Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit
Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, kurz: OVKS (russisch Организация Договора о коллективной безопасности – ОДКБ Organisazija Dogowora o Kollektiwnoi Besopasnosti – ODKB; englisch Collective Security Treaty Organization – CSTO), ist ein im Jahre 2002 auf Grundlage des 1992 geschlossenen Vertrages über kollektive Sicherheit (VKS) gegründetes Militärbündnis zwischen mehreren früheren Mitgliedsstaaten der Sowjetunion, das von Russland angeführt wird. Oberstes Organ der OVKS ist der Rat für kollektive Sicherheit.
Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit OVKS | |
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Englische Bezeichnung | Collective Security Treaty Organization |
Russische Bezeichnung | Организация Договора о коллективной безопасности |
Sitz der Organe | Moskau, Russland |
Generalsekretär | Imanghali Tasmaghambetow |
Mitgliedstaaten | 5: |
Amts- und Arbeitssprachen | |
Gründung | OVKS: Vertragsschluss: 7. Oktober 2002 Inkrafttreten: 18. September 2003 VKS: Vertragsschluss: 15. Mai 1992 Inkrafttreten: 20. April 1994 |
odkb-csto.org |
Mitgliedstaaten
BearbeitenMitglieder der OVKS sind:
Mitgliedschaft ruhend:
- Armenien (Mitgliedschaft am 22. Februar 2024 eingefroren[1] – Austritt am 12. Juni 2024 angekündigt)[2][3][4][5]
Ehemalige Mitglieder sind:
- Aserbaidschan (VKS-Vertrag im Jahre 1999 nicht verlängert)
- Georgien (VKS-Vertrag im Jahre 1999 nicht verlängert)
- Usbekistan (VKS-Vertrag im Jahre 1999 nicht verlängert, Wiedereintritt in die OVKS im Juni 2006, erneuter Austritt im Juni 2012)
Beobachter der parlamentarischen Versammlung der OVKS sind:
- Serbien (seit 2013)
- Russisch-Belarussische Union
Geschichte
BearbeitenDie OVKS wurde am 7. Oktober 2002 in der moldauischen Hauptstadt Chișinău gegründet. Hervorgegangen ist sie aus einer mit dem Vertrag über kollektive Sicherheit (VKS) von 1992 gegründeten Staatenkooperation.
Im Rahmen des turnusmäßigen Vorsitzes in der OVKS hat Tadschikistan den Gründungsvertrag am 23. Dezember 2003 bei den Vereinten Nationen gemäß Artikel 102 Absatz 1 der UN-Charta registriert.
Truppeneinsatz in Kasachstan, Januar 2022
BearbeitenAufgrund von Massenprotesten in Kasachstan gegen Präsident Qassym-Schomart Toqajew richtete dieser ein Hilfe-Ersuchen an die OVKS. Kasachstan sei durch „Terroristen und im Ausland trainierte Gruppen“ in Gefahr.[6] Der russische Präsident Wladimir Putin behauptete, die Unruhen seien eine durch „kriminelle westliche Kräfte“ gestützte Farbenrevolution.[7]
Daraufhin wurden ab dem 6. Januar 2022 erstmals OVKS-Truppen in Kasachstan eingesetzt. Neben Russland entsandten auch Armenien, Belarus, Kirgisistan und Tadschikistan OVKS-Truppen nach Kasachstan, wovon manche völkerrechtswidrig die Abzeichen von UN-Friedenstruppen trugen.[8][9][10][11] Als Kommandeur des OVKS-Kontingents fungierte Andrei Nikolajewitsch Serdjukow.[12] Die kasachische Regierung erteilte einen Schießbefehl auf Demonstranten.[13]
Nachdem die Proteste gewaltsam niedergeschlagen worden waren, begann am 13. Januar 2022 wieder der Truppenabzug der OVKS, den das kasachische Verteidigungsministerium am 19. Januar für beendet erklärte.[14] Nach der Operation kündigte Toqajew Reformen an; zugleich waren tausende Demonstranten verhaftet und dutzende verletzt oder getötet worden.[15]
Armenisch-aserbaidschanischer Grenzkonflikt, September 2022
BearbeitenIm Rahmen des Armenisch-aserbaidschanischen Grenzkonflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan forderte der armenische Premierminister Nikol Paschinjan im September 2022 das Militärbündnis um Hilfe auf Basis des Artikels 4 der OVKS. Dieser besagt, dass jede „Aggression gegen OVKS-Mitgliedsstaaten von den anderen Teilnehmern als Aggression gegen alle betrachtet wird.“[16] Putin lehnte die Ausrufung des Bündnisfalles ab und entsandte nur Beobachter.[17] Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verurteilte bei einem Besuch in der armenischen Hauptstadt den Angriff Aserbaidschans.[18]
Als Reaktion auf die Untätigkeit der OVKS angesichts des Konflikts mit Aserbaidschan erklärte Paschinjan am 22. Februar 2024, dass die Mitgliedschaft Armeniens in dem Militärbündnis eingefroren wird. Auf die Stationierung russischer Soldaten in Armenien hat die Entscheidung zunächst keinen Einfluss, da diese durch andere Verträge geregelt ist.[1][19] Am 8. Mai 2024 gab Armenien bekannt, dass es seine finanziellen Beiträge an die OVKS eingestellt habe.[20] Russland reagierte auf diese Aussage scharf und verkündete, dass Armenien weiterhin Mitgliedsbeiträge zahlen müsse.[21] Am 12. Juni 2024 kündigte Armenien an, dass es aus der OVKS austreten werde. Ein Datum für den Austritt wurde jedoch nicht genannt.[21]
Aufgaben
BearbeitenAufgabe des Bündnisses ist offiziell die Gewährleistung der Sicherheit, Souveränität und territorialen Integrität der Mitgliedstaaten. Dies soll vornehmlich durch eine enge Zusammenarbeit in der Außenpolitik, in militärischen Angelegenheiten, in der Erforschung neuer militärischer Technologien sowie in der Bekämpfung grenzübergreifender Bedrohungen durch Terroristen und Extremisten erreicht werden.[22] In der Realität wird das Bündnis aber von Russland dominiert, welches auf diese Weise eine Möglichkeit sieht, die von ihm proklamierte Einflusssphäre an seinen Grenzen besser zu kontrollieren.
Darüber hinaus hat sich die OVKS formell der Förderung einer demokratischen Weltordnung auf der Grundlage der allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts verschrieben.[23] Tatsächlich aber besteht die Organisation ausschließlich aus autoritär regierten Staaten.
Zum Tätigkeitsrepertoire zählen bisher insbesondere gemeinsame Militärmanöver der Mitgliedstaaten. 2011 begann das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) eine Zusammenarbeit mit der OVKS wegen des Schmuggels von Heroin aus Afghanistan.[24]
Organe
BearbeitenDie Organisation gliedert sich in fünf Organe:
Als oberstes Direktivorgan fungiert ein Rat für kollektive Sicherheit, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zusammensetzt. Dieser beschließt die Maßnahmen zur Umsetzung der Organisationsziele. Die Beschlüsse des Rates sind für die Mitglieder und die Organisation bindend. Den Vorsitz des Rates hat das Staatsoberhaupt bzw. der Regierungschef des Staates inne, in dem die jährliche Haupttagung der OVKS stattfindet.[25]
Für drei Spezialbereiche wurden ein Rat der Außenminister, ein Rat der Verteidigungsminister sowie ein Komitee der Sekretäre der Sicherheitsräte geschaffen.
Einziges permanent arbeitendes Organ ist das Sekretariat. Sein Sitz ist Moskau, wobei ein Sitzabkommen zwischen der OVKS und der Russischen Föderation die Details der lokalen Rechtsstellung regelt. Die Mitarbeiter des Sekretariats rekrutieren sich aus den Mitgliedstaaten gemäß der jeweiligen Finanzbeiträge. Dem Sekretariat steht ein Generalsekretär vor, der zugleich höchster Verwaltungsbeamter der Organisation ist. Er wird für jeweils drei Jahre vom Rat für kollektive Sicherheit bestimmt. Seit dem 1. Januar 2023 bekleidet der kasachische Politiker Imanghali Tasmaghambetow dieses Amt.
Truppen
Die OVKS hat ein gemeinsames Hauptquartier in Moskau und verfügt über schnelle Eingreiftruppen (Collective Rapid Reaction Forces, CRRF), jedoch über keine eigenen Streitkräfte.[26]
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Annette Bohr: Regional cooperation in Central Asia: Mission impossible? In: Helsinki Monitor. Band 14, 2003, S. 254–268.
- Gregory Gleason, Marat E. Shaihutdinov: Collective Security and Non-State Actors in Eurasia. In: International Studies Perspectives. Band 6, 2005, S. 274–284.
- Alsu Nasyrova: Regionale Friedenssicherung im Rahmen der GUS. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Band 64, 2004, S. 1077–1104.
- J. H. Saat: The Collective Security Treaty Organization. Conflict Studies Research Centre, Camberley 2005.
Weblinks
Bearbeiten- Offizielle Website der OVKS (russisch und englisch)
- Bundeszentrale für politische Bildung: Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b Armenien friert Teilnahme an russisch geführtem Sicherheitsblock ein - Premierminister. In: marketscreener.com. 23. Februar 2024, abgerufen am 23. Februar 2024.
- ↑ (Keystone-SDA): Armenien kritisiert russisch dominiertes Militärbündnis scharf. In: swissinfo.ch. 12. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024.
- ↑ (hkl/sda/dpa): Armenien kritisiert russisch dominiertes Militärbündnis scharf – und deutet Austritt an. In: watson.ch. 12. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024.
- ↑ (BLZ): Armenien will von Russland geführtes Militärbündnis verlassen. Ministerpräsident Nikol Paschinjan kündigt bei einer Regierungssitzung am Mittwoch den Austritt aus der OVKS an. In: Beliner Zeitung. 12. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024.
- ↑ Arshaluys Barseghyan: Pashinyan: ‘we will leave’ Russia-led security pact. In: OC Media. 12. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024 (englisch).
- ↑ Shaun Walker, Naubet Bisenov: Kazakhstan protests: Moscow-led alliance sends ‘peacekeeping forces’. In: theguardian.com. 15. Januar 2022, abgerufen am 5. März 2022 (englisch).
- ↑ Shaun Walker: Scepticism in uneasy Kazakhstan as president promises reform. In: theguardian.com. 15. Januar 2022, abgerufen am 15. März 2022 (englisch).
- ↑ Unruhen in Kasachstan: Zahl der Todesopfer steigt auf 225. Nach den gewaltsamen Unruhen in Kasachstan haben die Behörden ihre Angaben zur Zahl der Toten deutlich erhöht. Es seien 225 Menschen ums Leben gekommen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Mehr als 4300 Menschen wurden verletzt. In: tagesschau.de. 15. Januar 2022, abgerufen am 15. Januar 2022.
- ↑ Proteste in Kasachstan: „Friedenshüter“ missbrauchen UN-Abzeichen. Abgerufen am 6. September 2022.
- ↑ Nach Unruhen in Kasachstan: Behörden korrigieren Zahl der Toten und Verletzten nach oben. Redaktionsnetzwerk Deutschland, 15. Januar 2022, abgerufen am 16. Januar 2022.
- ↑ n-tv NACHRICHTEN: Falsche Blauhelme in Kasachstan rütteln UN auf. Abgerufen am 6. September 2022.
- ↑ Commander of Russian airborne forces leads CSTO peacekeepers in Kazakhstan. In: Akipress. 7. Januar 2022, abgerufen am 7. Januar 2022 (englisch).
- ↑ Reaktion auf Proteste: Kasachstans Präsident erteilt Polizei Schießbefehl gegen Demonstranten. Kasachstans Präsident Tokajew reagiert drastisch auf die massiven Proteste in dem zentralasiatischen Land: Die Polizei darf ohne Vorwarnung das Feuer auf Demonstranten eröffnen. In: spiegel.de. 7. Januar 2022, abgerufen am 12. Januar 2022.
- ↑ OVKS vollendet Abzug aus Kasachstan. In: Deutsche allgemeiner Zeitung, daz.asia. 19. Januar 2022, abgerufen am 15. März 2022.
- ↑ Reaktion auf Proteste: Kasachstans Präsident erteilt Polizei Schießbefehl gegen Demonstranten. Kasachstans Präsident Tokajew reagiert drastisch auf die massiven Proteste in dem zentralasiatischen Land: Die Polizei darf ohne Vorwarnung das Feuer auf Demonstranten eröffnen. In: spiegel.de. 7. Januar 2022, abgerufen am 12. Januar 2022.
- ↑ Teresa Toth: Konflikte innerhalb von Russlands Bündnis offenbaren Moskaus Schwäche. Frankfurter Rundschau, 17. September 2022, abgerufen am 17. September 2022.
- ↑ Armenien verkündet Waffenruhe mit Aserbaidschan. derStandard.de, 15. September 2022, abgerufen am 15. September 2022.
- ↑ Pelosi verurteilt in Armenien Angriff Aserbaidschans. Stern.de, 18. September 2022, abgerufen am 18. September 2022.
- ↑ Putin loses grip on member of his military alliance. Politico, 23. Februar 2024, abgerufen am 23. Februar 2024 (englisch).
- ↑ Armenia Stops Financial Contributions To Russian-Led Military Alliance. Radio Free Europe/Radio Liberty, 8. Mai 2024, abgerufen am 8. Mai 2024 (englisch).
- ↑ a b Armenia to quit Russia’s military alliance amid split with Putin. Politico, 12. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024 (englisch).
- ↑ Vgl. Artikel 3 der OVKS-Charta (http://www.odkb.gov.ru/b/azgengl.htm, abgerufen am 17. April 2011)
- ↑ Vgl. Artikel 4 der OVKS-Charta (http://www.odkb.gov.ru/b/azgengl.htm, abgerufen am 17. April 2011)
- ↑ UN drugs agency to cooperate with Collective Security Treaty Organization in fighting drug trafficking and crime. Presseerklärung vom 5. April 2006, abgerufen am 25. Juni 2015
- ↑ Vgl. Artikel 13 der OVKS-Charta (http://www.odkb.gov.ru/b/azgengl.htm, abgerufen am 17. April 2011)
- ↑ Marcel De Haas: Russia’s Foreign Security Policy in the 21st Century: Putin, Medvedev and Beyond (Contemporary Security Studies). New York 2010, ISBN 978-0-415-47730-7, S. 41.