Manfred Kastner

deutscher Maler und Bildhauer des Surrealismus in der DDR

Manfred Kastner (* 5. April 1943 in Gießhübel/Nordböhmen; † 3. Juni 1988 bei Juliusruh, Rügen) war ein Stralsunder Maler und Bildhauer des Surrealismus in der DDR.

Hommage a Delvaux

Manfred Kastner begann 1958 eine Lehre als Dreher und arbeitete anschließend bis 1962 auf der Volkswerft Stralsund. Er wirkte danach bis 1970 als Präparator am Stralsunder Meeresmuseum und von 1970 bis 1974 als Ausstattungsleiter und Bühnenbildner am Stralsunder Theater. Von 1974 bis 1976 arbeitete er als Restaurator und danach freischaffend als Maler und Grafiker, erst in Datzow, ab 1985 in Juliusruh. Seine Arbeiten signierte er mit „Beerkast“. Ab 1986 schuf er auch figürliche Arbeiten in Sandstein.

Kastner war 1963 als Inoffizieller Mitarbeiter mit dem Decknamen „Möwe“ vom Ministerium für Staatssicherheit verpflichtet worden. 1970 ließ er sich aus religiösen und Gewissensgründen entpflichten. Anschließend wurden er und seine Familienangehörigen bis an sein Lebensende von der Staatssicherheit observiert.

Mit seinen nicht dem offiziellen Kunststil des sozialistischen Realismus entsprechenden Werken löste Kastner kontroverse Diskussionen bis in höchste Ebenen der DDR-Kulturpolitik und der Staatssicherheit aus. Er wurde als „sozialismusfeindlich“ eingestuft, schikaniert und verfolgt. Mehrere Anträge auf Aufnahme in den Verband Bildender Künstler (VBK)-Rostock wurden zunächst abgelehnt. In der Begründung hieß es: Die vorgelegten Arbeiten zeigen keinerlei Beziehung zur Gesellschaft. Gravierend ist die Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Trostlosigkeit. Es ist eine ausgedachte Einsamkeit – hier wird sie zur geistigen Konzeption.[1] 1976 fällte der Zentralvorstand des VBK der DDR unter Leitung von Willi Sitte die Entscheidung, Kastner als Kandidat in den Verband aufzunehmen. Ab 1978 war er Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR.

Er hatte in der DDR und im Ausland eine bedeutende Zahl von Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, u. a. war er von 1977 bis 1988 auf der VIII. bis X. Kunstausstellung der DDR in Dresden vertreten. 1977 wurde dort sein Gemälde Landschaft am Kanal von 1976 gezeigt. Bei einer Ausstellung im März 1979 in Rostock (zusammen mit Peter Sylvester) wurde die Grafik Conditio Humaine abgehängt.[1] Vom 16. März bis 24. April 1988 zeigte die Kunsthalle Rostock Kastners Werke in einer Einzelausstellung. Wenige Wochen später starb er bei einem Autounfall. Nach ihm ist in Stralsund eine Straße benannt.

Künstlerisches Wirken

Bearbeiten
 
Der Strom

Trotz seiner nur kurzen Schaffenszeit weist Kastners Gesamtwerk deutliche Zäsuren und Wandlungen auf.[2] Gegen Ende der 60er Jahre entstanden eine kleine Anzahl Radierungen, Collagen und figürliche Kompositionen. In den 70er bis in die frühen 80er Jahre schuf er seine "Seezeichen" - eine Reihe stillebenfaft empfundener Landschaften und visionäre Planetenansichten. In dieser Phase entstanden Gemälde wie "Stadt am Meeresgestade", "Stilleben mit rotem Tuch" (1978), "Die bedrohte Gegenwart" (1978/1979), "Hommage à Paul Delvaux" oder "Pelleas" (1978). Letzteres wurde durch Debussys Oper Pelléas et Mélisande inspiriert. Das Bild zeigt drei statuenhafte, einander eigenartig fremde Personen in einer hoch aufgragenden Architektur.

Kastners zerfallenende Industriearchitekturen mit rauchenden Schornsteinen, von den oft menschenleeren Straßen, Brücken in kosmischen Landschaften und den geheimnisvoll anmutenden Bahnhöfen entsprachen in keiner Weise dem „sozialistischen Realismus.“ Eine Besonderheit seines Schaffens ist die gegenseitige Beeinflussung von Malerei und Druckgrafik in hoher technischer Qualität.[2] In der zweiten Hälfte des Jahres 1977 entstanden die ersten druckgraphischen Arbeiten Kastners. Kastner hatte zuvor Gerhard Günther kennengelernt, der an der Burg Giebichstein (Kunsthochschule Halle) tätig war. Günther bildetete Studenten im Bereich graphischer Arbeiten, insbesondere im Bereich Lithographie, aus. Mit Günthers Hilfe erwarb Kastner das technische Rüstzeug der Drucktechnik. Dabei begann er, die Ansätze seiner Malerei auf das druckgraphische Medium zu übertragen. Die farbige Zinkografie war dafür die ideale Technik. In der Folge erweiterte Kastner seine Motivwelt durch Anregungen aus der Industriearchitektur. In dieser Phase vollzog sich ein allmählicher Wandel vom Metaphysisch-Surrealen hin zu abstrakten Ausdrucksmitteln. Viele Arbeiten aus den 80er Jahren sind geprägt durch großflächige Farbelemente.[2] Die Offsetdrucke zeigen anfangs eine starke Farbigkeit (Architektur 3/83, Architektur 1/84). Kastners Werk umfasst aber auch Arbeiten in wenigen gedeckten Farben (Kaserne, 1981, Hafen, 1982). Ein wichtiger Bezugspunkt war für ihn das Buch Die Stadt hinter dem Strom von Hermann Kasack.[2] Das Blatt "Der Strom" (1985) bildet den besonderen Abschluss der "gedeckten" Arbeiten.[2] In wenigen seiner Blätter aus den 80er Jahren traten auch menschliche Gestalten auf. Wenn, dann sind sie fast immer vereinzelt und allein. "Der Strom" hingegen zeigt eine schier endlose Menge von Menschen, die einzeln oder zu zweit dem Horizont entgegen strömen.

Kastners Gemälde Die Begegnung wurde 2009 in der neuen Nationalgalerie Berlin im Rahmen der Ausstellung "Bilderträume – Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch" in unmittelbarer Nachbarschaft zu Werken der Maler Dalí, Bellmer, Pollock, Newman, Miro, Ernst und Rauch gezeigt.[3] Den Kern der Sammlung Pietzsch bilden hochkarätige Werke des Surrealismus in Paris.

Werke (Auswahl)

Bearbeiten
 
Architektur 3-83
  • Landschaft am Kanal (Tafelbild, Öl; 1976; ausgestellt 1977/1978 auf der VIII. Kunstausstellung der DDR)[4]
  • Die Stadt (Tafelbild, Öl; ausgestellt 1982/1983 auf der IX. Kunstausstellung der DDR)[5]
  • Straße (Tafelbild, Öl und Tempera; 1986/1987; im Bestand der Berliner Nationalgalerie)[5]

Einzelausstellungen (Auswahl)

Bearbeiten
  • 1976: Berlin, Kleine Galerie Pankow (Malerei, Zeichnungen und Collagen)
  • 1980: Greifswald, Greifengalerie
  • 1981: Dresden, Galerie Mitte[1]
  • 1982: Stralsund, Kulturhistorisches Museum
  • 1982: Suhl, Galerie im Steinweg
  • 1983: Einzelausstellungen in Zinnowitz und Schloss Bernburg[1]
  • 1984: Einzelausstellung im Museum Schloss Moritzburg[1]
  • 1985: Karl-Marx-Stadt, Galerie Schmidt-Rottluff
  • 1985: Einzelausstellung in der Galerie im Alten Museum, Berlin[1]
  • 1988: Einzelausstellung in der Kunsthalle Rostock[1]
  • 2008: Greifswald, Ernst-Moritz-Arndt-Universität (Gedenkausstellung zum 20. Todestag)
  • 2009: Neue Nationalgalerie Berlin, "Bilderträume – Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch" (19.06.2009 bis 10.01.2010)[6][7]

Literatur

Bearbeiten
  • Kastner, Manfred. In: Grete Grewolls: Wer war wer in Mecklenburg-Vorpommern? Ein Personenlexikon. Edition Temmen, Bremen 1995, ISBN 3-86108-282-9, S. 222.
  • Klaus J. Albert (Hrsg.): Manfred Kastner – Grafik 1977–1988. Verlag Stock und Stein, Schwerin 1997, ISBN 3-932370-25-2.
  • Thomas Wageringel (Hrsg.): Manfred Kastner. Malerei 1965–1988. Kunstverein Wiligrad, Lübsdorf 2000
  • Sylviane Schrenke (Hrsg.): Manfred Kastner (1943–1988): sein Werk. Print & Copy Paradies, Kiel 2003
  • Beatrice Vierneisel: Der Stralsunder Maler Manfred Kastner und der Bezirksverband bildender Künstler Rostock in den siebziger Jahren. In: Zeitgeschichte Regional, 2004, Heft 2, S. 29–40
  • Birgit Dahlenburg: Künstlerisch bewundert und von der Staatssicherheit verfolgt – der Surrealist Manfred Kastner (1943–1988). Greifswald 2008. (Band 2 der Ausstellungsreihe der Kustodie der Universität Greifswald). ISBN 3-86006-314-6; 978-3-86006314-9.
  • Kastner, Manfred. In: Dietmar Eisold (Hrsg.): Lexikon Künstler in der DDR. Verlag Neues Leben, Berlin 2010, ISBN 978-3-355-01761-9, S. 422
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b c d e f g Manfred Kastner | Beatrice Vierneisel. Abgerufen am 8. Januar 2023.
  2. a b c d e R. Kunze, B. Lichtnau, u. a.: Manfred Kastner, Malerei 1965-1988. Hrsg.: Kunstverein Willigrad. 2000.
  3. Gemälde, Hommage a Delvaux. Abgerufen am 8. Januar 2023.
  4. Bildindex der Kunst & Architektur; Abbildung in: Lothar Lang: Malerei und Graphik in der DDR. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1983; S. 278
  5. a b Bildindex der Kunst & Architektur
  6. Gemälde, Hommage a Delvaux. Abgerufen am 8. Januar 2023.
  7. Bilderträume. Abgerufen am 21. November 2024.