Das Massaker von Oleniwka ist ein mutmaßliches Kriegsverbrechen im Rahmen der russischen Invasion in der Ukraine, das sich am 29. Juli 2022 ereignete. Bei dem Vorfall wurde ein Gebäude durch Explosionen zerstört, in dem ukrainische Kriegsgefangene in einem von Russland betriebenen Gefängnis bei Oleniwka untergebracht waren. Dabei wurden 53 bis 62 ukrainische Kriegsgefangene getötet und 75 bis 130 verwundet.

Das Gefängnis nach der Explosion

Hergang der Geschehnisse

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Das Gefängnis liegt in Molodischne, in der Nähe von Oleniwka, einer Ortschaft in dem von den Russen weitgehend besetzten Oblast Donezk. Bei den dort untergebrachten Gefangenen handelte es sich hauptsächlich um Soldaten aus dem Asowstahlkomplex, der letzten ukrainischen Festung während der Belagerung von Mariupol.[1] In der Nacht zum 29. Juli 2022 wurde eine einzelne Baracke eines Gefängnisses in Molodischne durch eine Explosion beschädigt, wobei Dutzende Häftlinge getötet und verletzt wurden. Nach Angaben Russlands starben 53 ukrainische Kriegsgefangene,[2] weitere 75 wurden verwundet.[3] Die ukrainische Seite sprach von etwa 40 Toten und 130 Verwundeten.[4] Viele der gefangenen Asow-Kämpfer waren einige Tage zuvor dorthin gebracht worden. Denis Puschilin, der Führer der völkerrechtswidrig annektierten Oblast Donezk (vgl. Volksrepublik Donezk), gab an, dass sich unter den 193 Insassen des Gefangenenlagers keine Ausländer befänden, machte jedoch keine Angaben zur Zahl der gefangen gehaltenen Ukrainer.[2] Russische Beamte gaben eine Liste verstorbener Kriegsgefangener heraus, ukrainische Beamte erklärten, sie seien nicht in der Lage, diese Liste zu überprüfen.[5]

Vier Tage nach der Explosion erklärte das Oberste Gericht der Russischen Föderation die Brigade Asow zu einer terroristischen Vereinigung,[6] woraufhin der ukrainische Militärgeheimdienst erklärte, dies solle das Massaker im Gefängnis von Oleniwka und andere Gräueltaten an ukrainischen Kriegsgefangenen rechtfertigen.[7] Am 11. Oktober 2022 wurden die Leichen von 62 Soldaten, darunter auch in Oleniwka getötete Kriegsgefangene, an die Ukraine zurückgegeben.[8]

Der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte erklärte, die Russen hätten die Kaserne in die Luft gesprengt, um die dort stattfindende Folterung und Ermordung ukrainischer Kriegsgefangener zu vertuschen, und die ukrainischen Behörden legten Satellitenbilder von bereits ausgehobenen Gräbern und abgefangenen Nachrichten vor, die auf die illegalen russischen Machenschaften hindeuteten,[9][10] während Russland behauptete, eine HIMARS-Rakete sei von ukrainischem Hoheitsgebiet aus abgeschossen worden und hätte das Gebäude zerstört.[11] Später freigekommene ukrainische Kriegsgefangene, die sich zum Zeitpunkt der Geschehnisse in Oleniwka befanden, berichteten, dass Fragmente von HIMARS-Raketen in einer Inszenierung für die russische Presse ausgelegt und später wieder eingesammelt wurden.[12]

Untersuchungen

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Journalistische Ermittlungen

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Als die russische Seite Videos und Fotos aus dem Inneren der Baracke veröffentlichte, stellte eine Analyse von CNN fest, dass die russische Version der Ereignisse höchstwahrscheinlich eine Erfindung ist, da eine HIMARS-Rakete nicht einen solchen Schaden habe verursachen können. Der Analyse zufolge war die wahrscheinlichste Ursache der Explosion ein Brandsatz, der im Inneren des Gefangenenlagers gezündet wurde.[13] Unabhängige Untersuchungen, die sich auf die Arbeit von Forensikern und Waffenexperten sowie auf Satellitenbilder stützten, ergaben, dass die russische Version der Ereignisse höchstwahrscheinlich Desinformation ist, da es praktisch unwahrscheinlich ist, dass die Schäden durch HIMARS verursacht wurden. Es gibt eindeutige Beweise, dass das Gefängnis durch eine im Gebäude gezündete Bombe gesprengt wurde.[10][13][14] Das Institut für Kriegsstudien erklärte, die verfügbaren visuellen Beweise stützten die ukrainische Version der Ereignisse, da die Art der Explosionen nicht mit einem HIMARS-Schlag übereinstimme, könne aber nicht mit Sicherheit sagen, welche Seite verantwortlich sei.[15]

Die ukrainische Freiwilligeninitiative InformNapalm wies Russland die Schuld zu, indem sie behauptete, sie hätten einen Raketenwerfer des Typs RPO-A oder eine MRO-A-Rakete eingesetzt und darauf gewartet, dass die Gefangenen bei lebendigem Leib verbrennen.[16]

Ukrainische Behörden

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Der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin erklärte, dass „nach vorläufigen Angaben internationaler Experten Gefangene in der besetzten Strafkolonie Oleniwka mit thermobarischen Waffen getötet wurden“.[17][18] Die Tötung von Kriegsgefangenen wird als Kriegsverbrechen verfolgt.

Der Sicherheitsdienst der Ukraine veröffentlichte Mitschnitte von aufgezeichneten Telefongesprächen zwischen russischen Soldaten, aus denen hervorging, dass russische Soldaten einen Sprengsatz in dem Gebäude platziert hatten. Der SBU fügte hinzu, dass nach den verfügbaren Videobeweisen einige Fenster unversehrt geblieben seien und dass in Augenzeugenberichten kein Beschuss oder Geräusche erwähnt werden, wie sie sonst bei einem Raketeneinschlag zu vernehmen sind.[19] Nach Angaben des Militärgeheimdiensts wurde die Explosion von der Gruppe Wagner durchgeführt, die wegen Kriegsverbrechen in Afrika, Syrien und der Ukraine angeklagt ist.[20][21]

Vereinte Nationen und Internationaler Strafgerichtshof

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Am 3. August 2022 kündigte UN-Generalsekretär Guterres seine Entscheidung an, eine Untersuchungsmission einzurichten, wie sie sowohl von Russland als auch von der Ukraine gefordert wurde.[22] Das ukrainische Außenministerium wandte sich wegen des Angriffs, den es als russisches Kriegsverbrechen bezeichnete,[23] an den Internationalen Strafgerichtshof, und Russland erklärte, es leite seine eigenen Ermittlungen ein. Russische und ukrainische Beamte forderten auch das Internationale Rote Kreuz und die Vereinten Nationen auf, sich einzuschalten.[24][25] Am späten Abend des 30. Juli erklärte Russland, es werde die Vertreter dieser Organisationen auf das Gelände lassen.[26] Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz erklärte jedoch, es habe weder eine Einladung noch eine Antwort auf sein eigenes Ersuchen um einen Besuch vor Ort erhalten.[1][27] Bis Oktober 2022 wurde weder internationalen Beobachtern noch humanitären Organisationen der Zutritt nach Oleniwka oder der Zugang zu den Überlebenden gestattet und die russische Seite hat nie eine detaillierte Liste der Gefallenen und Verwundeten veröffentlicht oder deren Angehörige benachrichtigt, ebenso wenig wie das IKRK, das sie bei ihrer Übergabe in Mariupol offiziell als Kriegsgefangene registriert hat.[1][17][28]

Aufgrund des Fehlens klarer Sicherheitsgarantien gab Stephane Dujarric im Januar 2023 in einer UNO-Pressekonferenz bekannt, dass die UN-Mission aufgelöst werde und wieder aufgenommen werden könne, sobald solche Sicherheitsgarantien für eine Arbeit der Inspektoren vor Ort vorhanden seien.[29][30]

Im März 2023 gab das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte in seinem Bericht über die Behandlung von Kriegsgefangenen während des Russisch-Ukrainischen Krieges an, neue Details des Massakers aufgedeckt zu haben, die auf eine russische Schuld hindeuten. Dazu gehören die Verlegung der Gefängniswärter aus den Kasernen, das Ausheben eines befestigten Grabens für die Wärter, das Tragen von kugelsicheren Westen und Helmen durch die Wärter und das Abfeuern eines neu installierten BM-21-Raketensystems, um die Geräusche der Explosionen zu überdecken.[31] In einer Erklärung zum Jahrestag der Ereignisse erklärte Volker Türk, UN-Kommissar für Menschenrechte, die Umstände der Explosionen seien weiterhin unklar, ein Angriff mittels HIMARS könne jedoch ausgeschlossen werden.[32][33] Am 4. Oktober 2023 heißt es in einem UN-Bericht zu dem Fall, dass die Explosion nicht mit der eines HIMARS übereinstimme und dass „das Muster der strukturellen Schäden mit einem Geschoss übereinstimmt, das sich von Osten nach Westen bewegt hat“. In dem Bericht wird Russland außerdem vorgeworfen, Gefangene in Lagern zu nahe an der Frontlinie gefangen zu halten und sie damit dem Risiko eines Treffers auszusetzen.[34]

Einzelnachweise

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  1. a b c Halya Coynash: Admission of guilt: Russia blocks international investigation of Olenivka mass killing of Ukrainian POWs. In: Human Rights in Ukraine. Kharkiv Human Rights Protection Group, 7. September 2023, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  2. a b Susie Blann: Russia, Ukraine trade blame for deadly attack on POW prison. In: AP News. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  3. Russia accuses Ukraine of killing POWs with HIMARS system. In: Al Jazeera. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  4. Внаслідок обстрілу Оленівки близько 40 осіб загинуло, 130 поранено – розпочато провадження. In: Armyinform. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (ukrainisch).
  5. Kateryna Stepanenko, Frederick W. Kagan: Russian Offensive Campaign Assessment, July 30. In: Institute for the Study of War. 30. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch).
  6. Susie Blann, Suzan Fraser: Russia designates Ukraine's Azov Regiment terrorists. In: Public Broadcasting Service. 2. August 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch).
  7. Branding Azov fighters as terrorists, Russia seeks to justify its own war crimes – Ukrainian intelligence. In: The New Voice of Ukraine. 3. August 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch, Yahoo News).
  8. Україна повернула тіла військових, загиблих під час теракту в Оленівці. In: Militarnyi. 11. Oktober 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (ukrainisch).
  9. Russians struck Olenivka to cover up the torture and execution of prisoners General Staff of the Armed Forces of Ukraine. In: Ukrajinska Prawda. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch, Yahoo News).
  10. a b Luke Harding: ‘Absolute evil’: inside the Russian prison camp where dozens of Ukrainians burned to death. In: The Observer. 6. August 2022, ISSN 0029-7712 (britisches Englisch, theguardian.com [abgerufen am 29. Januar 2024]).
  11. Russia says Ukraine struck prison in Donetsk region, killing 40. In: Reuters. 29. Juli 2022, ISSN 2293-6343 (englisch, reuters.com [abgerufen am 29. Januar 2024]).
  12. Susie Blan und Hanna Arhirova: 2 years after Ukrainian POW deaths, survivors and leaked UN analysis point to Russia as the culprit. AP News, 25. Juli 2024, abgerufen am 27. Juli 2024 (englisch).
  13. a b Tim Lister, Gianluca Mezzofiore, Vasco Cotovio, Benjamin Brown, Kostan Nechyporenko: Russia claims Ukraine used US arms to kill jailed POWs. Evidence tells a different story. In: CNN. 11. August 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch).
  14. Tim Lister, Gianluca Mezzofiore: UN rejects Russian account of attack that killed 50 Ukrainian prisoners, confirming findings of a CNN investigation. In: CNN. 25. Juli 2023, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch).
  15. Kateryna Stepanenko, Karolina Hird, Grace Mappes, Layne Phillipson, Katherine Lawlor, Frederick W. Kagan: Russian Offensive Campaign Assessment, July 29. In: Institute for the Study of War. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch).
  16. Россия сожгла украинских военнопленных во сне с помощью термобарического оружия. In: InformNapalm. 31. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (ukrainisch).
  17. a b 40 days since Olenivka tragedy: Russia still not let international experts in, relatives of POWs release statement. In: Ukrajinska Prawda. 6. September 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch, Yahoo News).
  18. Kateryna Tyshchenko: Olenivka prisoners could have been killed with thermobaric weapons – Prosecutor General of Ukraine. In: Ukrajinska Prawda. 1. August 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  19. Kateryna Tyshchenko: Explosion in the Olenivka penal colony planned and executed by the Russian Federation – conversation intercepted by SSU. In: Ukrajinska Prawda. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  20. Tim Lister, Julia Kesaieva, Josh Pennington: Ukrainian President Volodymyr Zelensky says prison attack ‘deliberate war crime by the Russians,’ as Russia blames Ukraine. In: CNN. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (amerikanisches Englisch).
  21. Intelligence: Russia’s Wagner Group behind attack on Olenivka penal colony. In: The Kyiv Independent. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  22. U.N. chief launches fact-finding mission into Ukraine prison attack. In: Reuters. 4. August 2022, ISSN 2293-6343 (englisch, reuters.com [abgerufen am 29. Januar 2024]).
  23. Ukraine appeals to International Criminal Court after prison attack. In: Reuters. 29. Juli 2022, ISSN 2293-6343 (englisch, reuters.com [abgerufen am 29. Januar 2024]).
  24. Russia says it has invited U.N., Red Cross experts to probe jail deaths. In: Reuters. 30. Juli 2022, ISSN 2293-6343 (englisch, reuters.com [abgerufen am 29. Januar 2024]).
  25. AFU General Staff, SBU, Main Intelligence Agency and Rada Commissioner for Human Rights demand that UN, ICRC immediately respond to terrorist attack of Russia on Olenivka – statement. In: Interfax. 30. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  26. Война в Украине: хроника событий 29 июля–19 августа 2022. In: BBC. 29. Juli 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (russisch).
  27. Olenivka penal facility: Prisoners of war and ICRC’s role. In: Internationales Komitee vom Roten Kreuz. 3. August 2022 (englisch, icrc.org [abgerufen am 29. Januar 2024]).
  28. Russia-Ukraine international armed conflict: ICRC asks for immediate and unimpeded access to all prisoners of war. In: Internationales Komitee vom Roten Kreuz. 14. Oktober 2022, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  29. ООН распустила миссию по расследованию обстрела колонии в Еленовке, Meduza, 6. Januar 2023
  30. UN disbands Olenivka investigative mission, nv.ua, 6. Januar 2023
  31. Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte: OHCHR report on the Treatment of Prisoners of War and Persons Hors de Combat in the Context of the Armed Attack by the Russian Federation against Ukraine: 24 February 2022 – 23 February 2023. Vereinte Nationen, 24. März 2023 (englisch, ukrainisch, russisch, ohchr.org [PDF; abgerufen am 29. Januar 2024]).
  32. Türk decries lack of accountability for Olenivka killings, Presseerklärung des Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, 25. Juli 2023
  33. Martin Fornusek: UN rejects Russia’s claims on Olenivka prison massacre. In: The Kyiv Independent. 25. Juli 2023, abgerufen am 29. Januar 2024 (englisch).
  34. Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte: Report on the Human Rights Situation in Ukraine: 1 February – 31 July 2023. Vereinte Nationen, 4. Oktober 2023 (englisch, ohchr.org [PDF; 2,6 MB; abgerufen am 29. Januar 2024]).