pro familia (Deutschland)

deutschlandweiter Verbund von Beratungsstellen

pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e. V. Bundesverband ist ein deutschlandweiter Verbund von Beratungsstellen. Sein Angebot richtet sich vor allem an Jugendliche, Eltern und Schulen. Auch anderen Interessierten bietet Pro Familia Beratungen an.

pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e. V.
Logo
Rechtsform e. V.
Gründung 23. Dezember 1952 in Kassel
Sitz Frankfurt am Main
Motto Für selbstbestimmte Sexualität
Schwerpunkt Ärztliche, psychologische und soziale Beratung zu Partnerschaft und Sexualität für Frauen und Männer, Mädchen und Jungen
Personen Daphne Hahn (Vorsitzende), Uwe Saulheimer-Eppelmann, Albrecht Gerlach, Christiane Howe, Michael Schmidt
Mitglieder 5000
Website profamilia.de

Dem in Landesverbände untergliederten Bundesverband gehören rund 4000 Mitglieder an. Er unterhält mehr als 180 Beratungsstellen in Deutschland mit etwa 1600 Mitarbeitern. Angeboten wird medizinische, psychologische, psychosoziale und familienrechtliche Beratung unter anderem zu Sexualität, Partnerschaft, Trennung und Scheidung, Empfängnisregelung und -verhütung, unerfülltem Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Schwangerschaftsabbrüchen.

Die Organisation ist ein Gründungsmitglied der International Planned Parenthood Federation (IPPF) und Mitglied im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Der Bundesverband finanziert sich durch Spenden und Mitgliederbeiträge. Außerdem wird er durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziell gefördert.

Vereinsziele, Beratung und medizinische Angebote

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Der Verein setzt sich für sexuelle und reproduktive Rechte ein und vertritt den Grundsatz einer freien Entscheidung jedes Menschen über seinen Kinderwunsch, was das Recht auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch ohne Indikation einschließe.

Ein Schwerpunkt des Arbeitsprogramms ist die besondere Förderung und Unterstützung benachteiligter Gruppen in der Bevölkerung.

Der Verein bietet sexualpädagogische Veranstaltungen für Schulklassen und Jugendgruppen an.[1] Viele Beratungsstellen bieten eine Jugendsprechstunde an, außerdem gibt es die Möglichkeit der Onlineberatung. Pro Familia informiert online und mit Broschüren umfangreich zu Verhütung und Sexualität.

Der Verein engagiert sich für den freien Zugang zu Verhütungsmitteln. Auch setzte sich der Verein für die Rezeptfreiheit der Pille danach ein; Deutschland gehörte bis zum Jahr 2015 zu den wenigen Ländern in der Europäischen Union, in denen der Arztbesuch noch Pflicht war.[2] Die Vermeidung von Teenagerschwangerschaften gilt für Pro Familia als eine Herausforderung der Sexualaufklärung und der Sexualpädagogik und als gesellschaftliche Aufgabe.[3] Pro Familia fordert das Recht auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch ohne Indikation.

Der Verein betreibt bundesweit Beratungsstellen zur Familienplanung und Schwangerschaft; in Bremen, Mainz, Rüsselsheim am Main, Kassel, Gießen und Saarbrücken sind den Beratungsstellen „profamilia Zentren“ angeschlossen, in einigen von diesen können unter anderem ambulante Sterilisationen des Mannes und straffreie Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden; medizinische Angebote gibt es auch in kooperierenden Familienplanungszentren in Berlin und Hamburg.[4]

Geschichte

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Pro Familia standen vor:[5]

Der Verein wurde am 23. Dezember 1952 als „Deutsche Gesellschaft für Ehe und Familie“ in Kassel gegründet. Ziel war die Schaffung eines gemeinnützigen, nicht-staatlichen und nicht-konfessionellen Fachverbands für Fragen der Sexualität und der Familienplanung.

Die Gründung ging unter anderem auf Vorarbeiten von Margaret Sanger zurück, einer Aktivistin der Bewegung für Geburtenkontrolle, die 1921 die American Birth Control League begründete, aus der 1942 die US-amerikanische Organisation Planned Parenthood und 1952 auch die (deutsche) Pro Familia und (internationale) IPPF hervorgingen.

Erster und langjähriger Vorsitzender war der Hamburger Sozialhygieniker Hans Harmsen.[6] Mitgründer waren Margaret Sanger und Anne-Marie Durand-Wever, letztere wurde Vizevorsitzende. 1984 legte Harmsen das Amt des Ehrenpräsidenten wegen Kritik an seinen während der NS-Zeit geäußerten Positionen nieder.[7] 1963 erfolgte die Aufnahme von Pro Familia in den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Durch eine Förderung im Modellprojekt der Bundesregierung „Ergänzende Maßnahmen zur Reform des § 218“ konnte das Angebot auf 26 Beratungsstellen ausgeweitet werden, zusätzlich zur Fachberatung und Beratung Betroffener wurde jetzt verstärkt sexualpädagogische Jugendarbeit geleistet. In den Jahren ab 1983 wurde die AIDS-Prävention ein weiterer Schwerpunkt.

Nach der deutschen Wiedervereinigung traten im Jahr 1991 in den neuen Bundesländern die Landesverbände der Organisation „EHE und FAMILIE in der DDR“ Pro Familia bei, so dass ihre Aktivitäten auch ohne die Unterstützung der Bundesregierung[8] fortgesetzt werden konnten. 1993 erfolgte die letzte Namensänderung in „Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e. V.“

Seit etwa 2000 hat der Verein auch sein Angebot zur künstlichen Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik ausgeweitet.

  • Mit seinem Eintreten für den indikationslosen Schwangerschaftsabbruch vertritt der Verband zu sexualethischen Zielen und Vorstellungen Positionen, die von kirchlichen und sonstigen Organisationen kritisiert werden.
  • 2004 empfahl der hessische Rechnungshof, die öffentliche Förderung für Pro Familia Hessen zu streichen und dem Verein die Zulassung als Beratungsstelle für Schwangerschaftskonflikte zu entziehen, da er in drei hessischen Instituten auch Schwangerschaftsabbrüche durchführe und daher die Unabhängigkeit der Beratung nicht gewährleistet sei.[9] Der Verein wies den Vorwurf zurück.[10] Die hessische Landesregierung kam der Empfehlung des Landesrechnungshofs nicht nach, kürzte aber Mittel für die Landesgeschäftsstelle.
  • 2013 recherchierte der Berliner Tagesspiegel, dass von 1980 bis 1998 im pro familia magazin mehrere Artikel von Psychologen und Soziologen erschienen waren, die bei sexuellen Kontakten mit Kindern unter bestimmten Bedingungen für Straffreiheit plädierten, darunter auch ein Text von Norbert Lammertz, damals Vorstandsmitglied bei Pro Familia Bonn. Der Tagesspiegel sprach von einem „Pädophilie-Problem“ ähnlich dem bei Bündnis 90/Die Grünen.[11][12][13] Auch Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität wie der Soziologe Rüdiger Lautmann (Die Lust am Kind) veröffentlichten noch 2013 im pro familia magazin.[14] Lautmann widerrief seine Schriften später als „naiv und unzureichend“.[15][16] Pro Familia kommentierte 2013, es seien zweifellos „völlig unvertretbare und verharmlosende“ Standpunkte vertreten worden, welche „die Verletzungen der Opfer ignorierten“.[17][18] Spätere Kommentare meinen, die Enttabuisierung der Sexualität habe zu Naivität und mangelnder Vorsicht geführt.[19][20] pro familia hat sich in einer Selbstaufklärungsdebatte mit den Vorwürfen auseinandergesetzt. Das Ergebnis der Verbandsdiskussion und der Auseinandersetzung mit der Forschung zu Helmut Kentler ist, dass pro familia eingesteht, vor 1998 nicht eindeutig genug gegen Pädosexualität als sexuellen Missbrauch öffentlich Position bezogen zu haben.
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Einzelnachweise

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  1. Christian Rost: Pro Familia hilft aus: Sexualkunde als Lebenshilfe. In: sueddeutsche.de. 25. Juli 2009, abgerufen am 20. April 2022.
  2. Pannenhilfe nach 6: Pille danach* muss rezeptfrei sein! (pdf; 150 kB) In: profamilia.de. 15. Mai 2012, abgerufen am 23. Juni 2017.
    Pannenhilfe nach 6. In: profamilia.de. 15. Mai 2012, archiviert vom Original am 16. Mai 2012; abgerufen am 20. April 2022 (Version vor Abschaffung der Pflicht einer ärztlichen Beratung).
  3. Gunter Schmidt, Elke Thoss u. a.: Pro familia Forschungsprojekt: Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch bei minderjährigen Frauen. (pdf; 52 kB) In: fes.de. 23. Februar 2007, S. 22, archiviert vom Original am 12. Oktober 2013; abgerufen am 20. April 2022.
  4. Was wir Ihnen bieten. In: profamilia.de. Abgerufen am 20. April 2022.
  5. Michael Altmann: 60 Jahre für selbstbestimmte Sexualität. (pdf; 358 kB) In: pro familia magazin. 1/2012, 28. März 2012, S. 4–5, archiviert vom Original am 10. April 2016; abgerufen am 20. April 2022.
  6. Sabine Schleiermacher: Racial Hygiene and Deliberate Parenthood: Two Sides of Demographer Hans Harmsen’s Population Policy. (pdf; 138 kB) In: Reproductive and Genetic Engineering: Journal of International Feminist Analysis. 3/3, 1990, S. 1–4, archiviert vom Original am 19. Februar 2011; abgerufen am 20. April 2022 (englisch).
  7. Sexualpädagogik und Familieninformationen, Nr. 6, 1984
  8. Abtreibung: Leicht übergangen. In: Der Spiegel. 17/1991, 21. April 1991, S. 81, abgerufen am 20. April 2022.
  9. Hans Riebsamen: Schwangerschaftskonfliktberatung: Rechnungshof übt Kritik an. In: faz.net. 17. Juni 2004, abgerufen am 9. November 2021.
  10. Hans Riebsamen: „Pro Familia“ nennt Rechnungshof-Vorwürfe haltlos. In: faz.net. 29. Juni 2004, abgerufen am 9. November 2021.
  11. Cordula Eubel, Sarah Kramer: Beratungsstelle für Familienplanung: Pädophilie-Problem auch beim Verein Pro Familia. In: Tagesspiegel.de. 8. Oktober 2013, abgerufen am 20. April 2022.
  12. Sarah Kramer: Pädophilie-Vorwürfe an Pro Familia: Fragwürdiges Netzwerk. In: Tagesspiegel.de. 9. Oktober 2013, abgerufen am 20. April 2022.
  13. Cordula Eubel, Sarah Kramer: Debatte um Pädophilie: Die Probleme von Pro Familia mit der Distanz. In: Tagesspiegel.de. 8. Oktober 2013, abgerufen am 20. April 2022.
  14. Nina Apin: Pädophile Positionen bei pro familia: „Bedürfnisse“ und „Moralpanik“. In: taz.net. 9. Oktober 2013, abgerufen am 20. April 2022.
  15. Rüdiger Lautmann: Sexualität – soziokulturell. In: lautmann.de. Abgerufen am 20. April 2022.
  16. Rüdiger Lautmann: Das Szenario der modellierten Pädophilie. In: lautmann.de. Abgerufen am 20. April 2022.
  17. Regine Wlassitschau: Zur Thematisierung von Pädophilie in früheren pro familia magazinen. (pdf; 74 kB) In: profamilia.de. 8. Oktober 2013, abgerufen am 20. Januar 2019 (Pressemitteilung von pro Familia).
  18. Erklärung der Bundesvorsitzenden zu den aktuellen Vorwürfen gegen pro familia. (pdf; 74 kB) In: profamilia.de. 11. Oktober 2013, abgerufen am 20. Januar 2019.
  19. Parvin Sadigh: Nicht nur die Grünen verharmlosten Pädophilie. In: Die Zeit. 17. Dezember 2013, abgerufen am 20. Januar 2019.
  20. Anja Fähnle: Verband Pro Familia: Fragwürdiger Umgang mit Pädophilie. In: Deutsche Welle. 11. Oktober 2013, abgerufen am 20. April 2022.