Out-of-India-Theorie

nicht vorherrschende Lehrmeinung von Indogermanisten

Die Out-of-India-Theorie (OIT) steht im Gegensatz zur vorherrschenden Lehrmeinung unter Indogermanisten, der zufolge es eine mehrere Wellen umfassende bronzezeitliche Einwanderung von indoarisch sprechenden Völkern nach Indien aus nordwestlicher Richtung gegeben haben soll. Statt eines solchen mehr oder weniger friedlichen Eindringens von Ariern ins Gebiet der später von ihnen unterdrückten einheimischen Bevölkerung, die man mit den Dasyus bzw. Dasas der Veden identifiziert, wird innerhalb der OIT angenommen, dass sowohl die Arier (Indogermanen) als auch die Dasas eigentlich Ureinwohner Indiens waren und ihre Kultur und Sprache von Nord-Indien aus verbreiteten. Nach und nach hätten sich die einzelnen Indo-Europäischen Sprachen (IE) von der arischen Sprache abgespalten und seien durch die jeweiligen Sprecher nach Zentral- und Südwestasien und Europa verbreitet worden.

Historisch wurde diese Theorie im frühen 19. Jh. gelegentlich im Westen vertreten, so von Friedrich Schlegel 1808, bevor sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die These einer Invasion oder Migration von außen durchsetzte, die sich nicht auf eine einheimische Tradition berufen konnte. Heutzutage zählen zu den Verfechtern der OIT viele Nationalisten und Anhänger der Hindutva-Bewegung. In den Verlagen Voice of India und Aditya Prakashan unter der Leitung von Sita Ram Goel bzw. seinem Sohn sind verschiedene Bücher erschienen, die die Theorie der „Arischen Invasion“ zu widerlegen trachten, u. a. die Bücher von Koenraad Elst (1999) und Shrikant G. Talageri (2000). In der akademischen Indogermanistik oder Indologie hat die OIT keinen Rückhalt; mit Braj Basi Lal gibt es allerdings einen prominenten Archäologen, der eine Version der OIT vertritt.[1]

Das amerikanische Journal of Indo-European Studies sah sich 2002 veranlasst, einem Verfechter (Nicholas Kazanas) außerhalb seiner normalen Auswahlkriterien Gelegenheit für eine Darstellung einzuräumen. Kazanas' Artikel erschien zusammen mit neun Rezensionen, die darlegten, weshalb die Out-of-India-Theorie heute allgemein als unhaltbar verworfen wird.

Linguistische Argumentation

Bearbeiten

Als wissenschaftlich akzeptiert gilt die Annahme einer weitgehend sicher rekonstruierbaren hypothetischen Proto-Indo-Europäischen Sprache (PIE), auch indogermanische Ursprache genannt. Weniger einig ist man sich darüber, in welcher geografischen Region diese Vorläufersprache anzusiedeln sei. Die OIT verfolgt das Argumentationsziel, dass PIE in Indien entstanden sei und von dort seinen Ausgangspunkt in andere Regionen (hauptsächlich Europas) genommen habe. Bei der Weiterentwicklung von PIE zum Sanskrit haben die dravidischen Sprachen, austroasiatische Sprachen wie Munda und andere Substratsprachen mitgewirkt. Davon zeugen zahlreiche Lehnwörter.

Der Linguist Satya Swarup Misra versucht den Beweis über die Spuren eines indo-arischen Superstrats bei den Mittani (um 1400 v. Chr.) anzutreten, welches von einer Migration aus Indien in den Nahen Osten zeugen soll. Es sei dem Prakrit ähnlicher als dem Sanskrit, müsse also in etwa der gleichen Zeit zuzuordnen sein wie jenes. Misras Szenario gipfelt in einer gravierend vom Konsens abweichenden Datierung für das vedische Sanskrit, das statt um 1500 v. Chr. um 5000 v. Chr. anzusiedeln sei.

Philologische Argumentation

Bearbeiten

Wichtiger Indizienfundus für eine linguistische Untersuchung ist der arische Rigveda, der älteste Teil der Veden, weil dieser Text in der umstrittenen Zeit entstanden sein muss. Folglich erzählt er uns von den Lebensgewohnheiten, Umweltbedingungen und Kenntnissen der Arier.

So wird der Fluss Sarasvati, den wir heute nur noch als ausgetrocknetes Flussbett kennen, im Rigveda als ein reißender Strom bezeichnet. Hydrologische Untersuchungen ergaben, dass die Sarasvati diesen Status spätestens 2000 v. Chr. eingebüßt hat. Die Arier mussten damals also schon in diesem Gebiet heimisch gewesen sein. Zu dieser Zeit blühte dort und im Fünfstromland, dessen Flüsse den Ariern ebenfalls namentlich bekannt waren, noch die Indus-Kultur. Vertreter der OIT argumentieren hier, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass zwei solche Hochkulturen nebeneinander bestanden haben. Folglich soll die Indus-Kultur mit der arischen identisch sein.

Annäherungen an die Thematik über einen Vergleich der großen Epen, dem Mahabharata auf indischer und der Odyssee auf europäischer Seite, können, wenn überhaupt, höchstens eine marginale Berührung der Kulturen beweisen. Über die Frage, in welche Richtung die Beeinflussung vonstattenging, darf bestenfalls spekuliert werden. Gingen beide Erzählungen aus einer Quelle hervor oder entstand die eine aus der anderen? Natürlich sind beide zeitlich viel zu spät entstanden, doch lässt sich auch hier nach geliehenen Ideen, Lehnwörtern und archaischen Namen suchen.

Archäologische Argumentation

Bearbeiten

Archäologische Befunde lassen keine eindeutigen Schlüsse zu. Es gibt zwar beispielsweise Funde eines immer wiederkehrenden Pfauenmotives, das sich anscheinend von Indien aus ausbreitete, doch wie so oft lässt sich höchstens ein sehr loser Kontakt zwischen den betroffenen Kulturen konstatieren. Andererseits scheint es jedenfalls auch keine Funde zu geben, die eindeutig eine Invasion bzw. Einwanderung der Arier belegen würden.

Eine besondere Stellung innerhalb der archäologischen Diskussion zu diesem Thema nimmt das domestizierte Pferd bzw. seine Bedeutung in Religion und Kultur ein. Mit ihm in Verbindung stand in kriegerischer Vorzeit auch der zweirädrige Gefechtswagen. Die Urheimat des ersteren lässt sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in der heutigen Ukraine lokalisieren. Können wir aber deswegen davon ausgehen, dass die Arier, in deren Kultur das domestizierte Pferd eine entscheidende Rolle spielt, mit dem domestizierten Pferd nach Indien kamen? Oder gab es Pferde bereits in beiden Regionen und die auswandernden Arier maßen ihm nur außerhalb Indiens eine wichtigere Rolle zu, weil andere Haustiere wie das Rind – wohl bekannt in der Indus-Kultur – hier fehlten?

Im Harappa der Indus-Kultur habe man schließlich bereits Terrakotta-Miniaturen und Knochen von Pferden gefunden. Deshalb, so OIT, müsse man die Indus-Kultur bereits als arisch bezeichnen.

Genetische Erkenntnisse

Bearbeiten

Neuere genetische Studien weisen darauf hin, dass es entgegen der Grundvorstellung der Out-of-India Theorie zwischen 4.000 und 2.000 Jahren v. Chr. eine bronzezeitliche Einwanderung erst von iranischen Bauern und dann von eurasischen Steppennomaden aus der Gegend des Dons gegeben hat, die mit der Annahme einer Einwanderung durch Indo-Europäer vereinbar ist und deren Gene in Priester-Kasten Nord-Indiens stärker vertreten sind.[2][3][4][5]

Literatur

Bearbeiten
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. The Homeland of Indo-European Languages and Culture: Some Thoughts (Memento vom 29. November 2007 im Internet Archive) ; Vortrag bei einem Seminar des Indian Council for Historical Research, 7.–9. Januar 2002
  2. Tony Joseph: How genetics is settling the Aryan migration debate. In: The Hindu. 16. Juni 2017, ISSN 0971-751X (thehindu.com [abgerufen am 28. März 2021]).
  3. A new study squelches a treasured theory about Indians’ origins. In: The Economist. 5. April 2018, ISSN 0013-0613 (economist.com [abgerufen am 28. März 2021]).
  4. Rohan Venkataramakrishnan: Aryan migration: Everything you need to know about the new study on Indian genetics. In: Scroll.in. Abgerufen am 28. März 2021 (amerikanisches Englisch).
  5. Vagheesh M. Narasimhan, Nick Patterson, Priya Moorjani, Nadin Rohland, Rebecca Bernardos, Swapan Mallick, Iosif Lazaridis, Nathan Nakatsuka, Iñigo Olalde, Mark Lipson, Alexander M. Kim, Luca M. Olivieri, Alfredo Coppa, Massimo Vidale, James Mallory, Vyacheslav Moiseyev, Egor Kitov, Janet Monge, Nicole Adamski, Neel Alex, Nasreen Broomandkhoshbacht, Francesca Candilio, Kimberly Callan, Olivia Cheronet, Brendan J. Culleton, Matthew Ferry, Daniel Fernandes, Suzanne Freilich, Beatriz Gamarra, Daniel Gaudio, Mateja Hajdinjak, Éadaoin Harney, Thomas K. Harper, Denise Keating, Ann Marie Lawson, Matthew Mah, Kirsten Mandl, Megan Michel, Mario Novak, Jonas Oppenheimer, Niraj Rai, Kendra Sirak, Viviane Slon, Kristin Stewardson, Fatma Zalzala, Zhao Zhang, Gaziz Akhatov, Anatoly N. Bagashev, Alessandra Bagnera, Bauryzhan Baitanayev, Julio Bendezu-Sarmiento, Arman A. Bissembaev, Gian Luca Bonora, Temirlan T. Chargynov, Tatiana Chikisheva, Petr K. Dashkovskiy, Anatoly Derevianko, Miroslav Dobeš, Katerina Douka, Nadezhda Dubova, Meiram N. Duisengali, Dmitry Enshin, Andrey Epimakhov, Alexey V. Fribus, Dorian Fuller, Alexander Goryachev, Andrey Gromov, Sergey P. Grushin, Bryan Hanks, Margaret Judd, Erlan Kazizov, Aleksander Khokhlov, Aleksander P. Krygin, Elena Kupriyanova, Pavel Kuznetsov, Donata Luiselli, Farhod Maksudov, Aslan M. Mamedov, Talgat B. Mamirov, Christopher Meiklejohn, Deborah C. Merrett, Roberto Micheli, Oleg Mochalov, Samariddin Mustafokulov, Ayushi Nayak, Davide Pettener, Richard Potts, Dmitry Razhev, Marina Rykun, Stefania Sarno, Tatyana M. Savenkova, Kulyan Sikhymbaeva, Sergey M. Slepchenko, Oroz A. Soltobaev, Nadezhda Stepanova, Svetlana Svyatko, Kubatbek Tabaldiev, Maria Teschler-Nicola, Alexey A. Tishkin, Vitaly V. Tkachev, Sergey Vasilyev, Petr Velemínský, Dmitriy Voyakin, Antonina Yermolayeva, Muhammad Zahir, Valery S. Zubkov, Alisa Zubova, Vasant S. Shinde, Carles Lalueza-Fox, Matthias Meyer, David Anthony, Nicole Boivin, Kumarasamy Thangaraj, Douglas J. Kennett, Michael Frachetti, Ron Pinhasi, David Reich: The formation of human populations in South and Central Asia. In: Science. Band 365, Nr. 6457, 6. September 2019, ISSN 0036-8075, S. eaat7487, doi:10.1126/science.aat7487, PMID 31488661, PMC 6822619 (freier Volltext).