Mucker (Königsberg)
Mucker war der volkstümliche Name einer christlich-pietistischen Sekte in Königsberg. Selbst bezeichneten sie sich als Theosophen.
Geschichte
BearbeitenJohann Wilhelm Ebel (1784–1861) wurde 1816 Archidiakon der altstädtischen Kirche in Königsberg und sammelte ab dem Ende der 1820er Jahre, gemeinsam mit dem Prediger Georg Heinrich Diestel, eine pietistische Gemeinde um sich. An diesem Kreis beteiligten sich auch Männer und Frauen aus den führenden Familien Königsbergs und dem führenden Adel.
Ebel und Diestel nahmen die Lehren von Johann Heinrich Schönherr (1771–1826) auf. „Eine Hauptrolle spielte hier die Schönherrsche Vorstellung von den Haupt- und Nebennaturen, den Licht- und Finsternisnaturen. Die Hauptnaturen haben die Pflege der Nebennaturen zu übernehmen. Dies geschieht durch offenes Aussprechen und Mitteilen ihrer geheimsten Gedanken, besonders der Sünden.“[1] Der australische Historiker Christopher Clark charakterisiert den Inhalt der Vorstellungen von Ebel und Diestel als „Eheberatung auf der Grundlage einer eklektischen praktischen Theologie“.[2]
Die Aktivitäten von Ebel und Diestel führten zu zahlreichen Gerüchten, darunter, dass die Prediger zu Zügellosigkeit und außerehelichem Geschlechtsverkehr ermuntern würden und dass zwei junge Frauen an den Folgen allzu großer Erregung gestorben seien. Dies führte 1835 zu einer Untersuchung durch den Oberpräsidenten der Provinz Preußen, Theodor von Schön, und einem in ganz Deutschland beachteten langwierigen Prozess, dem Königsberger „Muckerprozeß“ (1835–1845), über den die Presse ausführlich und kontrovers berichtete.[3] Als Ergebnis wurden Ebel und Diestel 1839 bzw. 1842 ihrer Ämter entsetzt, verloren ihre preußische Nationalkokarde, und Diestel wurde zudem in einer Korrektionsanstalt inhaftiert.
Möglicherweise war es ein Teil der Bewegung, der nach Brasilien emigrierte. Jakobine Maurer, deutschstämmige Tochter von André Mentz und Maria Elisabeth Müller, gründete ab 1870 in Sapiranga eine Glaubensgemeinschaft, die sich Mucker nannte und Jakobine Maurer als Reinkarnation Christi verehrte. 1874 wurde die Bewegung durch brasilianisches Militär aufgelöst und Jakobine Maurer erschossen.
Schriften
Bearbeiten- Johann Wilhelm Ebel:
- Die Weisheit von Oben. 1823.
- Der Tagesanbruch. 1824.
- Die gedeihliche Erziehung. 1825.
- Die Was es gilt im Christenthum. 1825.
- Winke zum Verständnis der Bibelworte. 1828.
- Die apostolische Predigt. 1834.
- Die Treue. 1835.
- Georg Heinrich Diestel:
- Wie das Evangelium entstellt wird. 1833.
- Scheidung und Unterscheidung. 1834.
- Ursache und Wirkung. 1835.
- Staat und Kirche. 1835.
- Johann Wilhelm Ebel, Georg Heinrich Diestel: Verstand und Vernunft im Bunde mit der Offenbarung Gottes. 1837.
Siehe auch
Bearbeiten- Stephanisten, auch als Mucker von Dresden bezeichnete Gruppe um den dortigen Pfarrer Martin Stephan.
Literatur
Bearbeiten- Olshausen: Lehre und Leben des königsberger Theosophen Joh. Heinr. Schönherr. Königsberg 1834.
- Mucker. In: Christian Gotthold Neudecker: Allgemeines Lexicon der Religions- u. christlichen Kirchengeschichte für alle Confessionen: enthaltend die Lehren, Sitten, Gebräuche und Einrichtungen der heidnischen, jüdischen, christlichen und muhamedanischen Religion, aus der ältesten, älteren und neueren Zeit, der verschiedenen Parteien in denselben, mit ihren heiligen Personen, Mönchs- und Nonnenorden, Bekenntnißschriften und geweihten Stätten, insbesondere der griechisch- und römisch-catholischen und protestantischen Kirche. Band 5, Voigt, Weimar 1837, S. 442–444.
- Zuverlässige Nachrichten über Schönherr’s Leben und Theosophie. Königsberg i. Pr. 1839.
- Mucker. In: Conversations-Lexikon der Gegenwart. K bis O. Band 3, Brockhaus 1840, S. 748–750.
- Muckerthum. In: Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände. In Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikern. Hildburghausen 1840–1852, Band 22, 1852, S. 297–298.
- Hugo Daffner: Zur Psychopathologie der Königsberger Mucker. In: Archiv für Psychiatrie. Band 67, Heft 2 und 3, 1923.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Bruno Schumacher: Ebel, Johannes Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 4, Duncker & Humblot, Berlin 1959, ISBN 3-428-00185-0, S. 217 f. (Digitalisat).
- ↑ Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600–1947. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007, S. 486 f.
- ↑ Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600–1947. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007, S. 487.