Membra Jesu nostri

Zyklus von sieben Passions-Kantaten von Dieterich Buxtehude

Membra Jesu nostri, mit vollem Titel: Membra Jesu nostri patientis sanctissima (lateinisch, „Die allerheiligsten Gliedmaßen unseres leidenden Jesus“) ist ein Zyklus von sieben Passions-Kantaten des dänisch-deutschen Barockkomponisten Dieterich Buxtehude (BuxWV 75).

Entstehung

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Titelblatt der Tabulatur mit Widmung an Düben

Buxtehude schrieb das Werk 1680. Überliefert ist es in einer autographen Tabulatur-Handschrift, die sich in der Sammlung des Stockholmer Hofkapellmeisters und Organisten Gustav Düben erhalten hat. Dieser war mit Buxtehude befreundet und auch der Widmungsträger des Werkes.

Der Text des Werkes kombiniert Bibelverse mit Versen einer mittelalterlichen Andachtsdichtung, die zu Buxtehudes Zeit unter dem Namen Domini Bernhardi Oratio Rhythmica (Herrn Bernhards Reimgebet) bekannt war und als Werk des heiligen Bernhard von Clairvaux angesehen wurde, heute aber Arnulf von Löwen zugeschrieben wird. Diese Dichtung besteht aus sieben Teilen, die in aufsteigender Reihenfolge einer Körperpartie des Gekreuzigten gewidmet sind: Füße, Knie, Hände, Seite, Brust, Herz, Gesicht.[1] Jeder Teil hat fünf zehnzeilige Strophen (der dem Herz gewidmete Teil sieben), von denen jede wieder in zwei fünfzeilige Halbstrophen unterteilt ist. Der siebte Teil Salve caput cruentatum hatte schon Paul Gerhardt als Vorlage für das Kirchenlied O Haupt voll Blut und Wunden gedient, das der Passionchoral schlechthin wurde und auch von Johann Sebastian Bach in der Matthäus-Passion verwendet wurde. Auch Paul Gerhardts Lieder Sei mir tausendmal gegrüßet und O Herz des Königs aller Welt sind Übertragungen des ersten bzw. sechsten Teils dieses Zyklus. Als mögliche Textvorlage für Buxtehude gilt eine lateinisch-deutsche Ausgabe von Joseph Wilhelmi, die 1633 erstmals erschien.[2]

Aus den jeweils zehn oder vierzehn Halbstrophen jedes Teils der Rhythmica Oratio wählte der Kompilator (vermutet wird Buxtehude selbst) für jeden Körperteil jeweils drei aus. Als Rahmen für die drei Halbstrophen wählte er passende Bibelstellen aus, die sich auf den jeweiligen Körperteil bezogen.

Der Zyklus besteht der literarischen Vorlage entsprechend aus sieben einzelnen Kantaten, die in aufsteigender Reihenfolge einer Körperpartie des Gekreuzigten gewidmet sind. Die einzelnen Kantaten haben in der Regel den folgenden Aufbau:

  • Sonata: instrumentale Einleitung
  • Concerto: Bibelwort, das auf das jeweilige Körperteil hinweist (meist dem Alten Testament entnommen), als Chorstück (meist SSATB, in Kantate 5 ATB, in Kantate 6 SSB, wobei der „Chor“ aus den Solosängern bestehen kann)
  • drei musikalisch ähnliche bis identische Arien auf den Text von drei Halbstrophen der Oratio Rhythmica (meistens zwei Soli und ein Terzett) mit dazwischen liegenden Instrumentalritornellen
  • Wiederholung des Concerto
Nr. Titel Übersetzung Bibelwort Bibelstelle Strophenbeginn
1 Ad pedes An die Füße Ecce super montes Nah 2,1 EU Salve, mundi salutare
2 Ad genua An die Knie Ad ubera portabimini Jesaja 66,12 EU Salve Jesu, rex sanctorum
3 Ad manus An die Hände Quid sunt plagae istae Sach 13,6 EU Salve Jesu, pastor bone
4 Ad latus An die Seite Surge amica mea Hld 2,13–14 EU Salve latus salvatoris
5 Ad pectus An die Brust Sicut modo geniti 1 Petr 2,2–3 EU Salve salus mea, deus
6 Ad cor An das Herz Vulnerasti cor meum Hld 4,9 EU Summi regis cor aveto
7 Ad faciem An das Gesicht Illustra faciem tuam Ps 31,17 EU Salve, caput cruentatum

Der Grundaufbau wird in den Rahmenkantaten 1 und 7 variiert durch stärkeren Choreinsatz, der ihnen besonderes Gewicht verleiht, während die Kantaten 5 und 6, die der Brust und dem Herzen gewidmet sind, kleiner besetzt sind als die übrigen, um die Innerlichkeit dieser Teile zu betonen. Im Einzelnen weichen die Kantaten wie folgt von dem Grundschema ab:

  • In Kantate 1 folgt auf die Wiederholung des Concertos eine Wiederholung der ersten Arie im Chorsatz.
  • In Kantate 5 und 6 wird das Bibelwort dreistimmig gesungen, alle Halbstrophen sind Soloarien.
  • Die Kantate 6 (An das Herz), „das Herzstück des gesamten Zyklus“[3] wird von einem fünfstimmigen Gamben-Consort begleitet.
  • In Kantate 7 singt der Chor die dritte Halbstrophe. Anschließend wird nicht das Concerto wiederholt, sondern es folgt ein abschließender Chorsatz Amen.

Die Aufführungsmaterialien, die Gustav Düben aus der originalen Tabulatur anfertigte, zeigen, dass zumindest er das Werk nicht im zyklischen Zusammenhang, sondern zu unterschiedlichen Zeiten aufführte. Auf die Absichten Buxtehudes kann hieraus allerdings nicht geschlossen werden.

Besetzung

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Fünf Gesangsstimmen (Sopran I/II, Alt, Tenor, Bass mit Ensemble- und Solo-Aufgaben), Violine I/II, Violone (in der 6. Kantate stattdessen ein fünfstimmiges Gamben-Ensemble), Basso continuo

Gustav Düben fügte, möglicherweise der damaligen Aufführungspraxis entsprechend, dem originalen Stimmensatz eine „Complemento“ betitelte, mittlere Streicherstimme hinzu, die heutzutage üblicherweise nicht für Aufführungen berücksichtigt wird.

Bedeutung

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Die Membra Jesu nostri sind Musterbeispiele der hochbarocken „Concerto-Aria-Kantate“. Hervorzuheben ist sowohl ihre formale Geschlossenheit als auch ihre starke Expressivität. Zahlreiche Musiker auf dem Gebiet der historischen Aufführungspraxis haben Aufführungen und Einspielungen dieses Werks vorgelegt, so dass es inzwischen zu den bekannteren Schöpfungen der Kirchenmusik gezählt werden kann.

Aufnahmen

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Literatur

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  • Kerala J. Snyder: Dieterich Buxtehude: Organist in Lübeck. New York: Schirmer Books 1987, 1993. ISBN 0-02-873080-1.
2. überarbeitete und erweiterte Auflage (revised edition): University of Rochester Press, Rochester N.Y. 2007, ISBN 978-1-58046-253-2.
Deutsch (Übersetzung der 2. Auflage): Dieterich Buxtehude. Leben, Werk, Aufführungspraxis. Kassel: Bärenreiter 2007. ISBN 978-3-7618-1836-7.
  • Gunilla Eschenbach: Dietrich Buxtehudes Membra Jesu Nostri im Kontext lutherischer Mystik-Rezeption. In: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 88 (2004), S. 41–54
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Einzelnachweise

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  1. Lateinischer Text auf Wikisource
  2. Nach Eschenbach (Lit.), S. 44
  3. Eschenbach (Lit.), S. 49