Poverty porn

Taktik durch Medien, die Armut zeigen, Mitgefühl zu erregen

Poverty porn (in deutsch etwa „Armutsporno“) ist der Name für eine Taktik durch Medien, welche Armut zeigen, Mitgefühl zu erregen. Die betroffenen Personen werden danach Geld ausgeben, welches für Spenden oder andere Zwecke benutzt werden kann. Andere vor allem im Englischen gebräuchliche Begriffe sind Pornographie der Armut (engl. pornography of poverty), Entwicklungsporno (development porn), Hungerporno (famine porn)[1] oder Stereotypenporno (Stereotype porn).[2][3] Gemäß Definition benutzen diese Medien (Printmedien, Fotografie oder Film) die „Lage der Armen um das nötige Mitgefühl zu erregen, um Zeitungen zu verkaufen, mehr gemeinnützige Spenden zu ergattern, oder Geld für einen anderen Zweck zu sammeln.“[4][5] Der Begriff legt auch nahe, dass der Betrachter dadurch grundlegende Bedürfnisse befriedigt.[6] Des Weiteren wird der Begriff dazu eingesetzt, Kritik an Filmen zu üben, welche Personen objektifizieren, um einen privilegierten Zirkel von Betrachtern zu unterhalten.[7][8][9]

Dharavi Slum in Mumbai, Indien. Dieser Slum wurde als Drehort für den Film Slumdog Millionaire von 2008 verwendet

Ursprung des Begriffs

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Die Strategie wurde erstmals in den 1980er Jahren verwendet, welche als Goldenes Zeitalter der Hilfskampagnen gelten.[10] Kampagnen benutzen während dieser Zeit starke Bilder, zum Beispiel von unterernährten Kindern, mit Fliegen in ihren Augen. Dies wurde schnell zum Trend, und es gab mehrere wichtige Kampagnen wie Live Aid. Obwohl manche dieser Kampagnen erfolgreich waren und bis zu 150 Millionen Dollar zur Bekämpfung des Hungers einsammeln konnten, wurde auch Kritik laut: Manche Beobachter meinten, das Problem der chronischen Armut werde dadurch verharmlost. Diese Kritiker nannten die Kampagnen sensationsgeil; sie waren auch die ersten, welche den Term „poverty porn“ benutzten.[11]

Wie einige glaubten, benutzten die Medien zu jener Zeit fälschlicherweise das Bild von Kindern, welche in Armut leben müssen.[12] Gegen Ende des Jahrzehnts benutzten die Medien positivere Bilder für ihre Erzählungen. In den letzten Jahren scheinen Schockbilder wieder vermehrt verwendet zu werden.[13]

Der eigentliche Begriff „poverty porn“ wurde erst Jahre später verwendet. Eines der ersten Beispiele ist die Kritik zum Film Angela's Ashes von 1999, welcher im Januar 2000 im elektronischen Newsletter Need to Know publiziert wurde.[14] Dort wurde der Term zwar nicht definiert, die Darstellung von Armut im Film wurde aber als „schwerfälliges Erbrochenes voller Armutspornos“ charakterisiert.[14]

Für Hilfsaktionen

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Das Vorgehen ist kontrovers, da manche glauben, es sei ausbeuterisch, andere jedoch meinen, es hülfe Organisationen dabei, ihre Ziele zu erreichen. Hilfsorganisationen wie UNICEF oder Oxfam stellen Situationen wie Hungersnöte, Armut und Kinder oft gemeinsam dar, um Sympathien zu erlangen und mehr Spenden zu erhalten.

Obwohl Poverty porn als ein Mittel gesehen werden kann, mehr Spendengelder zu erhalten, glauben viele, es stelle eine verformte Realität dar, indem es eine Gesellschaft zeigt, die aus eigener Kraft bzw. ohne westliche Hilfe nicht überleben kann.[15] Des Weiteren glauben viele, dass die verwendeten Bilder zu voyeuristisch sind.[16]

Die Debatte, ob Stereotypen und Sensationalismus dazu benutzt werden sollen, Empathie zu erzeugen, wird oft geführt. Chimamanda Ngozi Adichie, ein Schriftsteller aus Nigeria, merkt dazu an, dass das Problem mit Stereotypen nicht sei, dass sie falsch sind, sondern dass sie unvollständig sind; sie machen aus einer Geschichte die einzige Geschichte.[17]

Während ihrer Spendenkampagne versuchen Hilfsorganisationen jene zu befragen, für welche die Hilfe bestimmt ist. Sie tun dies, um mehr Authentizität zu bekommen. Es ist jedoch häufig, dass jene, welche mit vielen anderen Problemen zu kämpfen haben, sich nicht für Bilder zur Verfügung stellen oder ihre traumatisierende Geschichte erzählen wollen. Dies zeigt einmal mehr, das Leute sich dafür schämen, in einer desolaten Situation zu leben und das poverty porn jene in den Medien zeigt, die dort eigentlich nicht gezeigt werden wollen.[18]

In einem Fall führte dieses „Bedürfnis“ nach Stimmen, um diesen Stil des Fundraising zu rechtfertigen, dazu, dass eine Organisation fiktive „bedürftige Kinder“ erschuf und emotionale Briefe verschickte, die von diesen nicht existierenden Kindern „geschrieben“ worden waren. CNN deckte auf, dass die St. Josephs Indian School in South Dakota Millionen von Dollar an Spenden ergatterte, weil sie die „ärgste Form von Poverty porn“ benutzte.[19] CNN schrieb, dass diese Schule von Personen geleitet wurde, welche nicht zu den Ureinwohnern zählten, „ein Vermögen durch rassistische Stereotypen verdiente“.[20]

In den Medien

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Die Medien benutzen Poverty Porn, indem sie Bilder von Armen zeigen, welche den Betrachter wachrütteln sollen. Die Bilder sollen bei den Betrachtern Emotionen hervorrufen. Es wird jedoch allgemein angenommen, dass die öffentliche Enthüllung des eigenen Elends durch Bilder, Interviews und andere Mittel ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre ist.[18]

Die Verwendung eines einzelnen Fotos, um ein ganzes Land als mittellos zu bezeichnen, lässt das Publikum fälschlicherweise annehmen, dass das gesamte Land die gleiche Geschichte teilt.[21]

Ali Heller, ein Nigerianischer Schriftsteller und Anthropologe meint dazu: „Nehmen Sie einen Moment lang an, Sie litten unter chronischer Inkontinenz. Nehmen Sie weiter an, dass sie keinen Zugang zu Windeln für Erwachsene oder Damenbinden hätten. Stellen sie sich jetzt vor wie die Säure des Urins Ihre Oberschenkel verbrennt, die Haut aufreisst, und sie der Gefahr einer Infektion aussetzt. Stellen Sie sich jetzt die Scham vor, die Sie empfänden -ein Erwachsener, der unfähig ist, zu verhindern, dass beim Besuch eines Freundes auf dessen Stuhl ein wenig Urin zurückbleibt... Warum müssen wir die Extremfälle ins Rampenlicht stellen, wenn der Normalfall schlimm genug ist?“[17]

In der Politik

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In der westlichen Welt fand „poverty porn“ auch oft Verwendung in der Politik. Die Parteien des linken Spektrums benutzen den Begriff, um die Armen durch ihre Schicksale als Opfer darzustellen; die Parteien des politisch rechten Spektrums benutzen ihn, um über den Wohlfahrtsstaat und seine Unzulänglichkeiten zu wettern.[22]

Einzelnachweise

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  1. Mediocre leadership is the biggest crime against humanity. In: kenopalo.com. Abgerufen am 25. Mai 2016.
  2. Famine Africa stereotype porn shows no letup. In: Development Research Institute. Abgerufen am 25. Mai 2016.
  3. "Famine Porn" and the Marketing of Poverty | Subversive Influence. In: subversiveinfluence.com. Abgerufen am 25. Mai 2016.
  4. Matt Collin: What is 'poverty porn' and why does it matter for development? (Memento des Originals vom 1. Februar 2014 im Internet Archive) In: Aid Thoughts, 1. Juli 2009. Abgerufen am 19. Januar 2014  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/aidthoughts.org 
  5. Matthew Flinders: Down and out in Bloemfontein In: Oxford University Press blog, 8. Januar 2014 
  6. James Quinn (Hrsg.): Adventures in the lives of others : ethical dilemmas in factual filmmaking. I.B. Tauris & Co. Ltd., London 2019, ISBN 978-0-85773-976-6 (englisch).
  7. Beth Wilson: What is 'Poverty Porn' and are we guilty of indulging in it? In: Trespass Mag. Archiviert vom Original am 12. Juni 2018; abgerufen am 10. Juni 2018.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.trespassmag.com
  8. a b Benefits Street: Channel 4 boss resents poverty porn accusation In: Digital Spy, 10. Januar 2014. Abgerufen am 19. Januar 2014 
  9. 'Poverty porn'? Who benefits from documentaries on Recession Britain? (Memento des Originals vom 2. Februar 2014 im Internet Archive) In: Joseph Rowntree Foundation, 23. August 2013. Abgerufen am 19. Januar 2014 
  10. Daniel Bendtsen: Controversial poverty advertisements are making a comeback. In: Deseret News. Abgerufen am 6. Januar 2019.
  11. Controversial poverty advertisements are making a comeback. In: DeseretNews.com. Abgerufen am 2. November 2015.
  12. A. Burcu Bayram, Marcus Holmes: The Logic of Negative Appeals: Graphic Imagery, Affective Empathy, and Foreign Development Aid. In: Global Studies Quarterly. 1. Jahrgang, 2021, S. 1 (silverchair.com [PDF; abgerufen am 25. Dezember 2022]).
  13. At What Point Does A Fundraising Ad Go Too Far? In: NPR.org. Abgerufen am 2. November 2015.
  14. a b Barbara Korte: Narrating poverty and precarity in Britain. De Gruyter, Berlin 2014, ISBN 978-3-11-036793-5 (englisch).
  15. What is 'poverty porn' and why does it matter for development? In: Aid Thoughts. Archiviert vom Original am 1. Februar 2014; abgerufen am 2. November 2015 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/aidthoughts.org
  16. It's a bit rich moaning about poverty porn | Rachel Cooke. In: the Guardian. Abgerufen am 2. November 2015.
  17. a b Glendora Meikle: Poverty porn: is sensationalism justified if it helps those in need? In: the Guardian. Abgerufen am 2. November 2015.
  18. a b Poverty porn: look at these vulnerable people. In: Canberra Times. Archiviert vom Original am 23. Juli 2017; abgerufen am 2. November 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.canberratimes.com.au
  19. David Fitzpatrick: U.S. Indian school's fundraising letters sent to millions signed by fictitious kids. CNN Investigations, 17. November 2014, abgerufen am 30. März 2015. "They are raising money in the name of Indians, using the worst of poverty porn of all Indian country to raise money on all our social ills" - Michael Roberts, president of the First Nations Development Institute
  20. Cooper, Anderson (Anchor), with David Fitzpatrick and Drew Griffin (Reporters): 'Poverty porn' helps school get millions. [Television news report]. Hrsg.: CNN Investigations. US 2014 (englisch, cnn.com).
  21. Africans are fighting media poverty-porn by tweeting beautiful images of their real lives. In: The Plaid Zebra. Abgerufen am 2. November 2015.
  22. Alfie Brown, Daniel Bristow (Hrsg.): Twerking to turking. Everyday analysis, volume 2. Zero Books, Winchester 2014, ISBN 978-1-78279-751-7 (englisch).
  23. John Miller: Is Netflix's 'Hillbilly Elegy' poverty porn? In: America Magazine. 25. November 2020, abgerufen am 30. November 2020 (englisch).
  24. Tom McTague: Benefits Street: Iain Duncan Smith uses 'poverty porn' show to justify savage Tory welfare cuts In: Mirror Online, 13. Januar 2014. Abgerufen am 19. Januar 2014 
  25. TV and Radio: Paralympic star Tanni Grey-Thompson attacks Channel 4 over its 'poverty porn' In: The Telegraph, 23. April 2013. Abgerufen am 19. Januar 2014 
  26. Charlie Brooker: Benefits Street – poverty porn, or just the latest target for pent-up British fury? In: The Guardian, 12. Januar 2014 
  27. Jake Kanter: C4 rejects Benefits Street's 'poverty porn' tag In: Broadcast, 10. Januar 2014. Abgerufen am 19. Januar 2014 
  28. Richard Chin: Slumdog Millionaire: Debate Poverty not "Poverty Porn" In: Huffington Post, 6. März 2009. Abgerufen am 19. Januar 2014 
  29. After Benefits Street, it's another round of poverty porn – with added celebrity In: The Guardian, 5. März 2014. Abgerufen am 20. März 2014 
  30. Get on Up: From Rhythm to Richness In: National Review, 1. August 2014. Abgerufen am 2. August 2014 
  31. Nick Galvin: Struggle Street: SBS ponders how to follow ratings smash. In: The Sydney Morning Herald. Abgerufen am 22. Dezember 2015.
  32. Tiny: Performing poverty in 'Nomadland' and 'White Tiger'. In: 48hills. San Francisco Progressive Media Center, abgerufen am 28. Mai 2021.