Marcus Cocceius Nerva (Jurist)

römischer Senator und Jurist

Marcus Cocceius Nerva († 33 n. Chr.) war ein römischer Senator und Jurist des 1. Jahrhunderts n. Chr. sowie Großvater des römischen Kaisers Nerva.

Laut Frontin wurde Cocceius Nerva während der Amtszeit der Konsuln Servius Cornelius Cethegus und Lucius Visellius Varro, das heißt im Jahr 24, zum curator aquarum ernannt und war in dieser Position als Nachfolger wohl des Lucius Tarius Rufus für die Wasserversorgung der Stadt Rom zuständig.[1] Dieses Amt war ein konsularisches, sein Inhaber musste zuvor Konsul gewesen sein. In der literarischen Überlieferung ist ein Konsulat für Cocceius Nerva nicht belegt, doch bezeugen aus sich heraus nicht zu datierende Inschriften, dass ein Marcus Cocceius Nerva mit einem Gaius Vibius Rufinus Konsul war. Es handelt sich vor allem um eine Bauinschrift am Carcer Tullianus[2] und eine Grabinschrift.[3]

Schon Onofrio Panvinio setzte dieses Paar als Suffektkonsuln des Jahres 775 ab urbe condita, also für 22 n. Chr. an.[4] Theodor Mommsen jedoch bezog die Inschrift auf den gleichnamigen Sohn des Marcus Cocceius Nerva, Marcus Cocceius Nerva, und datierte beider Konsulat „kurz vor 43“.[5] Ihm folgte Attilio Degrassi in einem Aufsatz des Jahres 1943,[6] vor allem aber in seiner einflussreichen Neubearbeitung der Konsularfasten.[7] Ronald Syme hat 1980 für Vibius Rufinus herausgestellt, dass dessen Suffektkonsulat nur in die Jahre 20 oder 21 gesetzt werden kann, der Amtskollege folglich Nerva pater ist.[8] Obwohl viele dessen Diktum zustimmen,[9] wird auch an der Datierung des Konsulnpaares um das Jahr 40 festgehalten.[10]

Marcus Cocceius Nerva stand in einem ausgesprochen engen Vertrauensverhältnis zu Kaiser Tiberius. Laut Tacitus nannte ihn Tiberius denjenigen, der ihm unter den Freunden am nächsten stand (proximus amicorum),[11] und Sextus Pomponius berichtet, dass Nerva dem Tiberius sehr vertraut war (familiarissimus).[12] Als einziger Senator begleitete er den Kaiser, als dieser sich im Jahr 26 nach Kampanien zurückzog.[13] Im Jahr 33 beschloss Cocceius Nerva, seinem Leben durch Verweigerung der Nahrungsaufnahme ein Ende zu setzen. Das Motiv bleibt unklar. Cassius Dio stellt es in Zusammenhang mit dem Vorhaben des Tiberius, den Gesetzen Gaius Iulius Caesars zum Vertragsrecht, insbesondere zum Wucher, wieder Geltung zu verschaffen.[14] Laut Tacitus berichteten Vertraute des Nerva, dass die Verzweiflung über die Leiden des Staates ihn zu diesem Schritt veranlasst hatte, um rein und unangetastet in Ehre sterben zu können.[15] Anton van Hooff sieht denn auch taedium vitae – „Lebensüberdruss“ – als Motiv für den freiwilligen Tod.[16]

Nerva war ein bedeutender Jurist des frühklassischen römischen Rechts. Er war Vorgänger des Juristen Proculus als Haupt der sogenannten prokulianischen Rechtsschule und galt als „ein in allen göttlichen und menschlichen Rechten wohlerfahrener Mann“ (omnis divini humanique iuris sciens)[15] sowie als Kenner des Gesetzes.[17] Von seinen juristischen Werken sind keine Titel überliefert, doch wird er oft als Gewährsmann in juristischen Fragen genannt.[18]

Cocceius Nerva verheiratete irgendwann vor dem Jahr 30 seinen Sohn mit Sergia Plautilla, der Tochter des homo novus Gaius Octavius Laenas. Dieser folgte Cocceius Nerva 33 im Amt des curator aquarum.[19] Aus der Ehe ging der spätere Kaiser Nerva hervor, weswegen Cocceius Nerva von Frontin als Großvater des Kaisers bezeichnet wird.[20]

Literatur

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Anmerkungen

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  1. Frontin, de aquis 2,102, der auch den vollen Namen Marcus Coceius Nerva überliefert.
  2. CIL 6, 1539; in der Inschrift sind die Filiation (M. f.) und das Cognomen (Nerva) seit spätestens dem 18. Jahrhundert nicht mehr erhalten, allerdings überliefert von Martinus Smetius: Inscriptionum antiquarum quae passim per Europam, liber. Herausgegeben von Justus Lipsius. Officina Plantiniana 1588, Fol. 12,1 (Digitalisat); sich auf dieses Zeugnis stützend, gab auch Jan Gruter: Inscriptiones Antiquae Totius orbis Romani, in corpus absolutißimum redactae. 2. Auflage. Heidelberg 1616, S. CLXXXVII,5 (Digitalisat), Filiation und Cognomen an; siehe den Kommentar im CIL und Tom W. Hillard, J. Lea Beness: The Ancestry of Nerva. In: The Classical Quarterly. Band 65, 2015, S. 756–765, hier S. 764 mit Anm. 47.
  3. CIL 6, 9005; die Inschrift gibt keine Filiation zum genannten M. Cocceius Nerva.
  4. Onofrio Panvinio: Fasti et Triumphi Romanorum Romulo rege, usque ad Carolum V. Caes. Aug. Liber secundus. Venedig 1557, S. 42 (Digitalisat).
  5. Theodor Mommsen: Bronzetafeln von Cremona. In: Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Band 7, 1888, Sp. 55–60, hier Sp. 58 mit Anm. 2 (Digitalisat)
  6. Attilio Degrassi: Osservazioni su alcuni consoli suffetti dell’età di Augusto e Tiberio. In: Epigraphica. Band 8, 1946 [1948], S. 34–39, S. 37, schloss Vibius Rufinus und Cocceius Nerva für die Jahre 21/22 aus.
  7. Attilio Degrassi: Fasti consolari dell’Impero Romano dal 30 a. C. al 613 d. C. Edizioni di storia e letteratura, Rom 1952, S. 11.
  8. Ronald Syme: Vibius Rufus and Vibius Rufinus. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik. Band 43, 1981, S. 365–376, bes. S. 372–375.
  9. Ursula Vogel-Weidemann: Miscellanea zu den Proconsules von Africa und Asia zwischen 14 und 68 n. Chr. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik. Band 46, 1982, S. 271–294, hier S. 290–291; Werner Eck: Die Statthalter der germanischen Provinzen vom 1.–3. Jahrhundert (= Epigraphische Studien. Band 14). Rheinland-Verlag, Köln 1985, S. 15–16 Nr. 6; Annalisa Tortoriello: I fasti consolari degli anni di Claudio (= Atti della Accademia Nazionale dei Lincei. Classe di scienze morali, storiche e filologiche. Memorie serie IX, volume XVII, fascicolo 3). Bardi, Rom 2004, S. 428 mit Anm. 35 und S. 619; Detlef Liebs: Nerva filius – Selbstmord auf Wunsch des Kaisers? In: Holger Altmeppen, Ingo Reichard, Martin Josef Schermaier (Hrsg.): Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag. Müller, Heidelberg 2009, S. 651–665, hier S. 653 (Digitalisat).
  10. Siehe etwa John D. Grainger: Nerva and the Roman succession crisis of AD 96–99. Routledge, London 2003, S. 28; Tom W. Hillard, J. Lea Beness: The Ancestry of Nerva. In: The Classical Quarterly. Band 65, 2015, S. 756–765, hier S. 764.
  11. Tacitus, Annalen 6,26, in anderer Wendung das gleiche asudrückend dort auch als continuus principi bezeichnet.
  12. Sextus Pomponius in den Digesten 1,2,2,48.
  13. Tacitus, Annalen 4,58.
  14. Cassius Dio 58,21,4.
  15. a b Tacitus, Annalen 6,26.
  16. Anton van Hooff: Hatten antike Selbstmörder eine Psyche? In: Psychotherapie. Band 4, 1999, S. 213–224, hier S. 213–214 (Digitalisat).
  17. Frontin, de aquis 2,102: scientia iuris inlustris.
  18. Zusammengestellt bei Otto Lenel: Palingenesia juris civilis. Band 1. Tauchnitz, Leipzig 1889, Sp. 787–790 (Digitalisat).
  19. Prosopographia Imperii Romani (PIR) S 384 (Digitalisat).
  20. Frontin, de aquis 2,102: divi Nervae avus.