Ottonische Buchmalerei
Die ottonische Buchmalerei ist ein Stil der Buchmalerei, der sich zur Zeit der ottonischen Kaiser im Heiligen Römischen Reich ausbildete. Da eine Epochenbezeichnung nach einer Herrscherdynastie neben der zeitlichen auch eine räumliche Eingrenzung bedeutet, spricht die Kunstwissenschaft außerhalb des Reiches von vor- oder auch frühromanischer Kunst. Die ottonische Buchmalerei folgt auf die karolingische und geht in die romanische Buchmalerei über.
Entwicklung
BearbeitenMit dem Übergang der Königs- bzw. Kaiserwürde 919 an die Ottonen verlagerte sich auch der kulturelle Schwerpunkt des Reiches stärker in den sächsischen Raum. Mit der Ostsiedlung und der Gründung des Bistums Magdeburg wuchs besonders im Nordosten der Bedarf an prächtigen liturgischen Büchern. Stilistisch reicht die Epoche um einiges über die Regierungszeit des letzten ottonischen Kaisers, Heinrich II. bis gegen Ende des 11. Jahrhunderts hinaus. Neben den Kaisern trat besonders der hohe Klerus als Auftraggeber von Prachthandschriften auf, dessen Stellung durch das Reichskirchensystem gestärkt war.
Die frühen ottonischen Handschriften stehen noch deutlich in der karolingischen Tradition. Wie diesen liegt den ottonischen Prachthandschriften eine programmatische Bezugnahme auf die antike Tradition zugrunde, so dass diese Epoche in Anlehnung an die Karolingische Renaissance als Ottonische Renaissance bezeichnet wird. Gleichwohl wurde der antike Naturalismus und Illusionismus, der in karolingischer Zeit noch in einigen Handschriften adaptiert worden war, nun ganz einer stilisierten Formensprache geopfert. Die wichtigsten Bindeglieder zwischen karolingischer und ottonischer Buchmalerei waren St. Gallen, das Kloster Fulda sowie das Kloster Corvey an der Weser, das 815/822 als karolingische Gründung auf sächsischem Gebiet entstand und die franko-sächsische Schule fortführte. Eine Hofschule wie in karolingischer Zeit scheint es nicht mehr gegeben zu haben. Die wichtigsten Kunstzentren zur Zeit Ottos I. waren Köln, wo sich ein unverwechselbarer malerischer Stil mit byzantinischem Einfluss entwickelte, Trier, Regensburg und vor allem das Kloster Reichenau. Daneben waren Skriptorien in Mainz, Prüm, im Kloster Echternach und andernorts tätig. Im 11. Jahrhundert kamen im bairisch-österreichischen Raum Tegernsee, Niederalteich, Freising und Salzburg hinzu.
Ein wichtiger Wegbereiter der ottonischen Buchmalerei war ein anonymer Künstler, der, teilweise im Auftrag König Ottos II., in Lorsch, Reichenau, Fulda und Trier wirkte. Auf der Reichenau entstanden um 970 aus seiner Hand unter anderem der Gero-Codex[1] und das Petershausener Sakramentar.[2] In den letzten Jahren des 10. Jahrhunderts war er an einer Trierer Handschriftengruppe beteiligt, die nach ihrer zentralen Handschrift, dem Egbert-Psalter,[3] benannt ist und im Auftrag des Erzbischofs Egbert von Trier entstand. Das zweite große Manuskript dieser Gruppe, der Codex Egberti[4] (980–993) weist in der Ornamentik Parallelen zur Reichenauer Schule auf, zeigt in seinem Bilderzyklus und der Ikonographie jedoch auf antike und byzantinische Vorbilder.
In Fulda entwickelte sich eine eigene Malerschule, die den karolingischen Stil der Ada-Gruppe besonders stark konservierte. Hauptwerke waren um 970–980 der Codex Wittekindeus[5] und das Göttinger Sakramentar.[6] Ende des 10. Jahrhunderts trat das unter Bischof Bernward aufblühende Hildesheim als Kunstzentrum in Erscheinung. Eine Kölner Handschriftengruppe um das Hauptwerk des Hitda-Evangeliars[7] (um 1020) steht in der Tradition der karolingischen Krönungsevangeliargruppe. Diese im frühen 11. Jahrhundert gefertigten Illustrationen zeigen darüber hinaus byzantinischen Einfluss.
Etwa von 990 bis 1020 erreichte die ottonische Buchmalerei ihren Höhepunkt mit den wahrscheinlich auf der Reichenau entstandenen Werken der Liuthar-Gruppe, zu denen das Aachener Liuthar-Evangeliar[8] (um 990) und das Münchner Evangeliar Ottos III.[9] (um 1000), das Perikopenbuch Heinrichs II.[10] (1007–1012) und die Bamberger Apokalypse[11] (um 1020) gehören. Zehn Werke der Reichenauer Schule wurden 2003 von der UNESCO in die Liste des Weltdokumentenerbes aufgenommen. Ebenso bedeutende Werke der Liuthargruppe sind das Wolfenbütteler Perikopenbuch und das Hildesheimer Orationale.
Während der gesamten ottonischen Zeit war das Evangelistenbild ein zentrales Bildmotiv, daneben ragen das der Selbstdarstellung der Auftraggeber dienende Herrscherbild – häufig in Form eines Dedikationsbildes – und die Majestas Domini hervor. Dominierende Stilelemente sind symmetrische, flächige Darstellungen mit monumentalem Charakter. Viele der ottonischen Illustrationen sind ganzseitig, teilweise in zwei Bildfelder unterteilt. Große, überlange und ausdrucksvolle Figuren mit ekstatisch-suggestiver Gebärdensprache und der Mut zu leeren, einfarbigen Flächen – meist Goldgrund – kennzeichnen den charakteristischen Stil dieser Manuskripte, die im 20. Jahrhundert den Expressionismus stark beeinflusst haben. Räumliche Tiefe fehlt den Illustrationen völlig, insgesamt ist der Formenapparat der ottonischen Malerei stark reduziert.
Die frühe salische Zeit steht noch in der Kontinuität der ottonischen Epoche. Unter Kaiser Heinrich III. steigt die Echternacher Malschule zum führenden Skriptorium auf. Im kaiserlichen Auftrag entstanden in Echternach 1039–1043 ein Perikopenbuch,[12] zwischen 1043 und 1046 ein Speyerer Evangeliar,[13] das für den dortigen Dom bestimmt war, und zwischen 1050 und 1056 ein weiteres Evangeliar.[14]
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Kunibert Bering: Kunst des frühen Mittelalters (= Kunst-Epochen; Band 2). Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 3-15-018169-0.
- Klaus Gereon Beuckers (Hrsg.): Äbtissin Hitda und der Hitda-Codex (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs. 1640). Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei. WBG, Darmstadt 2013, ISBN 978-3-534-25379-1.
- Peter Bloch, Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malschule. 2 Bände. L. Schwann, Düsseldorf 1967–1970.
- Anton von Euw (Konzeption): Vor dem Jahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu (= Ausstellungskatalog Köln, Schnütgen-Museum 1991). Stadt Köln, Köln 1991, ISBN 3-9864752-1-4.
- Hermann Fillitz: Propyläen-Kunstgeschichte. Band 5: Das Mittelalter 1. Propyläen-Verlag, Berlin 1969.
- Ernst Günther Grimme: Die Geschichte der abendländischen Buchmalerei. 3. Auflage. DuMont, Köln 1988, ISBN 3-7701-1076-5.
- Claudia Höhl: Ottonische Buchmalerei in Prüm (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 28: Kunstgeschichte; Band 252). Dissertation Berlin 1993. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1996, ISBN 3-631-49281-2.
- Christine Jakobi-Mirwald: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-018315-4.
- Hans Jantzen: Ottonische Kunst. 2. erweiterte und kommentierte Auflage. Reimer, Berlin 2002, ISBN 3-496-01069-X.
- Renate Maas: Hans Jantzens Analyse ottonischer Kunst: Der Bildraum als Symbol historischen Anfangs und ontologischen Ursprungs. In: Ingrid Baumgärtner et al. (Hg.): Raumkonzepte. V&R unipress, Göttingen 2009, S. 95–123.
- Ulrich Kuder: Ottonische Buchmalerei und bernwardinische Handschriftenproduktion. In: Michael Brandt, Arne Eggebrecht (Hrsg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Hildesheim / Mainz 1993, S. 191–200.
- Ulrich Kuder: Studien zur ottonischen Buchmalerei (= Kieler Kunsthistorische Schriften; N.F. Band 17). Hrsg. und eingeleitet von Klaus Gereon Beuckers, Verlag Ludwig, Kiel 2018.
- Thomas Labusiak: Die Ruodprechtgruppe der ottonischen Reichenauer Buchmalerei. Bildquellen – Ornamentik – stilgeschichtliche Voraussetzungen (= Denkmäler Deutscher Kunst). Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2009, ISBN 978-3-87157-222-7.
- Buchmalerei. In: Lexikon des Mittelalters. Band 2, 1983, Sp. 837–893 [Beiträge von K. Bierbrauer, Ø. Hjort, O. Mazal, D. Thoss, G. Dogaer, J. Backhouse, G. Dalli Regoli, H. Künzl].
- Henry Mayr-Harting: Ottonische Buchmalerei. Liturgische Kunst im Reich der Kaiser, Bischöfe und Äbte. Belser, Stuttgart 1991, ISBN 3-7630-1216-8.
- Carl Nordenfalk (Komm.): Codex Caesareus Upsaliensis. A facsimile edition of an Echternach Gospel-Book of the Eleventh Century. Stockholm 1971.
- Carl Nordenfalk: Die Buchmalerei im Mittelalter. Taschenbuchausgabe (1. Auflage: 1957). Skira, Genf 1988, ISBN 3-8030-3107-9.
- Otto Pächt: Buchmalerei des Mittelalters. Eine Einführung. Prestel-Verlag, München 1985, ISBN 3-7913-0668-5.
- Ursula Prinz: Die Ornamentik der ottonischen Kölner Buchmalerei. Studien zum Rahmenfüllwerk (= Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte; Band 71). Köln 2018.
- Georg Swarzenski: Die Regensburger Buchmalerei des X. und XI. Jahrhunderts. Studien zur Geschichte der deutschen Malerei des frühen Mittelalters (= Denkmäler der süddeutschen Malerei des frühen Mittelalters; 1). Leipzig 1901.
- Georg Swarzenski: Die Salzburger Malerei von den ersten Anfängen bis zur Blütezeit des romanischen Stils (= Denkmäler der süddeutschen Malerei des frühen Mittelalters; 2). Textband und Tafelmappe, Leipzig 1913, DNB 56095977X.
- Wilhelm Vöge: Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends. Kritische Studien zur Geschichte der Malerei in Deutschland im 10. und 11. Jahrhundert (= Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst; Ergänzungsheft 7). Trier 1891.
- Ingo F. Walther, Norbert Wolf: Meisterwerke der Buchmalerei. Taschen, Köln u. a. 2005, ISBN 3-8228-4747-X.
- Gerhard Weilandt: Geistliche und Kunst. Ein Beitrag zur Kultur der ottonisch-salischen Reichskirche und zur Veränderung künstlerischer Traditionen im späten 11. Jahrhundert (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; 35). Böhlau, Köln / Weimar / Wien 1992, ISBN 3-412-08892-7.
- Christoph Winterer: Das Fuldaer Sakramentar in Göttingen. Benediktinische Observanz und römische Liturgie (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 70). Imhof Verlag, Petersberg 2009, ISBN 978-3-86568-190-4.
- Norbert Wolf: Deutschlands großes Erbe. Die ottonischen Bilderhandschriften. Hrsg. von Ingo F. Walther. 2. Auflage. Faksimile Verlag, Luzern 2007, DNB 980169151.
Weblinks
BearbeitenAnmerkungen und Signaturen
Bearbeiten- ↑ Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Cod. 1948.
- ↑ Heidelberg, Universitätsbibliothek, Salem IX.
- ↑ Cividale, Museo Archeologico Nazionale, Ms. CXXXVI.
- ↑ Trier, Stadtbibliothek, Cod. 24.
- ↑ Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. fol. 1.
- ↑ Göttingen, Staats- und Universitätsbibliothek, Bibl. Cod. theol. fol. 231.
- ↑ Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 1640.
- ↑ Aachen, Domschatz.
- ↑ München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 4453.
- ↑ München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 4452.
- ↑ Bamberg, Staatsbibliothek, Msc.Bibl.140.
- ↑ Bremen, Staats- und Universitätsbibliothek, msb 0021
- ↑ Madrid, Escorial, Cod. Vitr. 17.
- ↑ Uppsala, Universitets Bibl., Cod. C 93.