-Tagung in Malente, 12.–14. Mai 1995. Bearbeitet von Jürgen-Wolfgang Goette. Erich-Mühsam-Gesellschaft, Lübeck 1995, ISBN 3-931079-13-9.
  • Christoph Hamann: Die Mühsams – Geschichte einer Familie (= Jüdische Memoiren, Bd. 11). Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-938485-00-0.
  • Claudia Teibler: Zenzl Mühsam. 1884–1962. In: Dies.: Die bayerischen Suffragetten. Luitpold-Frauen, Kultur-Wirtinnen, Selbständige und Künstlerinnen. Elisabeth Sandmann, München 2022, ISBN 978-3-949582-09-7, S. 55–58.
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Commons: Zenzl Mühsam – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d e Francesca Polistina: Kreszentia Elfinger: Die rebellische Frau an der Seite von Erich Mühsam. 7. März 2024, abgerufen am 13. März 2024.
  2. Wolfgang Görl: Zenzl Mühsam: Die Frau des Schriftstellers Erich Mühsam im Porträt. In: Süddeutsche Zeitung. 24. April 2022, abgerufen am 29. März 2024.
  3. Reinhard Müller: Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung. Hamburger Edition, Hamburg 2001, ISBN 3-930908-71-9. Abschnitt Von Prag nach Moskau, S. 147–168.
  4. Den Tagen, die da kommen gewachsen sein ( Zenzl Mühsam). Abgerufen am 3. August 2024.
  5. Neues Deutschland, 13. August 1959, S. 2
  6. Straßenneubenennung Zenzl-Mühsam-Straße. Stadt München Kommunalreferat Geodaten, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. Februar 2020; abgerufen am 10. Dezember 2020.
  7. Jakob Wetzel: München: Warum kaum Straßen nach Frauen benannt sind. In: Süddeutsche Zeitung. 3. Juli 2020, abgerufen am 10. Dezember 2020.
  8. SEIDLVILLA e. V. / Räume. Abgerufen am 3. August 2024.
  9. Jakob Wetzel: München: Warum kaum Straßen nach Frauen benannt sind. 3. Juli 2020, archiviert vom Original; abgerufen am 3. August 2024.