Magisches Denken

Fachterminus aus der Psychologie

Magisches Denken bezeichnet in der Psychologie eine Erscheinungsform des Denkens, bei der eine Person annimmt, dass ihre Gedanken, Worte oder Handlungen Einfluss auf ursächlich nicht verbundene Ereignisse nehmen, solche hervorrufen oder verhindern können. Herkömmliche Regeln von Ursache und Wirkung werden ignoriert.

Magisches Denken wird häufig als normaler Teil der kindlichen Entwicklung und im Zusammenhang mit psychischen Störungen beobachtet.[1][2] In der Anthropologie steht magisches Denken für magische Vorstellungen, die sich mit übernatürlichen Mächten beschäftigen und sich in Ritualen äußern, die dem Wohl der Gemeinschaft dienen sollen.[3]

Magisches Denken in Stammeskulturen

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Der Anthropologe Edward Burnett Tylor prägte den Begriff „assoziatives Denken“ als eine Form des vorrationalen, magischen Denkens, das noch immer in Stammeskulturen zu beobachten ist.[4] Die Grundannahme besteht darin, dass zwei Gegenstände aufgrund ähnlicher Gestalt aufeinander Einfluss nehmen können. Zum Beispiel reiben die Azande, eine afrikanische Ethnie, Bananenstauden mit Krokodilzähnen ab, um ihre Erträge zu sichern. Da Krokodilzähne wie Bananen gekrümmt sind und nachwachsen, sobald sie ausfallen, glauben die Azande, dass die Krokodilzähne ihre positiven Eigenschaften durch Reibung auf die Stauden übertragen können.[5]

Magisches Denken im Umfeld psychischer Störungen

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Im Erwachsenenalter kann magisches Denken Teil mehrerer abgeschwächter psychotischer Symptome sein, jedoch ist nicht jede Form von magischem Denken psychotisch. In den DSM-IV-Kriterien der schizotypischen Persönlichkeitsstörung werden Beziehungsideen, eigentümliche Vorstellungen oder magisches Denken sowie ungewöhnliche Wahrnehmungserlebnisse, eine eigenartige Denk- und Sprechweise sowie paranoide Ideen genannt.[6]

Im Rahmen von Zwangsstörungen ist magisches Denken häufig zu beobachten und Auslöser für starke Ängste und Spannungszustände, die zu Zwangshandlungen führen. Im Unterschied zur paranoiden Überzeugtheit steht bei Zwangsstörungen der Zweifel im Vordergrund.[2]

Magisches Denken in der Kindheitsentwicklung

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Ein Teil der Entwicklungspsychologen sieht in Anlehnung an Jean Piaget („Egozentrismus“) magisches Denken als eine archaische Denkform der animistisch-magischen Entwicklungsphase des zwei- bis fünfjährigen Kindes. Piaget spricht auch vom präoperationalen Denken des Kleinkindes.[7]

Als Vorstufe des rationalen Denkens tritt bei Kindern magisches Denken etwa in Form des Glaubens an Wirkungen von Zauberei, Beschwörungen oder Wunschdenken auf.[8]

Annahmen bei magischem Denken

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Thomas Grüter[9] nennt als Charakteristika magischen Denkens die (hier vereinfacht wiedergegebenen) Annahmen[10],

  • es gebe übernatürliche Fernwirkung;
  • Gegenstände könnten Eigenschaften ihrer Besitzer übertragen;
  • Dinge, die eine Eigenschaft gemeinsam haben, seien auch in anderem ähnlich (vgl. beispielsweise Homöopathie, Signaturenlehre oder Analogiezauber);
  • man könne die Außenwelt durch Worte, Formeln, Sprüche oder bloße Gedanken beeinflussen;
  • die Zukunft sei vorhersehbar, bestimmte Dinge oder Vorgänge hätten eine Vorbedeutung, auch ohne Verbindung mit künftigen Ereignissen;
  • Symbole, zum Beispiel Amulette, hätten eine Wirkung;
  • bestimmte Menschen hätten übernatürliche Kräfte oder könnten Wesen mit solchen Kräften in ihren Dienst zwingen;
  • Geister, Götter oder Geheimgesellschaften könnten voneinander getrennte Ereignisse oder Phänomene verbinden.

Einzelnachweise

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  1. Vgl. Nicolas Hoffmann, Birgit Hofmann: Expositionen bei Ängsten und Zwängen. Praxishandbuch. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Beltz, Weinheim u .a. 2008, ISBN 978-3-621-27638-2, S. 49.
  2. a b Nicolas Hoffmann, Birgit Hofmann: Zwanghafte Persönlichkeitsstörung und Zwangserkrankungen. Springer, Berlin Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-02514-3, S. Kapitel 6: Zwangsgedanken und magisches Denken.
  3. David Levinson, Melvin Ember (Hrsg.): Encyclopedia of Cultural Anthropology. Band 3: M – R. Holt, New York NY 1996, ISBN 0-8050-2877-3, S. 723.
  4. E. E. Evans-Pritchard: Theories of Primitive Religion. Oxford University Press, 1977, S. 26–7.
  5. E. E. Evans-Pritchard: Witchcraft, Magic, and Oracles Among the Azande. Clarendon Press, Oxford 1937.
  6. Andreas Bechdolf, Stephan Ruhrmann, Birgit Janssen, Ronald Bottlender, Michael Wagner, Kurt Maurer, Heinz Häfner, Wolfgang Maier, Joachim Klosterkötter: Prävention der Schizophrenie – Früherkennung und -intervention bei Personen mit erhöhtem Psychoserisiko. In: Psychoneuro. Band 30, Nr. 11, 2004, ISSN 1611-9991, S. 606–614, doi:10.1055/s-2004-837066.
  7. Franz Resch u. a.: Entwicklungspsychopathologie des Kindes- und Jugendalters. Ein Lehrbuch. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Beltz – Psychologie Verlags-Union, Weinheim 1999, ISBN 3-621-27319-0, S. 163, 176.
  8. Sabine Schrader, Anke Fischer (Red.): Psychologie. Allgemeine Psychologie, Entwicklungspsychologie, Sozialpsychologie. Compact-Verlag, München 2008, ISBN 978-3-8174-7811-8, S. 212. (online)
  9. Startseite von Dr. Thomas Grüter
  10. Thomas Grüter: Magisches Denken. Wie es entsteht und wie es uns beeinflusst. Scherz, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-502-15158-6, S. 31 f.