Leo Armenius ist ein erstmals 1650 unter dem vollen Titel Ein Fürsten=Mörderisches / Trawer=Spiel / genant. Leo Armenius publiziertes, höchstwahrscheinlich bereits 1646 entstandenes Trauerspiel des deutschen Barockdichters Andreas Gryphius. Das Drama erlebte allein im 17. Jahrhundert mehrere Auflagen unter leicht abgewandeltem Titel, so etwa 1657 in den gesammelten Werken Gryphius’ und in der Ausgabe letzter Hand von 1663 jeweils als Leo Armenius / Oder Fürsten-Mord.

Daten
Titel: Leo Armenius / Oder Fürsten-Mord
Gattung: Trauerspiel
Originalsprache: deutsch
Autor: Andreas Gryphius
Erscheinungsjahr: 1650
Ort und Zeit der Handlung: Konstantinopel,

23./24. Dezember 820

Personen
  • Leo Armenius (»Keyser von Constantinopel«)
  • Theodosia (»Keyserlichs Gemahl«)
  • Michael Balbus (»Oberster Feldhauptman«)
  • Exabolius (»Deß Keysers geheimester«)
  • Nicander (»Hauptman über die Leibwache«)
  • Phronesis (»Auffseherin vber das Keyserliche Frawenzimmer«)
  • Tarasius (»Geist deß Patriarchen von Constantinopel«)
  • Die Richter
  • »Die Zusammen Geschwornen vnder welchen der von Crambe«
  • Papias
  • Die Trabanten
  • Der Oberste Priester
  • »Ein Botte«
  • Jamblichus (»Ein Zauberer«)
  • »Ein Diener dessen von Crambe«
  • »Der Höllische Geist«
  • »Ein Wächter«
  • »Ein Trommeten Bläser«
  • »Die Reyen der Hofe Leute / Jungfrawen / vnd Priester.«

Stumme Personen:

  • »Der Keyserin Kammer Jungfrawen«
  • »Deß Keysers Leibdiener«
  • »Die Nachrichter«
  • »Ein Knabe welcher dem Zauberer auffwartet«
  • »Ein Gespenste in gestalt Michaels / welches nebenst Tarasii Geist dem Keyser erscheinet«

Handlung und Quellen

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Das Trauerspiel Leo Armenius („der Armenier“) verarbeitet primär gestützt auf historiographische Darstellungen bei Georgios Kedrenos und Johannes Zonaras[1], den Sturz des byzantinischen Kaisers Leo V.,,[2] der am Weihnachtsmorgen des Jahres 820 von einer Rotte »Zusammen Geschworne[r]« unter Führung seines Obersten Feldhauptmanns Michael Balbus am Altar ermordet wird.

I. Abhandlung

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Einsetzend am »Mittag vor dem heiligen Christtage« beginnt das Drama nach einer kurzen Exposition, die das Ansinnen der Verschwörer, die Ermordung Leos, wie auch ihre (Schein-)Legitimation anhand eines – wie sich im Fortgang der Handlung herausstellt – höchst mehrdeutigen Löwen-Orakels[3], vorführt, mit einem vom Kaiser initiierten taktischen Manöver, einer Art Gesinnungstest, der Michaels Loyalität ein letztes Mal auf die Probe zu stellen sucht: Obwohl Leo den Verrat seines Feldhauptmanns bereits wittert, ja handfeste Indizien dessen verschwörerische Aktivitäten hinreichend zu beglaubigen scheinen, weigert er sich dennoch (nicht zuletzt aus Angst vor politischen Unruhen), diesen voreilig gefangen zu setzen. In einem längeren Gespräch (4. Eingang) mit dem kaiserlichen Berater Exabolius schließlich, in das letzterer Michael auf kaiserliches Geheiß hin verwickelt, gesteht dieser – sich in Sicherheit wähnend – mehr oder weniger unverhohlen seine Anschlagspläne, woraufhin er augenblicklich von den hinter einem Vorhang schon bereitstehenden kaiserlichen Wachen gefangen genommen wird.

II. und III. Abhandlung

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Nachdem gegen Mitte der II. Abhandlung über Michael Balbus das Urteil erging, »daß er mit fuß vnd hand / Gefässelt an den Paal werd offentlich verbrand« (II, 333-34), erwirkt die kaiserliche Gemahlin Theodosia, buchstäblich in letzter Minute, eine folgenreiche Aufschiebung dieser Hinrichtung: »Bedenckt den hohen tag der alle welt erfrewt […] Wol’t jhr mit mord befleckt zu JESUS taffel gehn?« (II, 499–501) Widerstrebend nur gewährt Leo Theodosias Bitte, sein eigenes Schicksal vorausahnend (»Man richtet feinde hin die bey Altären stehn.« [II, 502]), und belässt Michael in der – wie er meint – sicheren Verwahrung der Kerkerhaft, bewacht von seinem vermeintlich treu ergebenen Diener Papias.

Die Frage, wer hier tatsächlich Herr, wer Knecht, wer Tyrann und wer Gefangener ist, überführt die III. Abhandlung in ein beeindruckendes Vexierspiel: Von einer unheilverkündenden Geistererscheinung aus schweren Träumen geweckt, schleicht Leo des Nachts in Michaels Zelle hinab, findet diesen aber zu seinem Schrecken und wider Erwarten nicht in Ketten vor, sondern stattdessen in »Purpur vnd Scarlat / Vorhang / Tappett vnd Binden / Gestückt mit reichem gold / der Himmel mit gestein / Durch höchste Kunst besetzt / jhn hüll’te Purpur ein!« (III, 232-34); den zur Wache bestellten Papias friedlich schlummernd zu Michaels Füßen. Ob dieses himmelschreienden Verrats sozusagen ›im eigenen Haus‹ endgültig resignierend, lässt Leo Armenius, seinen eigenen Tod, gleichsam unfähig, ihn zu verhindern, abermals ankündigend (»diß ist die letz’te nacht / Die unß der Himmel gönn’t« [III, 265-66]), für den Rest des Trauerspiels den Schauplatz hinter sich, um erst als Leiche in den Berichten des »Bothen« und des Obersten Priesters (V. Abhandlung, 1. Eingang) neuerlich Präsenz zu gewinnen.

IV. und V. Abhandlung

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Von dem paradoxerweise in Gefangenschaft frei handelnden Michael durch eine List verständigt, planen die Verschwörer in der IV. Abhandlung – sich teilweise deutenden Rat beim Schwarzmagier Jamblichus einholend (vgl. hier auch die Parallelen zum Löwenorakel der I. Abhandlung) – die finalen Schritte ihres Komplotts: die Ermordung Leos wie die Befreiung Michaels. Als Priester verkleidet erdolchen sie Leo am Altar der Weihnachtsmesse, der seinerseits im Dahinscheiden das Kreuz, welches durch die Vorrede an den Leser mithin sogar als das ›echte Kreuz‹, »an welchem vnser Erlöser sich geopffert«, ausgewiesen wird, ergreift und somit zumindest pro forma die eigene Märtyrerrolle suggeriert. Hart an der Grenze zur Blasphemie[4] schließt die in ihrer religiösen Sprengkraft und zeichentheoretischen Komplexität ungeheuer provokante Todesszene mit der materialiter vollzogenen Einswerdung von Tyrann und Erlöser in der Mischung beider Blut:

»Wie man die Leich vmbriß / wie man durch jedes glied
Die stumpfen Dolchen zwang / wie JESUS letzte gaben /
Sein thewres fleisch vnd blutt / die matten Seelen laben /
Die ein verschmachtend Hertz in letzter angst erfrischt
Mit Keyserlichem Blutt / (O grewell) sind vermischt.«
(V, 166–170)

Literaturhistorischer Standort

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Es handelt sich beim Leo Armenius nicht allein um das erste eigenständige Trauerspiel des Dichters Gryphius, sondern zudem um das erste deutsche Drama überhaupt, das die für das 17. Jahrhundert (und zum Teil noch darüber hinaus) normsetzenden poetologischen Vorgaben Martin Opitz’ mustergültig umsetzt. Damit »repräsentiert das Stück einen entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklung des Barockdramas und zugleich der deutschen Dramengeschichte«[5] – eine Sonderstellung, die die programmatische Vorrede an den Leser zum Teil selbst reflektiert, da sie den Leo Armenius einerseits selbstbewusst an den Anfang einer ganzen Werkgruppe positioniert, andererseits deren poetologisches Substrat in der unmittelbaren Verquickung historischer Realität (Dreißigjähriger Krieg) und metaphysischer Seins-Auslegung (Vanitas) expliziert:

»Indem vnser gantzes Vatterland sich nuhmehr in seine eigene Aschen verscharret / vnd in einen Schawplatz der Eitelkeit verwandelt; bin ich geflissen dir die vergänglichkeit menschlicher sachen in gegenwertigem / vnd etlich folgenden Trawerspielen vorzustellen. Nicht zwar / weil ich nicht etwas anders vnd dir vielleicht angenehmers vnter händen habe: sondern weil mir noch dieses Mal etwas anders vorzubringen so wenig geliebet / alß erlaubet.«

Trotz seiner unumstritten markanten Stellung innerhalb der deutschen Dramengeschichte, gab und gibt der Leo Armenius seinen Interpreten immer wieder Rätsel auf, die sich nicht selten in ästhetischen Werturteilen niederschlagen, wie sie divergenter kaum sein könnten: Für die einen ein Trauerspiel, dessen »künstlerisches Niveau« Gryphius »nie wieder [hat] erreichen«[6] können, verleitete er andere Philologen gar zu bemühten Entschuldigungsversuchen, die die mutmaßliche Inhomogenität und die scheinbar unglückliche Wahl des Stoffes, den noch nicht voll ausgereiften künstlerischen Fertigkeiten des Dichters zuschrieben wollten, sie als ›typische‹ Mängel eines ›Erstlingswerks‹ zu rationalisieren trachteten[7]. Wenigstens teilweise resultiert diese ›evaluative Unsicherheit‹ höchstwahrscheinlich aus der gattungstypologischen Indifferenz des Stückes, das mit Elementen und Strukturmomenten des Märtyrerdramas zwar spielt, jedoch als ganzes durchaus kein Märtyrerdrama ist, sich vielmehr als »hermeneutisches Chamäleon«[8] entpuppt.

Ausgaben (Auswahl)

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  • Andreas Gryphius: Teutsche Reim-Gedichte. Darin: Ein Fürsten-Mörderisches Trawer-Spiel/ genant Leo Armenius. Frankfurt (Main) 1650 (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)
  • Andreas Gryphius: Freuden- und Trauer-Spiele auch Oden und Sonnette. Breslau 1663 (Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek)
  • Andreas Gryphius: Werke in drei Bänden mit Ergänzungsband, Band 2, Darmstadt 1961 (zeno.org)
  • Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, Band V. Trauerspiele II. Herausgegeben von Marian Szyrocki und Hugh Powell. Niemeyer (= Neudrucke deutscher Literaturwerke, Bd. 14), Tübingen 1965
  • Andreas Gryphius: Leo Armenius. Trauerspiel. Herausgegeben von Peter Rusterholz. Reclam (= Reclam-Universalbibliothek, Bd. 7960), Stuttgart 1971
  • Andreas Gryphius: Leo Armenius, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1996, ISBN 3-15-007960-8 (Gutenberg-DE)

Literatur

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  • Wilfried Barner: Gryphius und die Macht der Rede. Zum ersten Reyen des Trauerspiels Leo Armenius. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 42,1968, S. 325–358.
  • Peter J. Burgard: König der Doppeldeutigkeit. Gryphius’ „Leo Armenius“. In: Peter J. Burgard (Hrsg.): Barock. Neue Sichtweisen einer Epoche. Wien: Böhlau, 2001, S. 121–141.
  • Karl-Heinz Habersetzer: Zum Löwen-Orakel in Andreas Gryphius’ Leo Armenius. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 5, 1978, S. 186 f.
  • Gerhard Kaiser: Leo Armenius, Oder Fürsten=Mord. In: Gerhard Kaiser (Hrsg.): Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen. Stuttgart, 1968, S. 3–34.
  • Nicola Kaminski: Andreas Gryphius. Reclam (= Reclam-Universalbibliothek, Bd. 17610), Stuttgart 1998, ISBN 3-15-017610-7
  • Nicola Kaminski: Martyrogenese als theatrales Ereignis. Des Leo Armenius theaterhermeneutischer Kommentar zu Gryphius' Märtyrerdramen. In: Daphnis 28 (1999), S. 613–630.
  • Eberhard Mannack: Andreas Gryphius. Metzler. 2. Aufl. (= Sammlung Metzler, Bd. 76), Stuttgart 1986, ISBN 3-476-12076-7
  • Peter Schäublin: Andreas Gryphius’ erstes Trauerspiel Leo Armenius und die Bibel. In: Daphnis 3, 1974, S. 1–40.
  • Marie S. South: Leo Armenius oder die Häresie des Andreas Gryphius. Überlegungen zur figuralen Parallelstruktur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 94, 1975, S. 161–183.
  • Harald Steinhagen: Wirklichkeit und Handeln im barocken Drama. Historisch-ästhetische Studien zum Trauerspiel des Andreas Gryphius. Niemeyer, Tübingen 1977, ISBN 3-484-18046-3
  • Gerhard F. Strasser: Andreas Gryphius’ Leo Armenius. An Emblematic Interpretation. In: Germanic Review 51, 1976, S. 5–12.
  • Gerhard F. Strasser: Zum Löwen-Orakel in Andreas Gryphius’ Leo Armenius. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 5, 1978, S. 187 f.
  • Marian Szyrocki: Andreas Gryphius. Sein Leben und Werk. Tübingen: Niemeyer 1964.

Einzelnachweise

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  1. „Beilage“ in: Gryphius, Andreas (1971): Leo Armenius. Trauerspiel. Herausgegeben von Peter Rusterholz. Stuttgart: Reclam (= Reclam-Universalbibliothek, Bd. 7960), S. 115–121. Deutsche Übersetzung in Auszügen bei South, Marie S. (1975): Leo Armenius oder die Häresie des Andreas Gryphius. Überlegungen zur figuralen Parallelstruktur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 94, S. 161–183.
  2. Der Sieger trägt das Kreuz. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 8. Juni 2019.
  3. vgl. z. B. Strasser, Gerhard F. (1976): Andreas Gryphius’ Leo Armenius. An Emblematic Interpretation. In: Germanic Review 51, S. 5–12 oder Kaminski, Nicola (1998): Andreas Gryphius. Stuttgart: Reclam (= Reclam-Universalbibliothek, Bd. 17610), S. 84–89
  4. South, Marie S. (1975): Leo Armenius oder die Häresie des Andreas Gryphius. Überlegungen zur figuralen Parallelstruktur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 94, S. 161–183.
  5. Wilfried Barner: Gryphius und die Macht der Rede. Zum ersten Reyen des Trauerspiels Leo Armenius. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 42,1968, S. 325.
  6. Szyrocki, Marian: Andreas Gryphius. Sein Leben und Werk. Tübingen: Niemeyer 1964, S. 85.
  7. vgl. z. B. Clemens Heselhaus: Gryphius. Catharina von Georgien. In: Benno von Wiese (Hrsg.): Das deutsche Drama. Vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen. 2 Bände. Düsseldorf 1962, Band 1, S. 36.
  8. Kaminski, Nicola: Martyrogenese als theatrales Ereignis. Des Leo Armenius theaterhermeneutischer Kommentar zu Gryphius’ Märtyrerdramen. In: Daphnis 28 (1999), S. 614.