Musée social

französische Denkfabrik

Das Musée social (Sozialmuseum), heutiger Name CEDIAS-Musée social (Centre d’études, de documentation, d’information et d’action sociales) ist ein französischer Think-Tank. Es wurde 1894 in Paris, 5 rue Las-Cases, 7. Arrondissement, als gemeinnützige private Stiftung gegründet. Ziel war die dauerhafte Aufbewahrung und Ausstellung der Dokumente des Pavillons für Sozialökonomie der Weltausstellung von 1889[1], der von Frédéric Le Play mit Émile Cheysson[2] als Sekretär eingerichtet und geleitet wurde.

7. Arrondissement von Paris

Gründung

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Die Gründung dieser Stiftung wurde möglich, weil insbesondere Jules Siegfried, Léon Say und Émile Cheysson auf den Grafen Aldebert de Chambrun[3] trafen, der sein Vermögen der Stiftung widmete. Siegfried war Präsident, Cheysson und Charles Robert fungierten als Vizepräsidenten.[4]

Trotz seines irreführenden Namens war das Sozialmuseum von Anfang an ein echtes Forschungsinstitut. Es gliederte sich in Abteilungen (Industrie, Landwirtschaft, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit …), eine allgemein zugängliche Fachbibliothek, Studien- und Forschungsabteilungen (städtische und ländliche Hygiene, Sozialversicherungen, Arbeitgeber-, Genossenschafts- und Arbeiterinstitutionen, Landwirtschaft …), organisierte kostenlose öffentliche Vorträge und einen Auskunftsdienst. Vor 1914 wurde das Sozialmuseum als „Vorzimmer der Kammer“ bezeichnet, da es bei der Vorbereitung bestimmter Sozial- und Städtebaugesetze eine wichtige Rolle spielte. Viele Vereine und Genossenschaften hatten hier ihren Sitz oder hielten hier zahlreiche Kongresse ab.

Das Musée social hatte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Ideen und die Verbreitung von Erfahrungen im sozialen Bereich mit dem Ziel eines „sozialen Friedens“, der von Frédéric Le Play als Alternative zu den revolutionären Vorschlägen der Zeit propagiert wurde. Viele Historiker sind der Ansicht, dass der französische Wohlfahrtsstaat auf die Arbeit des Musée social zurückgeht.[5]

Entstehung der Stadtplanung

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Das Musée social spielte auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Stadtplanung und der Ausarbeitung der ersten Städtebaugesetze nach dem Ersten Weltkrieg, der Cornudet[6]-Gesetze von 1919[A 1][7] und 1924[8], sowie bei der Einführung des Gartenstadtmodells in Frankreich, das von Ebenezer Howard erfunden und umgesetzt wurde. Mitglieder des Musée social waren auch die treibende Kraft bei der Gründung der Société française des urbanistes[A 2] (Französische Gesellschaft der Stadtplaner, SFU) im Jahr 1911, deren erster Sitz sich in der Rue Las-Cases befand.

Sozialer Wohnungsbau

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Das Sozialmuseum beherbergte von Anfang an die wichtigsten Akteure der Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus und insbesondere der HBM-Bewegung (Habitation à bon marché, Billiger Wohnraum): Emile Cheysson, Jules Siegfried, Henri Sellier usw.

Zusammenarbeit

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Seit seiner Gründung hat das Musée social die Genossenschaftsbewegung aktiv unterstützt. Der Graf von Chambrun finanzierte mehrere Genossenschaftsalmanache, die von Charles Gide und den französischen Konsumgenossenschaften herausgegeben wurden. Im Jahr 1896 finanzierte das Sozialmuseum den zweiten Kongress des Internationalen Genossenschaftsbundes und richtete ihn in seinem großen Versammlungssaal aus. Mehrere Persönlichkeiten des französischen Genossenschaftswesens waren Mitglieder des Musée social: Charles Gide, Achille Daudé-Bancel (Sekretär der Fédération nationale des coopératives de consommation), Edmond Briat (Generalsekretär der Chambre consultative des associations ouvrières de production), Charles Robert und andere.

1964 waren die Leiter der SCOP[A 3] und der FNCC[A 4] noch im Vorstand des Sozialmuseums.

Solidaritätsprinzip

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Das Musée social war 1902 der Auslöser für die Gründung der Fédération nationale de la mutualité française[A 5] (Nationale Vereinigung der französischen Gegenseitigigkeit). Léopold Mabilleau[9], der damalige Direktor des Musée social, wurde der erste Präsident der Mutualité française, die ihren Sitz bis Anfang der 1920er Jahre in der Rue Las-Cases hatte. Auch die Caisse régionale du Crédit agricole d’Île-de-France hatte hier ihren ersten Sitz. Bereits 1896 fand der zweite Kongress der Association Coopérative Internationale (Internationale Genossenschaftsvereinigung) statt, der vom Comte de Chambrun finanziert wurde.

Feministische Bibliothek

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Die Feministin Eliska Vincent trug eine umfangreiche Bibliothek über den Feminismus und die Kommunarden zusammen.[10] Als sie 1914 starb, vermachte sie ihre Sammlung dem Musée social, in der Hoffnung, dass dort ein feministisches Institut eingerichtet würde. Das Museum richtete 1916 eine Abteilung für Frauenstudien ein, aber trotz der Bemühungen von Marguerite Durand und Maria Vérone, den Verwalterinnen von Vincents Nachlass, nahm das Museum das Archiv nicht an.[10] Der Nachlass, der schätzungsweise 600.000 Dokumente umfasste, wurde 1919 abgelehnt. Der Grund dafür waren die Kosten für die Begleichung ausstehender Steuerschulden. Vincents Sammlung verschwand und wurde wahrscheinlich vernichtet.[11]

Internationaler Austausch

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Unter dem Namen „Le Studio franco-russe“[A 6] wurden in zwei Blöcken von November 1929 bis Mai 1930 und von November 1930 bis April 1931 im großen Saal des Musée social (300 Plätze) Vorträge und öffentliche Debatten organisiert, um den Kontakt zwischen der russischen Emigration und der französischen Intellektuellengemeinschaft zu fördern. Zu den russischen Rednern gehörten unter anderem Nicolas Berdjajew, Wladimir Weidlé und Nina Berberowa; zu den französischen Louis Martin-Chauffier, Benjamin Crémieux und Jacques Maritain. Russische Schriftsteller, die durch die Revolution aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, konnten sich so bei ihren französischen Kollegen Gehör verschaffen und Kontakte knüpfen.[12] Die Texte der Vorträge wurden in den Cahiers de la Quinzaine[13] veröffentlicht.[14]

Das 1957 gegründete Ateneo iberoamericano de Paris (Ibero-Amerikanisches Athenaeum in Paris), das sich am Sitz des Musée social befindet, ist ein mit der spanischen Diaspora in Frankreich verbundenes Kulturzentrum. Es hat auch portugiesische und lateinamerikanische Exilanten aufgenommen.[15]

Entwicklung

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1963 fusionierte das Sozialmuseum mit dem Office central des œuvres de bienfaisance (Zentralstelle für Wohlfahrtspflege) zum CEDIAS-Musée social (Centre d’études, de documentation, d’information et d’action sociales), das bis heute besteht. Neben der Sozialgeschichte befasst sich die Stiftung heute mit der zeitgenössischen Sozialarbeit. Ihre Aufgabe ist es, durch die Förderung von Studien, Austausch, Information und Dokumentation die Reflexion über die Sozialarbeit und die großen sozialen Probleme zu fördern. Die Bibliothek umfasst ca. 100.000 Bände (Monographien und Zeitschriften) und ist das Gedächtnis der Sozialarbeit, der Sozialwirtschaft und der Sozialgeschichte. Der Altbestand (von 1894 bis 1964) der Bibliothek ist seit 2008 als „Historisches Archiv“ eingestuft.

Literatur

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  • Christine Bard: „Les gardiennes de la mémoire.“ Bulletin Archives du féminisme, 2003.
  • Colette Chambelland: Le Musée social en son temps. Presses de l’École normale supérieure, 1998.
  • Janet Horne: Le Musée social à l’origine : les métamorphoses d’une idée. Association Le Mouvement Social, 1995, S. 47–69, JSTOR:3779538.
  • Janet Horne: A Social Laboratory for Modern France: The Musée Social and the Rise of the Welfare State. Duke University Press, 2002, ISBN 978-0-8223-2792-9 (archive.org).
  • Janet Horne: Le Musée social. Aux origines de l’État providence. Belin, 2004.
  • Susanna Magri: Les Laboratoires de la réforme de l’habitation populaire en France : de la Société française des habitations à bon marché à la Section d’hygiène urbaine et rurale du Musée social, 1889–1909. Ministère de l’équipement, du logement, des transports et du tourisme, 1995.
  • Karen Offen: European Feminisms, 1700–1950: A Political History. Stanford University Press, 2000, ISBN 978-0-8047-3420-2 (google.de).
  • Antoine Savoye, Fabien Cardoni: Frédéric Le Play, parcours, audience, héritage. École Des Mines De Paris.
  • Hélène Vacher: Projection coloniale et ville rationalisée : le rôle de l’espace colonial dans la constitution de l’urbanisme en France. Aalborg University Press, 1997.
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Anmerkungen

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  1. Das Gesetz Cornudet vom 14. März 1919 verpflichtete die Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern, innerhalb von drei Jahren einen Plan für die Gestaltung, Verschönerung und Erweiterung ihrer Stadt aufzustellen. Dieser Plan sollte, nachdem er vom Staatsrat für gemeinnützig erklärt worden war, zur verbindlichen Richtschnur für alle öffentlichen und privaten Arbeiten werden. Das Gesetz zielte vor allem auf den Wiederaufbau der zerstörten Städte in Nord- und Ostfrankreich ab.
  2. Siehe hierzu weiterführend fr:Société française des urbanistes in der französischsprachigen Wikipédia.
  3. Siehe hierzu weiterführend den Artikel fr:Société coopérative et participative in der französischsprachigen Wikipédia.
  4. Siehe hierzu auch fr:Fédération nationale des coopératives de consommateurs in der französischsprachigen Wikipédia.
  5. Die „Mutuelles“ sind nicht gewinnorientierte, auf dem Solidaritätsprinzip basierende Krankenversicherungen. Ausführlich dargestellt in fr:Fédération nationale de la mutualité française in der französischsprachigen Wikipédia; siehe aber auch Mutualismus (Ökonomie).
  6. Siehe dazu auch den Detailartikel fr:Le Studio franco-russe in der französischsprachigen Wikipédia.

Einzelnachweise

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  1. 120 ans au service de l’économie sociale. In: Cedias. Abgerufen am 6. März 2024 (französisch).
  2. CHEYSSON Émile , Jean Jacques Émile. In: La France savante. Abgerufen am 6. März 2024 (französisch).
  3. Aldebert, Joseph, Dominique Pineton de Chambrun. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 6. März 2024 (französisch).
  4. Horne 2002, S. 43
  5. Gérard Gaillard: Le Musée social. Aux origines de l’État providence. In: Sciences humaines. 2005, abgerufen am 8. März 2024 (französisch).
  6. Honoré, François-Joseph Cornudet des Chaumettes. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 6. März 2024 (französisch).
  7. Loi du 14 mars 1919 PLANS D’EXTENSION ET D’AMENAGEMENT DES VILLES. In: Légifrance. Abgerufen am 6. März 2024 (französisch).
  8. Loi du 19 juillet 1924 MODIFIANT LES ARTICLES 1ER, 4, 5, 6 ET 8 A 16 DE LA LOI DU 14 MARS 1919. In: Légifrance. Abgerufen am 6. März 2024 (französisch).
  9. MABILLEAU Léopold Auguste Marie. In: La France savante. Abgerufen am 7. März 2024 (französisch).
  10. a b Bard 2003
  11. Offen 2000, S. 7
  12. Leonid Livak, Gervaise Tassis: Le Studio franco-russe, textes réunis et présentés par Leonid Livak. Sous la rédaction de Gervaise Tassis. Toronto Slavic Library, 2005.
  13. Angaben zu Cahiers de la Quinzaine in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  14. Ralph Schor: Ecrire en exil : Les écrivains étrangers en France 1919–1939. CNRS éditions, 2013, ISBN 978-2-271-07624-3.
  15. Andrée Bachoud und Genevieve Dreyfus-Armand: Des Espagnols aussi divers que nombreux, Paris 1945–1975. In: Antoine Marès und Pierre Milza : Le Paris des étrangers depuis 1945. Éditions de la Sorbonne, 1995, ISBN 978-2-85944-863-9, S. 55–76 (openedition.org).