Operationsentwurf gegen die Schweiz
Der Operationsentwurf gegen die Schweiz fasst verschiedene deutsche Planungen zur überfallartigen Besetzung der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zusammen, die unter anderem am Beispiel des Unternehmens Tannenbaum[1] Otto-Wilhelm Kurt von Menges nach dem deutsch-französischen Waffenstillstand von Compiègne am 24. Juni 1940 im Auftrag des OKH ausarbeitete. Der Schweiz war die Bedrohungslage bewusst und sie versuchte sich mit dem Verteidigungssystem Schweizer Réduit zu schützen.
Interventionsplanungen der Wehrmacht
BearbeitenDie ursprüngliche Planung wurde als Operationsentwurf gegen die Schweiz bezeichnet. Die Bezeichnung bzw. der Deckname der deutschen Militäroperation Unternehmen Tannenbaum kam erst im September 1940 bei weiteren Planungen innerhalb der Heeresgruppe C auf.[2] Weitere geplante Unternehmen waren die Unternehmen Wartegau bzw. die Aktion Adler sowie weitere noch nicht benannte Planungen von Alfred Jodl und Horst Böhme.[3][4][5]
Es war vorgesehen, dass bei der Umsetzung dieser Planung zum Unternehmen Tannenbaum italienische Truppen mit einem gleichzeitigen Angriff von Süden unterstützend wirken würden. Mit ihnen wurde um den 31. Juli 1940 eine ungefähre Teilungslinie für die Schweiz fixiert, die von Saint-Maurice über die Wasserscheide Aare – Rhone weiter zum Tödi, ins Rätikon und schließlich zum Muttler führte.
Menges hatte bis 12. August 1940 die dritte aktualisierte Fassung des Operationsentwurfs des Generalstabes des Heeres fertiggestellt. Er ging davon aus, dass das Schweizer Heer so zu zerschlagen sei, dass ein Ausweichen ins Hochgebirge und ein geführter Widerstand (Réduit) unmöglich werde. Dabei seien Bern (Bundesstadt), Zürich (Waffenfabrik Oerlikon-Bührle) und Solothurn (Waffenfabrik Solothurn) schnell und unversehrt zu besetzen. Dazu kam die
„Gewinnung der wichtigsten Eisenbahn- und Straßenknotenpunkte sowie der zahlreichen Brücken und Tunnel in unbeschädigtem Zustande, um das Land als Durchmarschgebiet für alle Transporte nach Südfrankreich nutzbar zu machen.“
Am 4. Oktober 1940 sah Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb für das Unternehmen Tannenbaum zwischen 18 und 21 Divisionen vor.
Keines der Unternehmen wurde umgesetzt, weil der Schwerpunkt des deutschen Heeres auf der Planung und Vorbereitung einer möglichen Invasion Großbritanniens lag und damit nicht genügend Mittel zur Durchführung der Besetzung der Schweiz zur Verfügung standen. Zudem wurde am 9. August 1940 ein Handelsabkommen abgeschlossen, das die ausschließliche Belieferung der Achsenmächte durch die Schweizer Rüstungsexporte erzwang, wodurch ein deutsches Interesse an einer unversehrten Schweizer Rüstungsindustrie und auch am Gotthard-Transit bestand.[6]
Nachrichtendienstliche Aktivitäten
BearbeitenBereits in Friedenszeiten wurden von den deutschen Nachrichtendiensten militärische, politische und wehrwirtschaftliche Informationen über die Schweiz zusammengetragen.[7] Mit Beginn des Krieges 1939 rückten dann insbesondere militärische Verschiebungen und die Verteidigungsinfrastruktur entlang der Grenzen und in den rückwärtigen Gebieten in den Fokus der Dienste. Informationen dieser Art bildeten die Grundlage für die ab Sommer 1940 erarbeiteten Operationsstudien für eine militärische Intervention der Wehrmacht in der Schweiz.[8] Drehkreuz für nachrichtendienstliche Informationen zur Schweiz war Stuttgart. Hier liefen die Meldungen verschiedener, entlang der deutsch-schweizerischen Grenze eingerichteter Abwehrnebenstellen (ANSt) und der dort installierten Meldeköpfe ein, welche dann die Schnittstellen zu den Agenten in der Schweiz bildeten.[9] Neben dem militärischen Abwehrdienst entfaltete von Stuttgart aus auch der SD, der Sicherheitsdienst der SS, eigene geheimdienstliche Aktivitäten.[10] In Stuttgart kümmerte man sich nicht nur um die Informationsbeschaffung, sondern auch um die Ausbildung von Agenten, die dort u. a. den Umgang mit Spezialtinte erlernten oder in Sabotagekursen den Bau von Spreng- und Brandsätzen.[11]
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Blautanne. Beilage zur ASMZ 2/2003 (PDF) bzw. Schweizer Soldat 2/2003
- Rottanne. Beilage zur ASMZ 5/2004 (PDF)
- Alberto Rovighi: Un secolo di relazioni militari tra Italia e Svizzera 1851–1961. Ufficio Storico Stato Maggiore dell'Esercito, Rom 1987.
- Klaus Urner: Die Schweiz muss noch geschluckt werden. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1990, ISBN 3-85823-303-X.
- Leo Schelbert: Switzerland under siege. Picton, Rockport, Maine 2000, ISBN 0-89725-414-7.
- Stefan Sauer: »Die Schweiz 1939/1940 – Im Fadenkreuz der deutschen Abwehr«, in: Der Bote aus dem Wehrgeschichtlichen Museum Rastatt, Nr. 53/2023, S. 89-98, ISSN 1864-8762.
- Karl Lüönd: Spionage und Landesverrat in der Schweiz, Zürich: Ringier 1977, ISBN 3-85859-062-2.
- Erich Schmidt-Eenboom: Die Schweiz im Visier des Dritten Reichs, Weilheim 2002 (abrufbar unter: http://geheimdienste.info/texte/Canaris+Schweiz.pdf; abgerufen am: 22.07.2023).
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Operationsentwurf sowie der Planungsauftrag an die Heeresgruppe C im Bundesarchiv, BArch RH 19-III/724
- ↑ BArch RH 19-III/724
- ↑ Edgar Bonjour: Geschichte der schweizerischen Neutralität. Vier Jahrhunderte eidgenössischer Aussenpolitik Band VI. 1939–1945
- ↑ Alice Meyer: Anpassung oder Widerstand. Verlag Huber Frauenfeld, 1965, S. 175
- ↑ Urs Schwarz: Vom Sturm umbrandet. Der Preis der Unabhängigkeit der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Wie die Schweiz den Zweiten Weltkrieg überlebte, ISBN 371930793X, S. 108
- ↑ Jürg Fink: Die Schweiz aus Sicht des Dritten Reiches, 1985
- ↑ Vgl. Rudolf F. Staritz: Abwehrfunk – Funkabwehr, Technik und Verfahren der Spionagefunkdienste. Unveröffentlichtes Buchmanuskript: Bamberg 2018, S. 11, 17, abrufbar unter: https://www.cdvandt.org/Staritz-Abwehrfunk-Funkabwehr-neu2.pdf; abgerufen am: 23.07.2023.
- ↑ Dazu Lüönd: Spionage und Landesverrat, S. 40.
- ↑ Vgl. Staritz: Abwehrfunk, S. 17.
- ↑ Vgl. Jonas Stöckli: Exempel, Todesstrafen für 17 Landesverräter durch die Schweizer Militärjustiz während des Zweiten Weltkriegs, Diss., Bern 2022, S. 1191, Fn. 434.
- ↑ Vgl. Lüönd: Spionage und Landesverrat in der Schweiz, S. 19f.; vgl. Jonas Stöckli: Exempel, S. 1192, Fn. 435.