Latwerge

Saftzubereitung mit Honig
(Weitergeleitet von Leckmittel)

Die Latwerge (auch Elektuarium, lateinisch Electuarium, deutsch auch Leckmittel) ist eine eingedickte Saft-Honig-Zubereitung von dick-zähflüssiger Konsistenz und fand als haltbare Arzneiform besonders in der Medizin des Mittelalters Verwendung.

Zubereitung und Geschichte

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Latwergen enthalten als Arzneimischung in Form eines steifen Breis oder Teigs zur oralen Einnahme neben den verschiedenen Arzneidrogen als Konservierungsmittel Honig. In der Volkssprache des 19. und 20. Jahrhunderts steht Latwerge (von mittelhochdeutsch Latwarje, mit dialektalen Formen wie Latwäre und ähnlich) hingegen oft für Süßspeisen von latwergenähnlicher Konsistenz wie Pflaumenmus[1] oder anderes Fruchtmus oder für sirupartig eingekochten Saft von Früchten,[2] ja sogar für (ältere Formen der) Marmelade („Quetschmarmelade“).[3]

Das Wort, mittelhochdeutsch latwārje, latwērje u. ä., kommt von lateinisch ēlect(u)ārium, das seinerseits von griechisch ἐκλεικτόν ekleiktón ‘(weiche) Arznei (Leckmittel)’, wörtlich: „was aufgeleckt wird“, stammt[4] und auf Griechisch leíchein „lecken, auflecken“ zurückgeht.

Es handelte sich ursprünglich um ein aufzuleckendes Drogenpulver, dem zur Geschmacksverbesserung Honig zugefügt wurde. Der Honig wird seit dem Mittelalter hierbei als Konservierungsmittel eingesetzt.[5][6] Später fand auch Zuckersirup Verwendung.[7] Bisweilen haben Leckmittel, bestehend aus Pulvern und weichen oder flüssigen Komponenten (Sirup, Honig oder Mus), eine dem Mus ähnliche Konsistenz.[8] Eine sehr dünnflüssige Latwerge wurde als Linctus (Lecksaft) bezeichnet und entsprach der antiken Arzneiform eclegma. Eine gebräuchliche Latwerge war der Theriak, eine weitere Latwerge der mittelalterlichen Pharmazie die Rosenblättersaftlatwerge electuarium de succo rosarum,[9] die (etwa nach der Vorschrift des Antidotarium Nicolai[10]) aus Rosensaft, getrocknetem Purgierwindensaft, Sandelhölzern, Knochenasche, Kampfer und Zucker hergestellt wurde.[11] Hinzu kamen bis in die Neuzeit eine Vielzahl mit Dia-[12] bezeichnete Latwergen wie Diacitoniton (Quittenlatwerge), Diagentiana (Enzianlatwerge, Gelben Enzian enthaltend) oder Diamargariton (Perlenlatwerge)[13] sowie als Hiera („heilig“), auch Yera, bezeichnete Latwergen wie Hiera fortissima Galeni, Hiera logadion, Hiera picra Abbatis, Hiera picra Constantini, die am meisten gebrauchte Hiera picra Galieni (von griechisch pikros „bitter“)[14] und Hiera Rufi[15] bzw. Hiera Rufini.[16] In früheren Apotheken wurde eine als Tryphera persica bezeichnete persische Latwerge angeboten.[17]

Latwergen finden sich unter anderem[18] bei Marcellus Empiricus (4.–5. Jahrhundert), im Lorscher Arzneibuch (um 795), im fünften Buch von Avicennas Kanon der Medizin (um 1030), im Antidotarium Nicolai (11. Jahrhundert), bei Hildegard von Bingen († 1179) und im als erstes bekanntes Apothekerbuch bzw. Apotheker-Lehrbuch[19] geltenden Compendium aromatariorum des italienischen Arztes Saladin von Ascoli (Bologna, 1488[20])[8][21] sowie bei dem durch al-Kindī[22] beeinflussten Wundarzt oder Laienarzt Albert Birchtel (Ende des 15. Jahrhunderts).[23][24] Die, nach einer älteren Rezeptur namens Electuarium Karoli so genannte Kaiser-Karl-Latwerge[25][26][27] die unter anderem bei Heiserkeit eingesetzt wurde, war eine im Mittelalter in vielen Arzneibüchern verbreitete Rezeptur.[28][29][30] In der Klosterheilkunde werden Latwergen auch heute noch verwendet.[31] Weitere, häufig in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Medizin angewandte Latwergen, deren Wirkung meist auf einer „Reinigung“ von überschüssigen bzw. verdorbenen Körpersäften im humoralpathologischen Sinne[32] angesehen wurde, waren die abführend wirkende, aus der Salerner Tradition stammende Heilig-Bitter-Latwerge (Hiera picra)[33] und das auch im Antidotarium Nicolai[34] aufgeführte, seinem angeblichen Erfinder, dem am Hof von Herzog Roger Borsa, Sohn des Robert Guiskard, lebenden Abbas Curiae, gewidmete[35][36] Electuarium ducis, die gegen Harnsteinleiden eingesetzte „Herzogslatwerge“ (die gemäß dem Circa instans auch durch eine ebenso wirksame Latwergenzubereitung aus der Zwergföhre ersetzt werden konnte).[37] Eine Art Electuarium war gemäß Zekert auch die Michleta bzw. Micleta (lateinisch für „erprobte Arznei“).[38]

Siehe auch

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Literatur

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  • Dietlinde Goltz: Mittelalterliche Pharmazie und Medizin, dargestellt an Geschichte und Inhalt des Antidotarium Nicolai. Mit einem Nachdruck der Druckfassung von 1471. Stuttgart (1977) 1976 (= Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Neue Folge, Band 44), S. 161–170.
  • Franz-Josef Kuhlen: Elektuarien. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 3. Artemis & Winkler, München/Zürich 1986, ISBN 3-7608-8903-4, Sp. 1798.
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Wiktionary: Latwerge – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Latwerge. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 12: L, M – (VI). S. Hirzel, Leipzig 1885 (woerterbuchnetz.de).
  2. Latwäri. In: Schweizerisches Idiotikon, Band III, Spalte 1486 (Latwäri).
  3. Vgl. Sprachatlas der deutschen Schweiz, Band V, Karte 191 sowie Christoph Landolt: Konfitüre – einst und heute. «Wortgeschichte» vom 26. Oktober 2016, hrsg. von der Redaktion des Schweizerischen Idiotikons.
  4. Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin/Boston 2011, S. 561. Vergleiche ferner Rudolph Weinberger: Latwerge/Electuarium. In: Arznei-Verordnungslehre und vollständiges Recept-Taschenbuch. Wien 1857, S. 70 (google.de/books). Latwerge. In: Wahrig Lexikon, Fremdwörterlexikon und Herkunftswörterbuch. wissen.de, abgerufen am 10. Juni 2014.
  5. Erika Hickel: Arzneimittel in Apotheke und Haushalt des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Joachim Telle (Hrsg.): Pharmazie und der gemeine Mann. Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek Nr. 36. Wolfenbüttel 1982, ISBN 978-3-88373-032-5, S. 21–26, hier: S. 22.
  6. Peter Schantz: Weißdorn und Herzgespann. Medizinhistorische Untersuchungen zur europäischen Tradition dieser Arzneipflanzen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Kassel 2009. S. 46.
  7. Willem Frans Daems: Arzneiformen. In: Lexikon des Mittelalters. München/Zürich 1978 ff., hier: Band 1 (1980), Sp. 1094 f.
  8. a b Annette Geuther: Naturwissenschaftler in ihrer Zeit: Justus von Liebig (1803–1873) und Hildegard von Bingen (1098–1179). Gießen 2004, S. 31.
  9. Vgl. etwa Wouter S. van den Berg (Hrsg.): Eene Middelnederlandsche vertaling van het Antidotarium Nicolaï (Ms. 15624–15641, Kon. Bibl. te Brussel) met den latijnschen tekst der eerste gedrukte uitgave van het Antidotarium Nicolaï. Hrsg. von Sophie J. van den Berg, N. V. Boekhandel en Drukkerij E. J. Brill, Leiden 1917, S. 60–63.
  10. Vgl. Carolus Clusius: Antidotarium sive De exacta componendorum miscendorumque medicamentorum ratione libri tres […]. Antwerpen (Christopher Plantin) 1561; Neudruck, hrsg. von Leo Jules Vandewiele und Dirk Arnold Wittop Koning, Gent 1972 (= Opera pharmaceutica rariora. Band 3), Blatt 77.
  11. Werner Dressendörfer: Spätmittelalterliche Arzneitaxen des Münchner Stadtarztes Sigmund Gotzkircher aus dem Grazer Codex 311. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des süddeutschen Apothekenwesens. Königshausen & Neumann, Würzburg 1978 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 15), S. 217 und 294.
  12. Vgl. Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 141 („Dia... Bedeutet: mit einer Droge hergestellt, zum Beispiel: Dia-calamenthum“).
  13. Jörg Mildenberger: Anton Trutmanns 'Arzneibuch', Teil II: Wörterbuch. Königshausen & Neumann, Würzburg 1997 (= Würzburger medizinische Forschungen. Band 56), ISBN 3-8260-1398-0, S. 443–453.
  14. Vgl. auch Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 144 (Hiera: Gegengift).
  15. Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 153 (Rufus Menius aus Ephesus, überliefert durch Oribasius).
  16. Wouter S. van den Berg (Hrsg.): Eene Middelnederlandsche vertaling van het Antidotarium Nicolaï (Ms. 15624–15641, Kon. Bibl. te Brussel) met den latijnschen tekst der eerste gedrukte uitgave van het Antidotarium Nicolaï. Hrsg. von Sophie J. van den Berg, N. V. Boekhandel en Drukkerij E. J. Brill, Leiden 1917, S. 217 f. (Yera […].)
  17. Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 158.
  18. Thomas Sänger, Christian Tenner: Ein Beipackzettel zu einer Pestlatwerge aus dem 15. Jahrhundert. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 2, 1984, S. 19–28.
  19. Ulrich Stoll: Kräuter-Sammel-Kalender. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 787 f., hier: S. 787.
  20. Otto Beßler: Prinzipien der Drogenkunde im Mittelalter. Aussage und Inhalt des Circa instans und Mainzer Gart. Mathematisch-naturwissenschaftliche Habilitationsschrift, Halle an der Saale 1959, S. 103.
  21. Bernward Notker Zorn: Wirkung und Anwendung von Hyssopus officinalis L. – eine medizinhistorische Studie. Würzburg 2012, S. 46.
  22. Alfred Siggel: Al-Kindī’s Schrift über die zusammengesetzten Heilmittel. In: Sudhoffs Archiv Band 37, 1953, S. 389–393.
  23. Gerhard Eis: Albert Birchtels Traktat von den sechszehn Latwergen. In: Medizingeschichte in unserer Zeit. Festschrift Edith Heischkel-Artelt und Walter Artelt. Hrsg. von Hans-Heinz Eulner u. a., Stuttgart 1971, S. 111–117; auch in: Gerhard Eis: Medizinische Fachprose des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Amsterdam 1982 (= Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, 48), S. 130–136.
  24. Wolfgang Wegner: Birchtel, Albert. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 183 f.
  25. Gundolf Keil: Ein Rezept mit dem Namen Karls des Großen. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Band 81, 1962, S. 329–337.
  26. Gundolf Keil: Kaiser Karls Latwerge. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 714.
  27. Gundolf Keil: Das Krebs-Pulver-Rezept für Karl den Großen. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 3, 1985, S. 243–255, hier: S. 245–247.
  28. Gerhard Eis: König Karls Latwerge. In: Korrespondenzblätter des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, Band 59, 1952, S. 41 f.
  29. Hans Wiswe: König Karls Latwerge. In: Korrespondenzblätter des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Band 68, 1961, S. 62 f.
  30. Hartmut Broszinski: Kaiser Karls Latwerge. In: Verfasserlexikon. 2. Auflage. Band 4, Sp. 944 f.; vgl. auch Hartmut Broszinski: Zwei Rezepte mit dem Namen König Karls. In: Medizinische Monatsschrift. Band 29, 1975, S. 397–401.
  31. Bittere Medizin aus Wein und Honig. (Memento vom 13. Januar 2014 im Webarchiv archive.today) auf echo-online.de, 27. Juli 2010.
  32. Vgl. etwa Volker Zimmermann: Die Heidelberger Arzneibücher Ysack Leujs. Beiträge jüdischer Ärzte zur Heilkunde des Mittelalters. Franz Steiner, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-515-12174-3, S. 62 f. („Tritt die kalte Feuchte in den Nieren und im Genitalbereich auf, so wird im achten Rezept eine Latwerge zur Reinigung empfohlen: […]“).
  33. Gundolf Keil: „blutken – bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 18.
  34. Wouter S. van den Berg (Hrsg.): Eene Middelnederlandsche vertaling van het Antidotarium Nicolaï (Ms. 15624–15641, Kon. Bibl. te Brussel) met den latijnschen tekst der eerste gedrukte uitgave van het Antidotarium Nicolaï. Hrsg. von Sophie J. van den Berg, N. V. Boekhandel en Drukkerij E. J. Brill, Leiden 1917, S. 64–67.
  35. Paul Diepgen (Hrsg.): Gualteri Agilonis Summa medicinalis, nach den Münchener Cod. lat. Nr. 325 und 13124 erstmalig ediert mit einer vergleichenden Betrachtung älterer medizinischer Kompendien des Mittelalters. Leipzig 1911, S. 63.
  36. Wortliste zum Antidotarium Nicolai.
  37. Konrad Goehl: Beobachtungen und Ergänzungen zum ‘Circa instans’. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015 (2016), S. 69–77, hier: S. 71.
  38. Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. 1938, S. 147.