Persönliche Zukunftsplanung
Die Persönliche Zukunftsplanung ist ein in den 1990er Jahren in den USA und Kanada unter dem Begriff person-centred planning entwickeltes Verfahren,[1] das zur selbstbestimmten Lebensplanung vorrangig von Menschen mit Behinderung oder in anderer Weise unterstützungsbedürftiger Menschen Anwendung findet. Es hat mittlerweile weltweit Einzug in den Bereich der Sozialen Arbeit gehalten.[2]
Theoretischer Hintergrund
BearbeitenAn der traditionellen institutionellen Hilfeplanung wird vor allem kritisiert, dass diese sich an der Behinderung und den Defiziten statt an den individuellen Personen und ihren Möglichkeiten orientiere, dass sie von den Ressourcen der Einrichtung statt den Fähigkeiten der Einzelnen ausgehe, dass sie vorrangig für den Kostenträger und in der Regel von professionellen Betreuern für die betreffenden Personen erstellt werde und dass diese an der Erstellung der Hilfeplanung ungenügend beteiligt seien.
Die Persönliche Zukunftsplanung bietet eine Alternative zu diesem überkommenen Vorgehen, indem sie bemüht ist, den betreffenden Menschen als aktiv Teilhabenden ins Zentrum der Entscheidungsfindung zu rücken. Sie richtet den Blickpunkt darauf, die persönlichen Begabungen, Fähigkeiten und das eigene Leistungsvermögen zu entdecken und für die eigene Entwicklung einzusetzen (Ressourcenorientierung[3]). Zur Erreichung seiner Ziele wird der betreffende Mensch im Prozess der Zukunftsplanung von einem Unterstützerkreis begleitet, der sich aus Menschen aus dessen sozialen Umfeld zusammensetzt. Hier wird der Blick darauf gerichtet, welche Ressourcen im persönlichen Lebensumfeld aktiviert werden können.
„Das dem Konzept zugrundeliegende Menschenbild basiert auf den Grundannahmen, dass die jeweils planende Person - unabhängig von Beeinträchtigungen - prinzipiell selbst über ihr Leben bestimmen kann, dass sie, auch in Krisenzeiten, eine Person mit Stärken, Fähigkeiten und Interessen ist, und dass alle Menschen ein Recht auf ungehinderte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben haben.“[4]
Das Verfahren gründet in den Werten und Prinzipien der Menschenrechte, der Unabhängigkeit, der Wahlfreiheit und dem Inklusionsgedanken. Darin steckt die Absicht, die Einzelnen zu befähigen, selbst die Form der Hilfe und Unterstützung zu bestimmen, anstatt auf vorgegebene Hilfesysteme zurückgreifen zu müssen.
Methoden
BearbeitenEs gibt eine Vielzahl von Methoden des personenzentrierten Denkens und der Persönlichen Zukunftsplanung.[5] Dabei stehen nicht die einzelnen Methoden im Vordergrund, sondern die Grundhaltung, gemeinsam mit kreativen Methoden gute Ideen und einen Plan für eine lebenswerte Zukunft und Teilhabe in allen Lebensbereichen zu bekommen. Neben den kleinen Methoden wie der Arbeit mit Kartensets[6][7][8], Arbeitsblättern, Planungsbüchern[9][10] und den sogenannten Mini-Methoden personenzentrierten Denkens[11] gibt es die umfangreicheren Planungsmethoden, die zumeist mit Hilfe eines Unterstützungskreises (Circle of friends, circle of supports) durchgeführt werden. Zu den großen Planungsmethoden zählen vor allem 3 Formate:
- die Persönliche Lagebesprechung (Personal review meeting)[12][13]
- PATH (Planning Alternative Tomorrows With Hope)[14] und
- MAP (Making Action Plan)[14]
Dem Unterstützungskreis kommt die Aufgabe zu, als Vorbereitung einer Zukunftsplanungskonferenz die soziale Situation des betreffenden Menschen mit den Ressourcen seines persönlichen Umfeldes in den Blick zu nehmen. Besonders in den Fällen, in denen sich die ihr Leben planenden Personen nicht selbst äußern können, kommen vom Unterstützerkreis wesentliche Impulse.
MAP teilt sich in sechs aufeinander folgende Schritte (eingeleitet von der Begrüßung, Vorstellung der Anwesenden und der Methode):
- Die Geschichte – drei bedeutsame Geschichten aus dem Leben der im Mittelpunkt stehenden Person werden erzählt und bilden die Grundlage für den weiteren Verlauf
- Traum/Träume der betreffenden Person
- Albträume der betreffenden Person
- die Gaben – (positive) Eigenschaften und die Besonderheit der betreffenden Person, ihre Fähigkeiten, Begabungen, Stärken und Vorlieben
- Was braucht es – Bedingungen für die Verwirklichung der Träume
- der Aktionsplan – in dem verabredet wird, was die Anwesenden zur Verwirklichung der Träume beitragen können
Bei PATH handelt es sich um die in einem konkreten Ablauf visualisierte Darstellung der angedachten Visionen, Zielsetzungen und der Konkretisierung von Veränderungen. Abschließend wird ein Verantwortlicher aus dem Unterstützerkreis benannt, der als so genannter Agent den weiteren Ablauf des Prozesses im Kontakt mit den Unterstützern im Auge behält und an die betreffende Person zurück meldet.
Wichtig für einen konstruktiven Verlauf ist weiterhin ein Moderator, der das Verfahren strukturiert und vorantreibt. Mit Blick auf die oft eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten und Sinnesbeeinträchtigungen ist auf durchgängige Visualisierung des Verlaufs und der Ergebnisse zu achten, auch unter Zuhilfenahme von Möglichkeiten, welche die unterstützte Kommunikation bietet.
Der endgültige Plan kann in jeder denkbaren Form erstellt werden, zu der die betreffende Person einen Zugang hat: Als Text, als Zeichnung oder als mündlicher Plan, der auf einen Tonträger aufgenommen wurde. Die so erstellten Pläne können geändert werden, wenn die betreffende Person Änderungen vornehmen möchte oder ein Ziel erreicht wurde.
Kritische Würdigung
BearbeitenDie Vertreter der Persönlichen Zukunftsplanung warnen davor, das Verfahren auf bürokratische Art anzuwenden. Wenn der Ablauf schematisch angewendet wird, ohne auf die eigentliche Intention zu achten, bestehe die Gefahr, dass die Träume des Individuums eher an bestehende Angebote angepasst werden, das kreative, innovative Potential ginge verloren.
Neuere Forschungen widersprechen den Kritikern, die der Persönlichen Zukunftsplanung vorwerfen, sie würde keine empirisch feststellbare Wirkung entfalten. So stellt das Whitepaper des britischen Department of Health im Dezember 2007 fest: „Personenzentrierte Planung hat gezeigt, dass sie etwas bewirkt. Die weltweit größte Studie über personenzentrierte Planung hat gezeigt, wie sie Menschen hilft, Verbesserungen in wichtigen Bereichen ihres Lebens zu erlangen und dies ohne zusätzliche Kosten.“[15] Dies wird auch von anderer Seite bestätigt.[16]
Verbreitung
BearbeitenDie Methode wurde ursprünglich von US-amerikanischen und kanadischen Forschern entwickelt, darunter John O’Brien, Beth Mount, Connie Lyle O’Brien, Jack Pearpoint, Marsha Forest und Michael Smull. In Großbritannien gehört Helen Sanderson zu den Hauptvertretern der Methode, im deutschsprachigen Raum sind dies vor allem Stefan Doose, Andreas Hinz und Ines Boban.
In Großbritannien wurde die persönliche Zukunftsplanung bereits 2001 Bestandteil der offiziellen Sozialpolitik[15]. In Deutschland wird sie unter anderem in Rheinland-Pfalz als Verfahren im Zusammenhang mit dem Einsatz bei der Berufsplanung von Jugendlichen mit Behinderung[16] und vom Landeswohlfahrtsverband Hessen bei der Erstellung der Integrierten Teilhabeplanung (ITP) empfohlen[17][18]. Sie kann auch gut als Methode der Assistenz zur persönlichen Lebensplanung nach § 78 SGB IX verwendet werden.[19][20]
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Ines Boban, Andreas Hinz: Bürgerzentrierte Zukunftsplanung im Unterstützerkreis. Ein Schlüssel zu inklusiven Lebensperspektiven. In: Georg Theunissen, Ernst Wüllenweber (Hrsg.): Zwischen Tradition und Innovation. Methoden und Handlungskonzepte in der Heilpädagogik und Behindertenhilfe. Lebenshilfe-Verlag, Marburg 2009, ISBN 978-3-88617-211-5, S. 453–460.
- Stefan Doose: Partizipation im Rahmen von Prozessen der Hilfe- und Zukunftsplanung. Teilhabe an einem guten Leben als Zielperspektive - Behinderung als Ausgangssituation. In: Miriam Düber, Albrecht Rohrmann, Marcus Windisch (Hrsg.): Barrierefreie Partizipation. Entwicklungen, Herausforderungen und Lösungsansätze auf dem Weg zu einer neuen Kultur der Beteiligung. Beltz Juventa, Weinheim und Basel 2015, ISBN 978-3-7799-3289-5, S. 342–355.
- Stefan Doose, Carolin Emrich, Susanne Göbel: Käpt'n Life und seine Crew. Ein Arbeitsbuch zur persönlichen Zukunftsplanung. Hrsg.: Netzwerk People First Deutschland. 5. Auflage. AG SPAK Verlag, Neu-Ulm 2013, ISBN 978-3-940865-61-8.
- Carolin Emrich, Petra Gromann, Ulrich Niehoff: Gut leben. Persönliche Zukunftsplanung realisieren – ein Instrument. Hrsg.: Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit Geistiger Behinderung. Lebenshilfe, Marburg 2006, ISBN 978-3-88617-523-9.
- Robert Kruschel, Andreas Hinz (Hrsg.): Zukunftsplanung als Schlüsselelement von Inklusion. Praxis und Theorie personenzentrierter Planung. Klinkhardt, Heilbrunn 2015, ISBN 978-3-7815-2019-6.
- John O'Brien, Jack Pearpoint, Lynda Kahn: The PATH & MAPS Handbook. Person-Centred Ways to Build Community. Inclusion Press, Toronto 2010, ISBN 978-1-895418-91-0.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ John O'Brien, Conny Lyle O'Brien: A little book about Person Centered Planning. Inclusion Press, Toronto 1999.
- ↑ Frank Früchtel, Mischa Straßner, Christian Schwarzloos (Hrsg.): Relationale Sozialarbeit. Versammelnde, vernetzende und kooperative Hilfeformen. Belz Juventa, Weinheim und Basel 2016, ISBN 978-3-7799-2356-5, S. 159.
- ↑ Die Methode der Persönlichen Zukunftsplanung – ressourcenorientierte Begleitung. AWO Köln, abgerufen am 25. Oktober 2020.
- ↑ Emrich, Carolin: Persönliche Zukunftsplanung. Konzept und kreative Methoden zur individuellen Lebens(stil)planung und / oder Berufswegplanung. 2004, abgerufen am 22. November 2016.
- ↑ Stefan Doose: "I want my dream!" Persönliche Zukunftsplanung weiter denken. Neue Perspektiven und Methoden einer personenzentrierten Planung mit Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. 11. grundlegend überarbeitete und erweiterte Auflage. AG SPAK, Neu-Ulm 2020, ISBN 978-3-945959-43-5.
- ↑ Netzwerk Persönliche Zukunftsplanung (Hrsg.): Kartenset Persönliche Zukunftsplanung. AG SPAK Verlag, Neu-Ulm 2014, ISBN 978-3-940865-71-7.
- ↑ Hamburger Arbeitsassistenz (Hrsg.): talente. Ein Angebot zur Förderung von Frauen mit Lernschwierigkeiten im Prozess beruflicher Orientierung und Qualifizierung. Theoretische Grundlagen, Projektbeschreibung, Methoden, Materialien, Filme, Begleit-DVD. Hamburger Arbeitsassistenz, Hamburg 2008 (hamburger-arbeitsassistenz.de).
- ↑ Kompetenz-Karten für die Potentialanalyse in der Migrationsberatung. (PDF) Bertelsmann-Stiftung, 2016, abgerufen am 12. Dezember 2016.
- ↑ Stefan Doose, Carolin Emrich, Susanne Göbel: Käpt’n Life und seine Crew. Ein Planungsbuch zur Persönlichen Zukunftsplanung. 5. Auflage. AG SPAK Verlag, Neu-Ulm 2014, ISBN 978-3-940865-61-8.
- ↑ Bettina Lindmeier, Lisa Oermann (Hrsg.): Mein Lebensbuch. Was für mich und andere wichtig ist. 1. Auflage. von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe 2014, ISBN 978-3-86059-241-0.
- ↑ Helen Sanderson, Gill Goodwin: Minibuch Personenzentriertes Denken. HSA Press, Stockport 2010 (verwaltungsportal.de [PDF]).
- ↑ Helen Sanderson, Ruth Mathiesen: Person Cented Reviews. Hrsg.: HSA Press. 2003.
- ↑ Persönliche Lagebesprechung – was läuft gut, was nicht?, auf www.inklusion-als-menschenrecht.de, abgerufen am 24. Oktober 2018
- ↑ a b John O'Brien, Jack Pearpoint, Lynda Kahn: The MAP and PATH handbook. Inclusion Press, Toronto 2010.
- ↑ a b Department of Health: Valuing People Now. Department of Health: London. 2007, archiviert vom am 7. Januar 2013; abgerufen am 23. November 2016. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ a b Bildungsserver Rheinland-Pfalz: Persönliche Zukunftsplanung (PZP). (PDF) Abgerufen am 19. November 2016.
- ↑ Petra Gromann: Persönliche Zukunftsplanung (PZP). (PDF) Abgerufen am 19. November 2016.
- ↑ Landeswohlfahrtsverband Hessen: Manual Integrierter Teilhabeplan Hessen (ITP Hessen). (PDF) 2010, abgerufen am 19. November 2016.
- ↑ Stefan Doose: Persönliche Zukunftsplanung als Assistenz zur persönlichen Lebensplanung (§78 SGB IX). Netzwerk Persönliche Zukunftsplanung, 2017, abgerufen am 7. Dezember 2019.
- ↑ Stefan Doose: Persönliche Zukunftsplanung. Ein gutes, passendes Leben in Verbundenheit gestalten. In: Teilhabe. Nr. 4, 2019, S. 176–180.