Possibilitätstheorie
Die Possibilitätstheorie (engl. possibility, „Möglichkeit“), bei Anwendern häufig auch Möglichkeitstheorie genannt, ist eine mathematische Theorie, die von unvollständiger Information herrührende Ungewissheit modelliert. Sie ergänzt gewissermaßen die bekanntere Wahrscheinlichkeitstheorie, die sich mit durch den Zufall hervorgerufener Ungewissheit befasst. Sie unterscheidet sich von der Wahrscheinlichkeitstheorie durch die Benutzung nicht nur einer Mengenfunktion (der Wahrscheinlichkeit), sondern eines Paares zueinander dualer Mengenfunktionen: der Possibility und der Necessity (engl. necessity, „Notwendigkeit“). Die Possibilität eines Ereignisses ist immer mindestens so groß wie seine Wahrscheinlichkeit. Umgangssprachlich: Was wahrscheinlich ist, ist erst recht möglich, selbst Unwahrscheinliches ist möglich.
Historisches
BearbeitenDie Possibilitätstheorie (als mathematische Theorie) geht zurück auf Lotfi Zadeh (1978).[1] Wesentlich zur Popularisierung beigetragen haben Didier Dubois und Henri Prade 1988[2]. Vor Zadeh haben sich zum Beispiel bereits der Ökonom G.L.S. Shackle 1961[3], und die Philosophen D. Lewis 1973[4] und L.J. Cohen 1977[5] mit der Formalisierung des Begriffes Possibilität befasst.
Possibility
BearbeitenBezeichne das sogenannte Universum, d. h. die Grundmenge, in der alle für das anstehende Problem denkbaren Ereignisse liegen. Zur Vereinfachung sei eine endliche Menge. Dann gelten für die Mengenfunktion Possibility, abgekürzt mit , folgende Axiome:
Günstig für Berechnungen ergibt sich aus den Axiomen, dass für beliebige nicht notwendig disjunkte gilt. Weiter ergibt sich, dass man die Possibility eines Ereignisses aus den Possibilities der Elementarereignisse berechnen kann gemäß
Die Possibility der Elementarereignisse, als Funktion von betrachtet, heißt auch Possibilitätsverteilungsfunktion. Sie wird häufig mit bezeichnet, d. h.
Beispielsweise kann die Zugehörigkeitsfunktion einer Fuzzymenge als Possibilitätsverteilungsfunktion dienen. Sie beschreibt den Grad der Möglichkeit, dass zur Fuzzymenge gehört. Das ist der Zugang von L. Zadeh zur Possibilitätstheorie, siehe[1].
Necessity
BearbeitenDie Necessity ist die zur Possibility duale Mengenfunktion und wird mit bezeichnet. Sie ergibt sich durch
wobei die Komplementärmenge zu ist. Es ist stets , also gilt
- ,
im Gegensatz zur (selbstdualen) Wahrscheinlichkeit , für die gilt.
Possibilitätstheorie als Wahrscheinlichkeitstheorie mit unvollständiger Information
BearbeitenWenn man zu wenig weiß, um über eine Wahrscheinlichkeitsverteilung anzugeben, z. B. wenn man nur die Wahrscheinlichkeiten von einigen Ereignissen aus kennt, dann kann man für beliebige Ereignisse aus aufgrund der Rechenregeln für Wahrscheinlichkeiten nur untere und obere Schranken für die wahre Wahrscheinlichkeit angeben. Mit diesem Problem befasste sich A.P. Dempster 1967, siehe[6] und kreierte die Begriffe untere Wahrscheinlichkeit und obere Wahrscheinlichkeit. Die Possibility ist eine obere Wahrscheinlichkeit, die Necessity eine untere Wahrscheinlichkeit. Außerdem ist die Possibility eine spezielle Plausibilität und die Necessity eine spezielle Belieffunktion im Sinne der Evidenztheorie von Dempster und G. Shafer, siehe[7]. Allgemein sind im Sinne von Dempster Plausibilitäten obere Wahrscheinlichkeiten und Belieffunktionen untere Wahrscheinlichkeiten.
Siehe auch
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b Zadeh,L.: Fuzzy Sets as the Basis for a Theory of Possibility, Fuzzy Sets and Systems 1 (1978) 3-28. doi:10.1016/S0165-0114(99)80004-9
- ↑ Dubois, D. and Prade, H.: Possibility Theory: An Approach to Computerized Processing of Uncertainty, New York: Plenum Press 1988
- ↑ Shackle, G.L.S.: Decision, Order and Time in Human Affairs, 2nd edition, Cambridge University Press
- ↑ Lewis, D.L.: Counterfactuals, Oxford: Basil Blackwell 1973
- ↑ Cohen, L.J.: The Probable and the Provable, Oxford: Clarendon Press 1977
- ↑ Dempster, A.P.: Upper and lower probabilities induced by a multivalued mapping, Annals of Mathematical Statistics 38 (1967) 325-339
- ↑ Shafer,G.: A Mathematical Theory of Evidence, Princeton, University Press 1976