Der Mahmal (arabisch محمل, DMG maḥmil, miḥmal, maḥmal) war eine zeremonielle Sänfte, die vom 13. bis zum frühen 20. Jahrhundert jährlich auf dem Rücken eines Kamels mit der Pilgerkarawane nach Mekka geschickt wurde. Der wichtigste Mahmal war derjenige von Kairo, doch wurden zeitweise auch von Damaskus und vom Jemen aus solche Sänften nach Mekka geschickt. Der Mahmal bestand aus einem würfelförmigen hölzernen Gestell mit pyramidenförmigem Aufsatz, der mit grünem oder rotem goldbesticktem Seidenbrokat bedeckt und an der Spitze und den vier Ecken mit vergoldeten Kugeln geschmückt war. Das den Mahmal tragende Kamel war im Pilgerzug reiterlos an der Hand zu führen und durfte danach für den Rest seines Lebens für keine andere Arbeiten mehr verwendet werden.

Der Mahmal von Abbas Hilmi II. im Nationalmuseum der ägyptischen Zivilisation
Ein Mahmal aus Ägypten, 1867–1876 mit der Tughra von Sultan Mahmud II.

Ursprung

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Die erste Erwähnung des Mahmal mit der ägyptischen Pilgerkarawane findet sich für das Jahr 659 der Hidschra (= 1266 n.Chr.).[1] Der Brauch der Mahmal-Entsendung wurde wahrscheinlich von dem Mamluken-Sultan az-Zāhir Baibars (reg. 1260–1277) eingeführt. Der mekkanische Biograph al-Fāsī (gest. 1429) zitiert einen Ernennungsbrief aus dem Jahr 1260, der vom abbasidischen Kalifen al-Mustansir (reg. 1261–1262) in seinem ersten Jahr als erster Kalif von Kairo ausgestellt wurde. Darin beauftragte er seine beiden Vertreter im Haram von Mekka mit der Durchführung von Handlungen, die den Kalifen legitimierten, wie der Anrufung seines Namens in der Freitagspredigt, der Münzprägung und den Empfang des Mahmal.[2]

Während der osmanischen Zeit entstand in Ägypten eine Legende, die den Ursprung der Mahmal-Tradition Schadscharat ad-Durr (gest. 1257), der Witwe des aiyubidischen Sultans as-Sālih Aiyūb (reg. 1240–1249), die 1250 für einige Monate die Sultanin von Ägypten war, zuschrieb.[3] Sie soll einmal ihre Pilgerreise nach Mekka in einer prunkvollen Kamelsänfte gemacht und in den Folgejahren dieselbe Sänfte regelmäßig als Symbol der Staatsmacht nach Mekka geschickt haben. Nach ihrem Tod soll dann dieser Brauch fortgeführt worden sein. Diese Legende wurde von Edward William Lane (gest. 1876) und Ali Pascha Mubarak (gest. 1893) wiederholt[4] und fand auch Eingang in Thomas Hughes' Islam-Lexikon.[5]

Bedeutung als Symbol des politischen Wettbewerbs um Prestige in Mekka

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Die Entsendung und sichere Rückkehr des Mahmal symbolisierte den Schutz der Pilgerrouten nach Mekka durch den Sultan und seinen Anspruch auf Vorherrschaft in der islamischen Welt. Das rief zeitweise die Rivalität anderer politischer Mächte hervor, die von ihren Orten eigene Prunksänften nach Mekka entsandten. Kairos Anspruch auf Mekka provozierte den Wettbewerb mit rivalisierenden Mächten, insbesondere den Rasuliden des Jemen und den Ilchanen des Iran und Irak, deren Pilgerkarawanen die eigene zeremonielle Sänften mitbrachten und für sie einen Ehrenplatz in Mekka beanspruchten. Der Mahmal, den die Ilchane im Jahre 1330 nach Mekka schickten, wurde von einem Elefanten getragen.[2]

Die osmanischen Sultane führten die Mahmal-Tradition nach ihrer Eroberung Ägyptens fort. Nach einer Unterbrechung zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Mekka und Medina unter der Herrschaft der Wahhabiten standen, führte Muhammad Ali Pascha (reg. 1805–1849) nach ihrer Niederwerfung die jährliche Entsendung des Mahmal wieder ein. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden Mahmals auch vom Sultan von Darfur, dem Nizam von Hyderabad, und den arabischen Stammesführern der Āl Raschīd (1836–1921) und der Āl Saʿūd entsendet, bei letzeren trotz des Widerstands der Wahhabiten gegen den Brauch.[2]

Die Form

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Im Kanzleihandbuch von al-Qalqaschandī (gest. 1418) wird der Mahmal als rechteckiger, quaderförmiger Holzrahmen mit pyramidenförmiger Spitze beschrieben, der mit gelber Seide und Verzierungen bedeckt ist. Während der Reise wurde die teure Seidenbespannung durch eine haltbarere, mäßig verzierte und weniger teure Version ersetzt. Die Außenseiten der Bespannung des Bauwerks waren mit frommen Ausdrücken geschmückt. Die osmanischen Mahmal-Bedeckungen variierten in verschiedenen Farben (rot, grün oder schwarz), zeigten die Tughra des Sultans und waren überwiegend mit Koranversen verziert.[2] Edward William Lane beschreibt den Mahmal, wie folgt:

„Es ist ein viereckiges Gestell von Holz, mit einer pyramidenförmigen Spitze, und hat eine Bedeckung von schwarzem Brocat mit vielen eingewebten Inschriften und reicher Verzierung in Goldstickerei, an manchen Stellen auf einem Grunde von grüner oder rother Seide, und ist mit seidenen Fransen besetzt, an denen Pummeln mit silbernen Knöpfen hängen. Diese Decke hat nicht immer dasselbe Muster der Verzierungen, bei allen aber, die ich gesehen habe, war am oberen Theile der Vorderseite eine Ansicht des Tempels von Mekeh in Gold gewirkt, und über dieser der Namenszug des Sultans. In dem Maḥmal ist nichts; aber zwei Muṣḥaf's (oder Abschriften des Ḳur-án), die eine in einer Rolle, die andere in der gewöhnlichen Form eines kleinen Buches, beide in einem kleinen Kastchen von vergoldetem Silber, auswendig an der Spitze befestigt. […] Die fünf Kugeln mit dem Halbmond welche den Mahmal schmücken, sind von Silber und vergoldet.“

Edward William Lane[6]

Verabschiedungszeremonien

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In Kairo gab die Entsendung des Mahmal regelmäßig Anlass zu lauten Festlichkeiten der Massen. Schon 14. und 15. Jahrhundert wurde der Mahmal im Monat Radschab durch Kairo getragen, in Erwartung der Abreise der Pilgerkarawane nach Mekka drei Monate später. Die Radschab-Prozession des Mahmal war mit karnevalesken Feierlichkeiten verbunden, die manchmal so laut wurden, dass die Mamlukenbehörden den Anlass vorübergehend verboten. Auch in Istanbul wurde eine aufwendige Haddsch-Abschiedszeremonie, bei der eine Prozession eines Kamels mit einem Mahmal stattfand, allerdings verließ das Kamel nie wirklich die Stadt. Feierlichkeiten mit einer leeren Sänfte wurden in Aden, der ägyptischen Oase Charga und der oberägyptischen Stadt Qena dokumentiert.[2]

Ende der Tradition

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Als es aber in den 1920er Jahren zu blutigen Zwischenfällen zwischen der ägyptischen Militäreskorte und den Anhängern der wahhabiten Ichwān kam, gab Ägypten die jährliche Entsendung des Mahmal 1926 auf. Der Mahmal wurde aber er in Kairo weiterhin zur Feier der Pilgerreise vorgeführt, bis diese Tradition 1952 abgeschafft wurde.[2]

Literatur

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  • Doris Behrens-Abouseif: “The maḥmal legend and the pilgrimage of the ladies of the Mamluk court” in Mamlūk Studies Review 1 (1997) 87–96. Link zum Digitalisat
  • Dirk Boberg: Ägypten, Naǧd und der Ḥiǧāz: eine Untersuchung zum religiös-politischen Verhältnis zwischen Ägypten und den Wahhabiten, 1923–1936, anhand von in Kairo veröffentlichten pro- und antiwahhabitischen Streitschriften und Presseberichten. Lang, Bern u.a. 1991.
  • Frants Buhl: „Maḥmal“ in Enzyklopädie des Islām. Bd. III, S. 132–33 (veröffentlicht 1936). Digitalisat
  • Marie de Carcaradec: “Les mahmils du palais de Topkapı” in Turcica 13 (1981) 174-184.
  • Ibrāhīm Ḥilmī: al-Maḥmal. Riḥlāt šaʿbīya fī wiǧdān al-umma. Kairo 1993.
  • Jacques Jomier: “Le maḥmal du sultan Qansuh al-Ghuri (début XVIe siècle)” in Annales Islamologiques 11 (1972) 183–8.
  • Jacques Jomier: Le maḥmal et la caravane égyptienne des pèlerins de la Mecque. Kairo 1953.
  • Munīr Kaiyāl: Maḥmal al-ḥaǧǧ aš-Šāmī: dirāsa tauṯīqīya. Wizārat aṯ-Ṯaqāfa, Damaskus 2005.
  • B. L. Austin Kennett: “The sacred litter (maḥmal) of Kharga oasis” in Man 26 (1926) 133–36.
  • Richard McGregor: Islam and the devotional object: seeing religion in Egypt and Syria. Cambridge University Press, Cambridge 2020.
  • John L. Meloy: “Celebrating the maḥmal. The Rajab festival in fifteenth-century Cairo” in Judith Pfeiffer and Sholeh A. Quinn (Hrsg.): History and historiography of post-Mongol Central Asia and the Middle East. Wiesbaden 2006. S. 404–27.
  • F.E. Peters: The Hajj. The Muslim pilgrimage to Mecca and the holy places. Princeton University Press, Princeton NJ 1994. S. 165–167, 270–272.
  • Venetia Porter: “The maḥmal revisited” in Venetia Porter and Liana Saif (Hrsg.): The hajj. Collected essays. London 2013. S. 195–205.
  • A. E. Robinson: The maḥmal of the Moslem pilgrimage in Journal of the Royal Asiatic Society 1 (1931) 117–27.
  • Muḥammad Ṣādiq: Kaukab al-ḥaǧǧ fî safar al-maḥmil baḥran wa-sairih barran al-Maṭbaʿa al-Amīrīya, Bulaq 1303h (= 1885 n.Chr.). Digitalisat
  • Rita Stratkötter: Von Kairo nach Mekka: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Pilgerfahrt nach den Berichten des Ibrāhīm Rifʿat Bāšā: Mirʾāt al-Ḥaramain. Schwarz, Berlin 1991. S. 63–69.
  • Gilles Veinstein: “Le serviteur des deux saints sanctuaires et ses maḥmal des Mamelouks aux Ottomans” in Turcica 41 (2009) 229–46.
  • Maḥāsin al-Waqqād: al-Maḥmal al-miṣrī wa-ḫidmāt al-ḥaǧǧ wa-'l-ʿumra fi 'l-ʿaṣrain al-mamlūkī wa-'l-ʿuṯmānī. al-Haiʾa al-Miṣrīya al-ʿĀmma li-l-Kitāb, Kairo 2021.

Einzelnachweise

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  1. Behrens-Abouseif: “The maḥmal legend and the pilgrimage of the ladies of the Mamluk court” 1997, S. 89.
  2. a b c d e f John Lash Meloy: „Maḥmal“ in Encyclopaedia of Islam, THREE Edited by: Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, und Devin J. Stewart. Erstmals veröffentlicht 2020. Brill online
  3. Behrens-Abouseif: “The maḥmal legend and the pilgrimage of the ladies of the Mamluk court” 1997, S. 87.
  4. Behrens-Abouseif: “The maḥmal legend and the pilgrimage of the ladies of the Mamluk court” 1997, S. 90.
  5. Thomas Hughes: A Dictionary of Islam. Allen & Co., London 1885. S. 306. (Digitalisat).
  6. Edward William Lane: Sitten und Gebräuche heutiger Egypter. Ins Deutsche übersetzt von Julius Theodor Zenker. Dyk'sche Buchhandlung, Leipzig, 1856. Bd. III, S. 57f. Digitalisat – Siehe das englische Original: An account of the manners and customs of the modern Egyptians, written in Egypt during the years 1833–1835. Ward, Lock and Co., London 1890. S. 404f. Digitalisat