Luftstreitkräfte der Nationalen Volksarmee

Teilstreitkraft der DDR

Die Luftstreitkräfte der Nationalen Volksarmee (LSK), seit Vereinigung der Teilstreitkräfte Luftstreitkräfte und Luftverteidigung unter einem gemeinsamen Kommando offiziell Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/LV) genannt, waren neben den Landstreitkräften (LaSK) und der Volksmarine (VM) eine Teilstreitkraft (TSK) der Nationale Volksarmee (NVA) der DDR.

Luftstreitkräfte der Nationalen Volksarmee


Hoheitszeichen ab 1973
Aktiv 1. März 1956[1] bis 2. Oktober 1990
Staat DDR
Streitkräfte Nationale Volksarmee
Typ Teilstreitkraft
Gliederung Kommando LSK/LV

3 Divisionen

Stärke 20.808 Soldaten[2] davon
  • 6.555 Offiziere
  • 5.517 Unteroffiziere
  • 8.736 Grundwehrdienstleistende

8.013 Zivilangestellte

HQ Kdo. LSK/LV Barnim-Kaserne Strausberg
Leitung
letzter BH GenLtn R. Berger
letzter Stabschef Oberst i. G. S. Wünsche

Geschichte

Bearbeiten
 
Antonow An-2 der LSK/LV

Die Wurzeln der Luftstreitkräfte der DDR liegen in der Zeit vor der Gründung der Nationalen Volksarmee. Das Ziel war, eine strukturelle Grundlage und eine Basis für den Aufbau der Expertise, die für den Einsatz und den Betrieb von Luftstreitkräften erforderlich ist, zu erhalten. Hierfür wurde 1951 zunächst unter dem Ministerium des Innern/Kasernierte Volkspolizei (MdI/KVP) der Stab der Volkspolizei-Luft (VP-Luft) in Berlin-Johannisthal aufgestellt. Dieser führte die 1. Fliegerdivision mit drei Regimentern.[3] Die Ausbildung erfolgte ab 1953 an Luftfahrzeugen der Typen An-2, MiG-15, La-9, Jak-18 und Jak-11, die durch die Sowjetunion zur Verfügung gestellt wurden,[3] wobei die fünf erhaltenen La-9 nur für die Ausbildung am Boden genutzt wurden. Jedoch bereits ab Anfang 1952 wurde insgeheim mit der Ausbildung des zukünftigen Bodenpersonals und der Piloten im sogenannten Lehrgang X begonnen.

Ende November 1953 erfolgte die Neuaufstellung als Stab der Verwaltung der zunächst Aeroklubs genannten Einheiten in Cottbus und der Wechsel der Unterstellung vom MdI direkt unter den Stellvertreter des Ministers und Chef der Kasernierten Volkspolizei. Die Fliegerregimenter wurden in die Aeroklubs 1 (Cottbus), 2 (Drewitz) und 3 (Bautzen) umstrukturiert, die ihrerseits in zwei Abteilungen untergliedert waren. Ab 1954 standen zusätzliche Flugzeuge Z-126 und M-1D aus tschechoslowakischer Produktion zur Verfügung.[3]

Am 1. März 1956 wurden die Luftstreitkräfte als Bestandteil der Nationalen Volksarmee offiziell gegründet. Zunächst gingen aus der Verwaltung der Aeroklubs nach sowjetischem Muster die Verwaltungen Luftstreitkräfte (LSK) in Cottbus und Luftverteidigung (LV) in Strausberg (Eggersdorf) hervor. Beabsichtigt war die Unterstellung von drei Jagdfliegerdivisionen, einer Schlachtfliegerdivision und einer Flak-Division; aufgestellt wurden letztlich jedoch nur die 1. und 3. Fliegerdivision und die 1. Flak-Division.[4] Am 1. Juni 1957 erfolgte eine Zusammenlegung beider Verwaltungen in Strausberg (Eggersdorf) und die Umbenennung in Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (Kdo. LSK/LV).

 
MiG-21M der LSK/LV der NVA

1961 wurden unter diesem Kommando durch Zusammenführung der fliegenden Verbände und der Flugabwehrraketenverbände sowie der Funktechnischen Truppen zwei Luftverteidigungsdivisionen aufgebaut. Im selben Jahr erfolgte die Einbindung erster Verbände in die integrierte Luftverteidigung des Warschauer Paktes, dem Diensthabenden System (DHS). Mit der Einführung der MiG-21 ab 1962 erhielt die NVA ein vielfältig einsetzbares Luftfahrzeug, das bis 1990 zum Einsatz kam.[5]

Ab den 1970er Jahren wurde der gesamte Luftraum der DDR vom Fürstenwalder Bunker Fuchsbau aus überwacht. Beginnend 1971 baute die NVA mit dem Jagdbombenfliegergeschwader 31 den ersten Verband auf, der im direkten Zusammenwirken mit den Landstreitkräften eingesetzt werden konnte. Aufgrund von Forderungen des Vereinten Kommandos der Bündnisstreitkräfte nach weiteren fliegenden Verbänden zur Unterstützung der Bodentruppen folgte später der Aufbau eines weiteren Jagdbombenfliegergeschwaders und ab 1975 zweier Kampfhubschraubergeschwader.[6] Zu deren Führung – ihre Einsatzgrundsätze unterschieden sich grundlegend von denen der defensiven Luftverteidigung – wurde 1981 am Standort des Kdo LSK/LV das Führungsorgan der Front- und Armeefliegerkräfte (FO FAFK) als Stab einer weiteren Division aufgestellt. Ihm wurden unter anderem auch die Verbindungsflieger- und Lufttransportverbände unterstellt. Nach Ausgliederung der beiden Kampfhubschraubergeschwader 57 und 67 unter das Kommando der Landstreitkräfte wurde das FO FAFK 1984 in das Führungsorgan Front- und Militärtransportfliegerkräfte (FO FMTFK) mit neuem Standort in Strausberg überführt.

 
Truppenbesuch von Erich Honecker bei Teilen der LSK/LV 1985

Mitte der 1970er Jahre erweiterte die NVA mit der MiG-23, Anfang der 1980er Jahre mit der Su-22 und zuletzt ab 1988 mit der MiG-29 ihr fliegendes Inventar.

Mit Ablauf des 2. Oktobers 1990 wurden die LSK/LV in die Bundeswehr überführt. Rahmenbedingungen für die Übernahme ihres Personals beziehungsweise die Weiternutzung ihres Materials in der Luftwaffe stellten neben den zu erwartenden Kosten zum einen Vorgaben zum Personalumfang der Luftwaffenstruktur 4, die eine deutliche Reduzierung vorsah, und zum anderen die Obergrenzen an Gerät gemäß dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa dar.[7]

Von den Flugzeugen wurden zunächst alle MiG-29, einige Transportflugzeuge und Teile der Mi-8-Flotte nach der Wiedervereinigung von der Luftwaffe für einige Jahre weiter betrieben.

Zahlreiches Gerät wurde durch die Wehrtechnischen Dienststellen der Bundeswehr und anderen Nationen technischen und taktischen Untersuchungen unterzogen. Großgerät wie Flugabwehrraketensysteme der Landstreitkräfte vom Typ SA-6 oder SA-8 werden noch heute zur Ausbildung oder zur Simulation des Gegners bei Übungen der Luftwaffen der NATO eingesetzt.[8]

Auftrag der LSK/LV der NVA war, die „Sicherung der Lufthoheit des Landes, die Deckung seiner politisch-administrativen und ökonomischen Zentren und Räume vor Schlägen aus der Luft sowie die Unterstützung der anderen Teilstreitkräfte in Gefechten und Operationen. Ihre Kräfte und Mittel waren in das Diensthabende System der Luftverteidigung der Staaten des Warschauer Verteidigungsbündnisses einbezogen“.[9]

Waffengattungen, Spezialtruppen und Dienste

Bearbeiten

Die NVA-Luftstreitkräfte verfügten über folgende Waffengattungen bzw. Truppengattungen:

  • Flugabwehrraketentruppen (FRT)
  • Fliegerkräfte
  • Funktechnische Truppen (FuTT)

Unterstützt wurden diese in ihrer Auftragserfüllung durch Spezialtruppen und Dienste wie beispielsweise:

Flugabwehrraketentruppen

Bearbeiten
 
S-75-Flugabwehrrakete (SA-2)

Die Flugabwehrraketentruppen (FRT) waren die bodengebundene Luftverteidigung der NVA-Luftstreitkräfte.

Auftrag
  • Aufklärung und Identifizierung von Luftfahrzeugen im Zuständigkeitsbereich der Feuerabteilungen und Verbände der FRT
  • Empfang, Darstellung und Bewertung der Luftlagedaten und Informationen
  • Erarbeitung der Zieldaten
  • Bekämpfung von Flugzielen in allen Höhenbereichen, an den fernen und nahen Grenzen der wahrscheinlichen Vernichtung, im Zusammenwirken mit den anderen Teilstreitkräften und der GSSD, unter allen Lage- und Witterungsbedingungen und zu jeder Zeit 24/7/365
Gliederung

Die FRT waren in Feuerabteilungen, Truppenteile bzw. Brigaden gegliedert. Sie waren truppendienstlich und operationell den beiden Luftverteidigungsdivisionen unterstellt.

Ausrüstung
  • Flugabwehrraketenkomplexe geringer Reichweite S-125 (SA-3)
  • Flugabwehrraketenkomplexe mittlerer Reichweite S-75 (SA-2)
  • Flugabwehrraketenkomplexe großer Reichweite S-200 (SA-5)
  • Sensoren zur Erarbeitung eigener Plotdaten oder von Primärinformationen in den Feuerabteilungen
Besonderheit

Die NVA begann kurz vor der Wende mit der Einführung des Flugabwehrraketensystems S-300P (SA-10). Aufgrund strenger Geheimhaltung blieb dies dem Westen bis 1990 verborgen.[10] Die vorhandenen zwölf Startrampen wurden noch vor der Wiedervereinigung an die Sowjetunion zurückgegeben.

Fliegerkräfte

Bearbeiten

Die Fliegerkräfte der LSK/LV umfassten hauptsächlich Jagdflieger- und Jagdbombergeschwader, die auch zur Unterstützung der Landstreitkräfte und der Volksmarine eingesetzt werden konnten. Zusätzlich bestand die Fähigkeit zur luftgestützten Aufklärung und zum Lufttransport mit Hubschraubern und Flugzeugen. Der Fliegeringenieurdienst, die Fliegertechnischen Bataillone (FTB) und die Truppen der flugplatztechnischen Sicherstellung waren für die Bereitstellung einsatzklarer Luftfahrzeuge und den Betrieb der Flugplätze verantwortlich. Jedem fliegenden Verband war jeweils ein Nachrichten- und Flugsicherungsbataillon zugeordnet, das für Führungsunterstützung und Flugsicherung zuständig war.

Funktechnische Truppen

Bearbeiten

Die Funktechnischen Truppen (FuTT) waren der Radarführungsdienst (auch Einsatzführungsdienst) der NVA-Luftstreitkräfte.

Auftrag
  • Aufklärung und Überwachung des Luftraums der DDR
  • Identifizierung von Luftfahrzeugen
  • Erarbeitung, Bewertung und Darstellung einer einheitlichen ARKONA (FüWES) basierten Luftlage
  • Übertragung des Luftlagebildes zu den Gefechtsständen der Truppenteile, der Verbänden, zum Zentralen Gefechtsstand (ZGS) und zur Vereinigten Hauptzentrale (VHZ) der LSK/LV und weiteren Nutzern
  • Austausch der Luftlage im Zusammenwirken mit anderen Nutzern
Gliederung

Die FuTT gliederten sich in abgesetzte Funktechnische Posten (FuTP), Funktechnische Kompanien (FuTK) und Funktechnische Bataillone (FuTB). Sie waren den beiden Luftverteidigungsdivisionen truppendienstlich und operationell unterstellt. Der FuTB-Gefechtsstand war dem damaligen NATO CRC vergleichbar.

Besonderheit

Die Luftlagedaten und Informationen waren die Grundlage für den Einsatz der bodengebundenen – und fliegenden Waffensysteme.

Organisation und Führung

Bearbeiten

Kommando LSK/LV

Bearbeiten

Das Kommando LSK/LV war der Führungsstab und zugleich das Führungskommando der NVA Luftstreitkräfte. Ihm waren das Führungsorgan der Front- u. Militärtransportfliegerkräfte (FO FMTFK) sowie die 1. und 3. Luftverteidigungsdivision sowie weitere Truppenteile, Einheiten und Einrichtungen direkt unterstellt.[11]

1. Luftverteidigungsdivision (1. LVD)

Bearbeiten

Die 1. LVD war ein Großverband der Luftstreitkräfte der NVA zum Schutz des südlichen Luftraums der DDR (beginnend nördlich/nordwestlich Berlins) mit Stab- und Kommandositz in Cottbus.

3. Luftverteidigungsdivision (3. LVD)

Bearbeiten

Die 3. LVD war ein Großverband der Luftstreitkräfte der NVA zum Schutz des nördlichen Luftraums der DDR mit Stab- und Kommandositz in Trollenhagen.

Führungsorgan Front- u. Militärtransportfliegerkräfte (FO FMTFK)

Bearbeiten

Das FO FMTFK war ein Großverband der Luftstreitkräfte der NVA für „Luftnahunterstützung“ der anderen TSK, zur „luftgestützten Aufklärung“ und der Bereitstellung von Lufttransportkapazität in Strausberg (Eggersdorf).

Verwendete Flugzeuge (Stand 1989)

Bearbeiten
Kategorie System Anzahl Weiternutzung durch
die Bundeswehr
Bemerkung
Kampf-/Schulflugzeuge MiG-21 251    
MiG-29 24 bis 2004 Abgabe an Polen (22 Stück)[12]
MiG-23 47    
MiG-23BN 18    
Su-22 54    
L-39 52    
Transportflugzeuge An-2 18    
An-26 12 bis 1994  
Il-62 3 bis 1993  
Tu-134 3 bis 1992  
Tu-154 2 bis 1997  
L-410 12 bis 2000  
Z-43 12    
Hubschrauber Mi-2 25    
Mi-8 98 bis 1997 Kampf-/Transporthubschrauber; alle TSK
Mi-24 51 bis 1993 LaSK
Mi-14 14   VM
Flugabwehrraketensysteme S-75 Dwina 48 Startrampen   SA-2; 6 Startrampen/System
S-75 Wolchow 174 Startrampen   SA-2
S-125 Newa 40 Startrampen   SA-3; 4 Startrampen/System
S-200 Wega 24 Startrampen   SA-5; 6 Startrampen/System
S-300 12 Startrampen   SA-10; Rückgabe an die Sowjetunion
noch vor der Wiedervereinigung

Literatur

Bearbeiten

Film und Fernsehen

Bearbeiten
Bearbeiten
Commons: Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der Nationalen Volksarmee – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Wilfried Kopenhagen: Die Luftstreitkräfte der NVA. Motorbuch-Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-613-02235-4, S. 17.
  2. Fliegergeschichten – Vom Start bis zur Landung: Tatsachen und Erlebnisse – aufgeschrieben von Angehörigen der Fliegerkräfte der NVA. MediaScript GbR, Berlin 2013, ISBN 978-3-9814822-3-2, S. 19, Oberst i. G. S. Wünsche, letzter CdS Kdo. LSK/LV.
  3. a b c Verwaltung der Aeroklubs auf der Website des Militärarchivs des Bundesarchivs@1@2Vorlage:Toter Link/www.bundesarchiv.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2018. Suche in Webarchiven); eingesehen am 25. April 2009.
  4. Heinrich Engelhardt: NVA-Luftstreitkräfte/Luftverteidigung. In: Klaus Naumann: NVA: Anspruch und Wirklichkeit; nach ausgewählten Dokumenten. Mittler, Berlin/ Bonn/ Herford 1993, ISBN 3-8132-0430-8.
  5. Peter Veith: Von den Anfängen bis zum Ende – die Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der Deutschen Demokratischen Republik (PDF-Datei, 356 kB), Stand: 21. Februar 2008.
  6. Rüdiger Wenzke: Die Nationale Volksarmee (1956–1990). In: Torsten Diedrich, Hans Ehlert, Rüdiger Wenzke: Im Dienste der Partei – Handbuch der bewaffneten Organe der DDR. Links Verlag, Potsdam 1998, ISBN 3-86153-160-7.
  7. Helge Bandow, Sylvester von Rudzinski-Rudno: Im Neuland fast die Orientierung verloren. In: Truppenpraxis. Nr. 1, 1993, S. 86ff.
  8. Beschreibung von Polygone auf der Website der Luftwaffe; abgerufen am 1. Mai 2009.
  9. Reinhard Brühl (Red.): Wörterbuch zur deutschen Militärgeschichte. 1. Auflage. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1985, ISBN 3-327-00239-8, B1, S. 502.
  10. Rüdiger Wenzke: Die Nationale Volksarmee (1956–1990). In: Torsten Diedrich, Hans Ehlert, Rüdiger Wenzke: Im Dienste der Partei – Handbuch der bewaffneten Organe der DDR. Potsdam 1998, ISBN 3-86153-160-7.
  11. Joachim Nawrocki: Bewaffnete Organe in der DDR. Nationale Volksarmee und andere militärische sowie paramilitärische Verbände. Aufbau, Bewaffnung, Aufgaben. Berichte aus dem Alltag. Holzapfel Verlag, Berlin 1979, ISBN 3-921226-07-4.
  12. Abgabe von 22 MiG-29 für einen symbolischen Preis von 1 Euro (Bernd Lemke, Dieter Krüger, Heinz Rebhan, Wolfgang Schmidt: Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Konzeption, Aufbau, Integration. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, ISBN 3-486-57973-8, S. 833.); eine MiG-29 ist im Luftwaffenmuseum in Berlin-Gatow ausgestellt; eine MiG-29 ging durch Absturz verloren.