Eine offenkundige Tatsache im juristischen Sinne der deutschen Zivilprozessordnung ist eine Tatsache, deren Wahrheit sich entweder aus zuverlässigen allgemein zugänglichen Quellen ergibt und für jedermann unmittelbar einsichtig ist oder deren Wahrheit dem Gericht bereits amtlich (also dienstlich) bekannt gemacht wurde.[1] Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, vergangene oder gegenwärtige Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt (sog. äußere Tatsachen) oder des menschlichen Seelenlebens (sog. innere Tatsachen, einschließlich Absichten), die zum Tatbestand der anzuwendenden Rechtsnorm gehören.[2][3]

Ähnliche Regelungen gelten auch im Strafprozessrecht und im Verwaltungsprozessrecht Deutschlands.

Zivilprozessrecht

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Offenkundige Tatsachen bedürfen im Zivilprozess (und entsprechend auch in den anderen Prozessarten) auch im Falle des Bestreitens keines Beweises (§ 291 ZPO), sondern können vom Richter ohne Beweisaufnahme festgestellt werden. Die Regel dient damit der Prozessökonomie.[4] Die Führung des Gegenbeweises ist jedoch zulässig.[5]

Unterschieden wird zwischen allgemeinkundigen und gerichtsbekannten Tatsachen. Allgemeinkundig sind Tatsachen, die einer größeren Anzahl von Personen bekannt oder für diese ohne weiteres (z. B. aus allgemein zugänglichen Quellen wie Zeitschriften und Nachschlagewerken) zuverlässig wahrnehmbar sind.[6] Gerichtsbekannt sind Tatsachen, wenn das erkennende Gericht amtlich bereits Kenntnis von ihnen erlangt hat, z. B. in einem früheren Verfahren oder durch eine amtliche Mitteilung.[7]

Privat erlangtes Sonderwissen des Richters darf dabei nicht einfließen, da er sonst gleichzeitig Zeuge und Richter wäre.[8] Letzteres schließt die Zivilprozessordnung gemäß § 41 Nr. 5 ZPO aus.

Vor der Verwertung offenkundiger Tatsachen ist den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren,[9] jedenfalls ist dies nach dem Bundesgerichtshof[10] der Fall, sofern die Parteien nicht mit der Verwertung rechnen mussten.

Strafprozessrecht

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Nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO darf ein Beweisantrag im Strafprozess abgelehnt werden, wenn eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist. Wie im Zivilprozessrecht (siehe oben) umfassen offenkundige Tatsachen allgemeinkundige und gerichtsbekannte Tatsachen.[11][12] Abgelehnt werden darf ein Beweisantrag auch dann, wenn das Gegenteil der Beweistatsache offenkundig ist.[12] Offenkundig ist z. B. der an den Juden begangene Völkermord unter der nationalsozialistischen Herrschaft (Holocaust).[13][14][15]

Verwaltungsprozessrecht

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Im Verwaltungsprozess gilt über § 173 VwGO ebenfalls § 291 ZPO.[16]

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  • Arbeitsgericht Siegen, Urteil vom 3. März 2006, Az. 3 Ca 1722/05: Die Recherche eines Richters in einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle (hier: Internet-Lexikon Wikipedia) zur Unterrichtung über offenkundige Tatsachen stellt keinen Grund für die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit dar (Zöller/Greger, ZPO, 24. Auflage 2004, § 291 Rn. 1).
  • OLG München, Hinweisbeschluss vom 2. Juli 2018, Az. 8 U 1710/17 Rn. 16 = NJW-RR 2019, S. 248 Rn. 19: Offenkundigkeit der Typabweichungen von zwei Audi-Modellen „aus allgemein einfach zugänglichen, zuverlässigen Quellen, wie z.B. Wikipedia“ zur Bestimmung des einen als aliud zum zweiten (genannt von Michael Huber in Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 291 ZPO Rn. 1 als Nachweis für Offenkundigkeit der „Inhalte der Internet-Enzyklopädie Wikipedia“).

Einzelnachweise

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  1. Michael Huber in Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 291 ZPO Rn. 1, 2.
  2. BGH, Urteil vom 25. November 1997, Az. VI ZR 306/96, NJW 1998, 1223 (1224).
  3. Michael Huber in Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 291 ZPO Rn. 1 i. V. m. § 288 ZPO Rn. 3.
  4. Saenger, Zivilprozessordnung, 5. Aufl. 2013, § 291 Rn. 1.
  5. Michael Huber in Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 291 ZPO Rn. 3.
  6. Saenger, Zivilprozessordnung, 5. Aufl. 2013, § 291 Rn. 3.
  7. Saenger, Zivilprozessordnung, 5. Aufl. 2013, § 291 Rn. 1.
  8. Michael Huber in Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 291 ZPO Rn. 2.
  9. Walter Zeiss, Klaus Schreiber: Zivilprozessrecht, 12. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2014, Rn. 429.
  10. BGH, Urteil vom 6. Mai 1993, Az. I ZR 84/91, NJW-RR 1993, S. 1122 (1123).
  11. Krehl in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 244 Rn. 130/131.
  12. a b Michael Huber: Grundwissen – Strafprozessrecht: Ablehnung von Beweisanträgen. JuS 2017, S. 634 (636).
  13. BGH, Urteil vom 15. März 1994, Az. 1 StR 179/93, NStZ 1994, 390 – Fall Deckert.
  14. BGH, Urteil vom 10. April 2002, Az. 5 StR 485/01, NJW 2002, 2115.
  15. BGH, Beschluss vom 6. August 2019, Az. 3 StR 190/19, NStZ-RR 2019, 375.
  16. Breunig in BeckOK VwGO, Stand: 1. April 2014, § 86 Rn. 80.