Myiasis
Klassifikation nach ICD-10 | |
---|---|
B87.- | Myiasis, Befall durch Fliegenlarven |
B87.0 | Dermatomyiasis (Hautmadenfraß) |
B87.1 | Wundmyiasis (Hautmyiasis, traumatisch) |
B87.2 | Ophthalmomyiasis (Myiasis des Auges) |
B87.3 | Nasopharyngeale Myiasis (Myiasis des Nasen und Rachenraumes) |
B87.4 | Otomyiasis (Myiasis des Ohres) |
B87.8 | Myiasis an sonstigen Lokalisationen |
B87.9 | Myiasis, nicht näher bezeichnet |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Die Myiasis (von griechisch μυῖα myia „Fliege“) oder auch Fliegenmadenkrankheit ist der Befall von Lebewesen mit den Larven (Maden) von Fliegen, die von dem Gewebe, den Körperflüssigkeiten oder dem Darminhalt des Wirtes leben. Die Fliegenarten legen ihre Eier auf die Haut, in Wunden oder Körperöffnungen und die daraus schlüpfenden Larven bohren sich in das Gewebe des Wirts.[1] Die Fliegenmaden ernähren sich von Gewebsbestandteilen und abgestorbenen Gewebsresten und können schwere Schäden verursachen.[2] Der Fliegenmadenbefall ist bei Menschen in Mittel- und Südamerika sowie in Regionen mit tropischem oder subtropischem Klima verbreitet. In der Tiermedizin kommt ein Fliegenmadenbefall auch in Europa häufiger vor. Der gezielte Einsatz von steriler Fliegenmaden (Madentherapie) wird medizinisch auch zur Wundbehandlung genutzt.
Auslöser
BearbeitenDie wichtigsten Auslöser einer Myiasis kommen aus den Familien Echte Fliegen (Muscidae), Lausfliegen (Hippoboscidae), Glossinidae, Schmeißfliegen (Calliphoridae), Fleischfliegen (Sarcophagidae) und Dasselfliegen (Oestridae).[3]
Man unterscheidet obligate Myiasis-Erreger wie Fleischfliegen, für deren Entwicklung der Befall eines Wirts zwingend notwendig ist,[4] fakultative Myiasis-Erreger, bei denen die Fliege normalerweise auf verdorbenes Fleisch legen und von übelriechenden Wunden angezogen werden, sowie zufällige Myiasis-Erreger, bei denen Eier mit ungekochter Nahrung aufgenommen werden.[5] Obligate Myiasis-Erreger haben Tiere als Wirt, der Mensch ist nur ein Zufallswirt, es handelt sich also um Zoonose-Erreger.[6]
Einteilung
BearbeitenNach Ort der Fliegenmaden unterscheidet man:[1]
- Dermatomyiasis in der Haut (Kutane Myiasis), meist als Wundmyiasis in Wunden
- Ophthalmomyiasis am oder im Auge
- Otomyiasis im Ohr
- Nasalmyiasis oder nasopharyngeale Myiasis im Nasen-Rachen-Raum
- Oralmyiasis in der Mundhöhle
- Enteromyiasis im Darm
- Urogenitalmyiasis im Harn- und Geschlechtsapparat
Dermatomyiasis (Kutane Myiasis)
BearbeitenDie Myiasis der Haut wird weiter in die Miasis externa, die Wander-Myiasis und die furunkuläre Myiasis unterteilt. Bei der Miasis externa legen die Fliegen in Eier in Wunden und die Larven ernähren sich von Wundsekret und Detritus. Beim Menschen sind hier insbesondere die Gold- (Lucilia sericata) und die Stubenfliege (Musca domestica) von Bedeutung. Larven von Gasterophilus intestinalis und Hautdasseln graben sich in die Unterhaut und bilden dort girlandenförmige Bohrgänge (Larva migrans cutanea). Arten wie die afrikanische Tumbufliege (Cordylobia anthropophaga), in Amerika Dermatobia hominis gelegentlich auch in Europa Hypoderma bovis können ebenfalls in tiefere Hautschichten eindringen und zur Bildung von Furunkeln führen.[7] Obligate Dermatomyiasis-Erreger sind neben der Tumbufliege die Altwelt-Schraubenwurmfliege (Chrysomya bezziana), die Neuwelt-Schraubenwurmfliege (Cochliomyia hominivorax) und die Lund-Fliege (Cordylobia rodhaini).[8]
Bei Tieren hat vor allem die durch Hautdasseln ausgelöste Hypodermose (Hypoderma bovis, Hypoderma lineatum) bei Rindern eine große wirtschaftliche Bedeutung.[9] Darüber hinaus treten als Dermatomyiasis-Erreger bei Rindern Dermatobia hominis, Calliphora albifrontalis, Calliphora nociva, Calliphora stygia, Calliphora vicina, Calliphora vomitoria, Goldfliege, Lucilia cuprina, Lucilia illustris, Protophormia terraenovae, Phormia regina, Tumbufliege, Neuwelt-Schraubenwurmfliege, Cochliomyia macellaria, Altwelt-Schraubenwurmfliege, Chrysomya megacephala, Wohlfahrtia magnifica und Sarcophaga haemorrhoidalis auf.[10] Bei Schafen ist Lucilia cuprina der bedeutendste Erreger („sheep strike“ oder „breech-strike“), darüber hinaus kommen Przhevalskiana silensis, Dermatobia hominis, Hypoderma diana, Calliphora augur, Calliphora albifrontalis, Calliphora nociva, Calliphora stygia, Calliphora vicina, Calliphora vomitoria, Goldfliege, Protophormia terraenovae, Phormia regina, Cordylobia anthrophaga, Neuwelt-Schraubenwurmfliege, Cochliomyia macellaria, Altwelt-Schraubenwurmfliege, Chrysomya megacephala, Wohlfahrtia magnifica, Wohlfahrtia meigeni und Wohlfahrtia vigil vor.[11] Bei Schweinen wurden Cordylobia anthropophaga, Cochliomyia hominivorax, Cochliomyia macellaria, Chrysomya bezziana, Chrysomya megacephala, Wohlfahrtia magnifica, Wohlfahrtia meigeni, Wohlfahrtia vigil und Dermatobia hominis beobachtet.[12] Bei Hunden und Katzen kommen Cordylobia anthropophaga, Cochliomyia hominivorax, Cochliomyia macellaria, Chrysomya bezziana, Chrysomya megacephala, Wohlfahrtia magnifica, Wohlfahrtia meigeni, Wohlfahrtia vigil und Dermatobia hominis vor.[13] Bei Kaninchen treten Lucilia sericata und Wohlfahrtia vigil auf.[14] Bei Puten konnten bislang Cochliomyia hominivorax und Wohlfahrtia magnifica nachgewiesen werden.[15]
Enteromyiasis
BearbeitenEine Darmmyiasis wird beim Menschen zumeist von fakultativen Myiasis-Erregern verursacht, etwa 50 Fliegenarten können eine solche Erkrankung auslösen. Dazu gehören Arten der Gattungen Musca, Calliphora, Sarcophaga, Fannia, Erisatalis und Drosophila. Sie wird durch zufällige Aufnahme von Fliegeneiern mit der Nahrung oder Getränken verursacht oder durch Eindringen aus der Analregion in den Mastdarm. Bei den oral aufgenommenen ist umstritten, ob die Fliegenmaden hier ihre Entwicklung vollenden können. Anders sieht es bei den Magendasseln aus, die den Magen-Darm-Trakt verschiedener Pflanzenfresser befallen.[16]
Bei Tieren gibt es dagegen obligate Darmyiasis-Erreger. Die Gasterophilose der Pferde wird durch verschiedene Dasselfliegen verursacht. Gasterophilus pecorum-Larven parasitieren in Mundhöhle und Speiseröhre, die Larven von Gasterophilus haemorrhoidalis, Gasterophilus inermis, Gasterophilus intestinalis, Gasterophilus nasalis, Gasterophilus pecorum im Magen und die von Gasterophilus nigricornis im Dünndarm.[17]
Urogenitalmyiasis
BearbeitenBei der Urogenitalmyiasis dringen Fliegenmaden in die unteren Harnwege oder in den Scheidenvorhof und die Vagina ein. Beim Menschen sind das vor allem die Kleine Stubenfliege (Fannia canicularis), aber auch Fannia scalaris, die Stubenfliege (Musca domestica), Musca stabulans und Teichomyza fusca wurden hier nachgewiesen. Betroffen sind meist Frauen, die in warmen Gebieten ohne Zudecke schlafen. Vaginalausfluss oder verschmutztes Schamhaar fördern diese Erkrankung.[16][18]
Ophthalmomyiasis
BearbeitenBei der Augenmyiasis unterscheidet man eine äußere (Ophthalmomyiasis externa) und innere Form (Ophthalmomyiasis interna). Bei der äußeren Form kommen Fliegenmaden auf der Bindehaut oder Augenoberfläche vor, gelegentlich dringen sie auch in die Tränenwege vor. Die Maden verursachen durch mechanische Reizung eine schmerzhafte Konjunktivitis, in letzterem Fall eine Dakryozystitis. Innere Formen können durch Dasselfliegen verursacht werden. Ihre Maden entwickeln sich normalerweise in der Haut oder im Wirbelkanal von Tieren. Menschen sind ein Fehlwirt. Hier können sie sich durch die Hornhaut oder weiße Augenhaut bohren und in die Augenkammern gelangen. Sie können eine Uveitis oder auch Schäden der Netzhaut verursachen.[19]
Nasalmyiasis
BearbeitenDer Befall der Nasenhöhle oder des Rachens erfolgt durch Nasendasseln der Tiere, der Mensch ist nur Zufallswirt. Die größte Bedeutung hat die Schafbremse (Oestrus ovis), beim Menschen kommt der Befall vor allem in südlichen Regionen auf und beschränkt sich auf wenige Wochen.[18]
Oralmyiasis
BearbeitenDer Fliegenmadenbefall der Mundhöhle ist sehr selten und tritt nur bei fehlender Mundhygiene oder faulenden Zähnen oder Kieferabszessen auf. Das Fliegenweibchen legt die Eier meist am Mundwinkel ab und die Maden wandern in die eitrigen Wunden bis zu den Zahnwurzeln.[18]
Bei Tieren gibt es obligate Oralmyiasis-Erreger. Gasterophilus nasalis befällt bei Pferden zunächst das Zahnfleisch, die weitere Entwicklung findet dann im Zwölffingerdarm statt.[20]
Otomyiasis
BearbeitenDer Fliegenlarvenfraß im Ohr (Otomyiasis) ist bereits im Mittelalter bekannt gewesen. Man sprach vom „Troll(e)“.[21][22] Er ist allerdings relativ selten und tritt vor allem nach eitriger Entzündung des Gehörgangs (Otitis externa) auf, die Fliegen zur Eiablage anlockt. Sehr selten kann es zum Eindringen in Mittel- oder gar Innenohr kommen.[19]
Behandlung
BearbeitenWunden sollten mit warmer Seifenlösung ausgewaschen werden und mit milden Antiseptika behandelt werden. Zur Abtötung der Fliegenmaden eignen sich Phosphorsäureester,[23] oder Ivermectin.[7] Alle Maden müssen möglichst abgesammelt werden, je nach Ausmaß kommen auch Antiphlogistika, Sedativa oder Antibiotika zum Einsatz.[24]
Vorbeugung
BearbeitenVorbeugend wirkt eine Fliegenbekämpfung. Hier sollten bevorzugt Wachstumshemmer und keine Insektizide eingesetzt werden. Wachstumshemmer gehören zur Gruppe der Benzoylphenyl-Harnstoffderivate (z. B. Lufenuron) oder Triazine.[25] Der Befall mit Lucilia cuprina ist eine in der Schafhaltung bedeutsame Erkrankung, wird als breech strike oder sheep strike bezeichnet und führte zur umstrittenen Praxis des Mulesing.[26]
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b Pschyrembel online: Myiasis. Abgerufen am 1. Februar 2025
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- ↑ Josef Boch: Veterinärmedizinische Parasitologie. Georg Thieme Verlag, 2006, ISBN 978-3-83044135-9, S. 265.
- ↑ Josef Boch: Veterinärmedizinische Parasitologie. Georg Thieme Verlag, 2006, ISBN 978-3-83044135-9, S. 281.
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- ↑ Jerome Goddard: Physician's Guide to Arthropods of Medical Importance. 5. Auflage. CRC Press, 2007, ISBN 978-1-4200-0820-3, S. 64.
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- ↑ Domenico Otranto, Richard Wall: Veterinary Parasitology. 5. Auflage. Wiley 2024, ISBN 978-1-394-17634-2, S. 238.
- ↑ Dasselkrankheit. Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV (blv.admin.ch)-
- ↑ Domenico Otranto, Richard Wall: Veterinary Parasitology. 5. Auflage. Wiley 2024, ISBN 978-1-394-17634-2, S. 485.
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