Naegleria gruberi
Naegleria gruberi ist eine Art (Spezies) der Gattung Naegleria. Sie hat die außergewöhnliche Fähigkeit, sich von einer Amöbe (ohne ein Mikrotubuli-Zytoskelett im Zytoplasma) in einen Flagellaten (mit einem deutlich entwickelten Mikrotubuli-Zytoskelett einschließlich Geißeln) zu verwandeln. Zu dieser „Umwandlung“ gehört die De-novo-Synthese von Basalkörpern bzw. Zentriolen.
Naegleria gruberi | ||||||||||||
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Mikroskopische Aufnahme von 3 freilebenden | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Naegleria gruberi | ||||||||||||
Schardinger, 1899[1][2] |
Forschungsgeschichte und Systematik
BearbeitenDie Erstbeschreibung von N. gruberi stammt aus dem Jahr 1899,[3] die Genomsequenz wurde 2010 veröffentlicht.[4][5]
Die Gattung Naegleria wird der Familie Vahlkampfiidae zugeteilt,[6] neuere Systematiken sehen diese als Mitglied der Tetramitia innerhalb der Heterolobosea.[7][8][9] Die Heterolobosea werden (als Mitglied der Percolozoa) zu den Discicristata gerechnet, zu denen noch die Euglenozoa gehören. Die Discicristata ihrerseits werden mit den Tsukubea und Jakobea/Jakobida heute zu den Discoba innerhalb der Excavata gestellt.
Früher hatte man lediglich die Jakobida mit den Euglenozoa und Heterolobosea mit den Jakobida zu einer Gruppe JEH zusammengefasst, ohne die Tsukubea und anderen Mitglieder der Percolozoa (die namensgebende Klasse Percolatea).
Der Stamm N. gruberi CCAP 1518/1c wird heute in eine eigene Spezies N. pringsheimi (Referenzstamm ATCC 30875) gestellt. Insgesamt wurde eine Vielzahl verschiedene Naegleria-Stämme isoliert, von denen die meisten ursprünglich N. gruberi zugeschrieben wurden. Molekulare Analysen zeigten jedoch, dass die Gruppe der so N. gruberi zugeordneten Stämme nicht monophyletisch sind. Daher wurden in der Gattung über 23 neue Spezies klassifiziert, N. pringsheimi ist eine von ihnen.[10]
Beschreibung
BearbeitenNaegleria gruberi ist ein nicht-pathogener Organismus der Biologischen Schutzstufe (Biosicherheitsstufe) 1, obwohl es sich um eine Schwesterart der tödlichen Naegleria fowleri handelt.[11]
N. gruberi ist ein freilebender Organismus, der aus feuchtem Boden und im Süßwasser isoliert werden kann.[4] Der Stamm NEG-M ist der einzige Naegleria-Vertreter, dessen Genom vollständig sequenziert ist (Kern- und Mitochondrien-Genom, Stand 2011). Die Genomsequenz kodiert für Aktin- und Mikrotubuli-Zytoskelette, eine mitotische und meiotische Maschinerie, sowie mehrere Transkriptionsfaktoren.[12][13]
Die Mitochondrien scheinen evolutionär sehr ursprünglich zu sein. Sie scheinen einem angenommenen entwicklungsgeschichtlichen Zwischenstadium zu ähneln, wie es nach der Endosymbiontentheorie die Vorfahren aller Eukaryoten (Ur-Eukaryoten oder Urkaryoten) nach dem Erwerb der (von Alphaproteobakterien abstammenden) Mitochondrien hatten. N. gruberi besitzt eine mitochondriale Fe-Hydrogenase und eine vollständige aerobe Atmungskette. Wie die Genom-Daten zeigen, ist dieser Mikroorganismus in der Lage, Glukose, verschiedene Aminosäuren und Fettsäuren über den Citratzyklus (auch Krebszyklus genannt) zu oxidieren.[12]
Man geht davon aus, dass die Vorfahren der heutigen Eukaryoten eine große Anzahl von Introns enthalten. Nach der Sequenzanalyse haben offenbar fast 36 % der Naegleria-Gene mindestens ein Intron und 17 % gleich mehrere Introns. Die Position der Introns ist konserviert, was darauf hindeutet, dass sie sehr alt sind. All dies unterstützt die Annahme der Ursprünglichkeit dieser Gattung.[12]
N. gruberi durchläuft eine geschlossene Mitose, bei der die Kernhülle nicht aufbricht, aber dennoch die typischen Stadien durchläuft. Nach der Multitubulin-Hypothese sollten (ursprünglich) Eukaryoten mehrere Tubulin-Gene mit unterschiedlichen Eigenschaften besitzen. Naegleria verwendet tatsächlich verschiedene Tubuline sowohl für die Mitose als auch für den Aufbau der Geißeln.[12] Diese 2011 erhaltenen Ergebnisse wurden im März 2022 nochmals bestätigt und erweitert.[14] Sie decken sich auch mit dem im April 2022 veröffentlichten Fund verschiedener Proteine bei der Odinarchaeota-Kandidatenspezies LCB_4 (Asgard-Archaeen), die offenbar Übergangsformen zwischen prokaryotischen Zellteilungsproteinen FtsZ und den eukaryotischen Tubulinen darstellen – das eher Tubulin-artige OdinTubulin und weitere eher FtsZ-artige Formen.[15] Moderne Versionen der Eozyten-Hypothese vermuten, dass die Ur-Eukaryoten entweder direkt aus der Asgard-Gruppe hervorgegangen sind oder aus deren unmittelbarer Nähe.
Die Beobachtungen deuten darauf hin, dass Naegleria in erster Linie ein ungeschlechtlicher Organismus ist, der sich durch Zweiteilung (Schizotomie) der Amöben fortpflanzt und so große klonale Populationen hervorbringt. Die Analyse des Genomstamms NEG-M ergab, dass dieser aus zwei verschiedenen Haplotypen besteht, die aus sich kreuzenden Populationen hervorgegangen sind. Der NEG-M-Stamm ist das heterozygote Ergebnis einer früheren Verpaarung zweier Stämme und scheint genetisch in der Lage zu sein, sich erneut zu paaren. Daher ist es wahrscheinlich, dass innerhalb Naegleria als Gattung oder zumindest innerhalb der einzelnen Naegleria-Spezies genetischer Austausch (Rekombination) möglich ist.[12] Unter Nährstoffmangel entwickelt N. gruberi ihre Geißel mit der Mikrotubulus-Struktur. Die beiden Geißeln sind allerdings nur vorübergehend vorhanden.[10] Neben dem Amöben- und dem Bi-Flagellaten-Stadium gibt es noch als dritte Form ein Zysten-Stadium.[10] Weitere Studien müssen jedoch noch durchgeführt werden.[12]
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ EOL: Naegleria gruberi Schardinger 1899
- ↑ GBIF: Naegleria gruberi Schardinger, 1899
- ↑ Naegleria. Abgerufen am 17. Januar 2009.
- ↑ a b Lillian K. Fritz-Laylin, Simon E. Prochnik, Michael L. Ginger, Joel B. Dacks, Meredith L. Carpenter, Mark C. Field, Alan Kuo, Alex Paredez, Jarrod Chapman, Jonathan Pham, Shengqiang Shu, Rochak Neupane, Michael Cipriano, Joel Mancuso, Hank Tu, Asaf Salamov, Erika Lindquist, Harris Shapiro, Susan Lucas, Igor V. Grigoriev, W. Zacheus Cande, Chandler Fulton, Daniel S. Rokhsar, Scott C. Dawson: The genome of Naegleria gruberi illuminates early eukaryotic versatility. In: Cell. 140. Jahrgang, Nr. 5, 5. März 2010, S. 631–642, doi:10.1016/j.cell.2010.01.032, PMID 20211133 (unt.edu).
- ↑ U.S. Department of Energy Joint Genome Institute (JGI): The Genome of Naegleria gruberi Illuminates Early Eukaryotic Versatility, Cell. März 2010, archiviert vom am 18. Juli 2015; abgerufen am 2. Juni 2022. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Memento im Webarchiv vom 18. Juli 2015.
- ↑ Sina M. Adl, Alastair G. B. Simpson, Mark A. Farmer, Robert A. Andersen, O. Roger Anderson, John A. Barta, Samual S. Bowser, Guy Bragerolle, Robert A. Fensome, Suzanne Fredericq, Timothy Y. James, Sergei Karpov, Paul Kugrens, John Krug, Christopher E. Lane, Louise A. Lewis, Jean Lodge, Denis H. Lynn, David G. Mann, Richard M. McCourt, Leonel Mendoza, Øjvind Moestrup, Sharon E. Mozley-Standridge, Thomas A. Nerad, Carol A. Shearer, Alexey V. Smirnov, Frederick W. Spiegel, Max F. J. R. Taylor: The New Higher Level Classification of Eukaryotes with Emphasis on the Taxonomy of Protists. In: The Journal of Eukaryotic Microbiology, Band 52, Nr. 5, 19. Oktober 2005, S. 399–451; doi:10.1111/j.1550-7408.2005.00053.x, PMID 16248873.
- ↑ Sina M. Adl, Alastair G. B. Simpson, Christopher E. Lane, Julius Lukeš, David Bass, Samuel S. Bowser, Matthew W. Brown, Fabien Burki, Micah Dunthorn, Vladimir Hampl, Aaron Heiss, Mona Hoppenrath, Enrique Lara, Line le Gall, Denis H. Lynn, Hilary McManus, Edward A. D. Mitchell, Sharon E. Mozley-Stanridge, Laura W. Parfrey, Jan Pawlowski, Sonja Rueckert, Laura Shadwick, Conrad L. Schoch, Alexey Smirnov, Frederick W. Spiegel: The Revised Classification of Eukaryotes. In: Journal of Eukaryotic Microbiology, Band 59, 28. September 2021, S. 429–514; doi:10.1111/j.1550-7408.2012.00644.x, PDF, PMID 23020233, PMC 3483872 (freier Volltext).
- ↑ NCBI Taxonomy Browser: Naegleria gruberi (species). Graphisch: Naegleria gruberi
- ↑ Naegleria gruberi
- ↑ a b c Sutherland Maciver: Naegleria. Maciver Lab, Edinburgh; Stand: 25. April 2003. Memento im WebArchiv vom 16. November 2007.
- ↑ CDC - Parasites — Naegleria fowleri — Primary Amebic Meningoencephalitis (PAM) — Amebic Encephalitis.
- ↑ a b c d e f Lillian K. Fritz-Laylin, Michael L. Ginger, Charles Walsh, Scott C. Dawson, Chandler Fulton: The Naegleria genome: a free-living microbial eukaryote lends unique insights into core eukaryotic cell biology. In: Research in Microbiology. 162. Jahrgang, Nr. 6, August 2011, S. 607–618, doi:10.1016/j.resmic.2011.03.003, PMID 21392573, PMC 4929615 (freier Volltext) – (sciencedirect.com).
- ↑ CDC - Parasites - Naegleria – Biology. Archiviert vom am 7. März 2012; abgerufen am 2. Juni 2022. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Memento im Webarchiv vom 7. März 2012.
- ↑
Katrina B. Velle, Andrew S. Kennard, Monika Trupinić, Arian Ivec, Andrew J. M. Swafford, Emily Nolton, Luke M. Rice, Iva M. Tolić, Lillian K. Fritz-Laylin, Patricia Wadsworth: Naegleria’s mitotic spindles are built from unique tubulins and highlight core spindle features. In: Cell, Band 32, Nr. 6, 28. März 2022, S. P1247-1261.e6; doi:10.1016/j.cub.2022.01.034, Epub: 8. Februar 2022. Dazu:
What brain-eating amoebae can tell us about the diversity of life on Earth and evolutionary history. By providing new insight into how Naegleria divides, an international team of researchers, led by UMass Amherst, adds to fundamental knowledge of life. Auf: EurekAlert! vom 22. Februar 2022. - ↑ Caner Akıl, Samson Ali, Linh T. Tran, Jérémie Gaillard, Wenfei Li, Kenichi Hayashida, Mika Hirose, Takayuki Kato, Atsunori Oshima, Kosuke Fujishima, Laurent Blanchoin, Akihiro Narita, Robert C. Robinson: Structure and dynamics of Odinarchaeota tubulin and the implications for eukaryotic microtubule evolution. In: Science Advances, Band 8, Nr. 12, 25. März 2022; doi:10.1126/sciadv.abm2225. Dazu:
Scientists discover potential key missing link protein bridging eukaryotes and prokaryotes. Auf: EurekAlert! vom 10. April 2022. Quelle: Tokyo Institute of Technology.