Pulverfabrik Rottweil
Die Pulverfabrik Rottweil war ein bedeutendes Unternehmen in Rottweil, das vor allem Patronen für Jagd- und Kriegszwecke herstellte. Das Pulver wurde außerdem im Bergbau eingesetzt.[2] Sie ging 1863 mit der Übernahme durch Max Duttenhofer aus einer Pulvermühle aus dem 15. Jahrhundert hervor.[3]
Pulverfabrik Rottweil | |
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Rechtsform | ab ca. 1871 Aktiengesellschaft |
Gründung | 1863 durch Übernahme einer Pulvermühle aus dem 15. Jhd.; |
Auflösung | 1994 |
Sitz | Rottweil |
Leitung | bis zu seinem Tode 1921 Carl Duttenhofer[1] |
Mitarbeiterzahl | bis zu 2000 |
Branche | Rüstung |
Geschichte
BearbeitenVom 14. bis zum 16. Jahrhundert finden sich mehrere Erwähnungen von Pulverlieferungen aus Rottweil in die Schweiz – beginnend 1384 mit einem Pulvermacher namens Erhart von Rotwil.[4]
1863 trat Max Duttenhofer in die Pulvermühle ein und heiratete die Tochter des Pulvermüllers Flaiz.[4] Das von Duttenhofer 1882 entwickelte „braune prismatische Pulver“ beherrschte lange Zeit den Markt für schwere Geschütze und Schiffsartillerie. Mit der prismatisch geformte Körnung erreichte dieses Schwarzpulver ein bestimmtes Abbrandverhalten.[1][5]
International bedeutsam wurde das Unternehmen durch das rauchschwache Schießpulver, genannt Rottweiler chemisches Pulver,[2] eine Erfindung Duttenhofers. 1887 führte Preußen das aus Nitrocellulose bestehende Pulver ein.[2] Es verbrannte rauchlos und fast ohne Rückstand und verdrängte das Schwarzpulver in kürzester Zeit.[2] 1890 beschäftigte das Unternehmen 854 Arbeiter, produzierte 6000 Tonnen Pulver und erreichte eine Bilanzsumme von 31 Millionen Mark.[4] Den Höhepunkt seines wirtschaftlichen Erfolges erreichte das Unternehmen nach dem Tode Duttenhofers: 1917 beschäftigte es 2226 Mitarbeiter.[4]
Das Unternehmen erwarb mehrere Beteiligungen an anderen Rüstungsunternehmen und gründete Zweigniederlassungen, so etwa die Pulverfabrik Düneberg bei Geesthacht.[1] Wegen der Nähe der neuen Niederlassung zu Hamburg firmierte das Unternehmen zeitweise als Pulverfabrik Rottweil-Hamburg.[1] 1890 fusionierte es mit anderen zur Vereinigte Köln-Rottweiler Pulverfabriken AG (ab 1919 Köln-Rottweil AG), später, unter anderem mit Mauser, zur Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG.[2]
Bereits vor Beginn des Ersten Weltkrieges wurden die Fabriken in Düneberg und Rottweil umfassend erweitert und auf „größte Anforderungen“ in der Leistungsfähigkeit vorbereitet. Im Krieg stellte die Köln-Rottweiler Pulverfabriken mindestens 75 % des gesamten deutschen Pulverbedarfs her.[6]
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gelände bis 1994 auch zur Textilproduktion verwendet, unter anderem wurde ab 1919 Kunstseide-Viskose hergestellt.[7] 1923 wurde die Deutsche Celluloid-Fabrik in Eilenburg übernommen. Mit der Eingliederung der Köln-Rottweil AG in die I.G. Farben im Jahr 1926 nahm das Werk die Pulverproduktion wieder auf.[4][8]
Da die Kunstseidenproduktion im Zweiten Weltkrieg für die Fallschirmherstellung der Wehrmacht kriegswichtig war, wurden im Kernbereich der Anlage weitere Bauten errichtet, etwa die Spulerei (Kunstseidefabrik) 1938 oder das nie vollständig fertiggestellte, voluminöse Gebäude der Zwirnerei von 1941 bis 1942. In der Kriegsproduktion wurden ab 1942 zunehmend Fremd- und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene eingesetzt.[9] Verantwortliche Vorstände der Köln-Rottweil AG waren Ernst Wodicka (1935–1945), Ernst W. Ohlerich (1935–1942) und Jacob Herle (1942–1945).[10] Nach Kriegsende wurden die Teile des Werkes demontiert, die für die Rüstungsindustrie Bedeutung hatten.[4]
In den 1930er-Jahren gehörten damit 140 Gebäude zu dem Industriekomplex[11], der noch heute erhalten ist und als Ensemble unter Denkmalschutz steht.[12] Zu dem Komplex gehört auch das ehemalige Kraftwerk Rottweil. Einige der Gebäude wurden von namhaften Architekten wie Paul Bonatz, Albert Staiger, Heinrich Henes[13] oder dem Magdeburger Architekten Paul Schaeffer-Heyrothsberge (Zwirnerei)[14] errichtet, der zwischen 1937 und 1940 auch die Werkssiedlung Auf der Brücke errichtet hatte.[15]
Auf dem Gelände befinden sich 40 Kulturdenkmäler.[11] Seit 1993 wird das Areal schrittweise umgenutzt und der Komplex vor dem Verfall bewahrt. „1999 wurde die gelungene Umnutzung des ehemaligen Badhauses als Restaurant und Theaterstätte mit dem Denkmalschutzpreis belohnt“. 2008 kam ein weiterer Denkmalschutzpreis hinzu.[11]
Unter verschiedenen Marken („Rottweil“, „schwarze Waidmannsheil“) der ehemaligen Pulverfabrik Rottweil lässt das Schweizer Rüstungs-Unternehmen RUAG Ammotec noch heute Patronen in Fürth-Stadeln herstellen.[3]
Das Pumpenhaus der ehemaligen Pulverfabrik wurde im April 2013 von der Denkmalstiftung Baden-Württemberg als „Denkmal des Monats“ ausgezeichnet,[16] im Juni 2018 die Mechanische Werkstatt.[17]
Bilder
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Inspektorenhaus
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Staustufe mit Wasserkraftwerk
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Beamtenkasino
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Untere Mühle
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Reste einer Wasserturbine
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Chemisches Laboratorium
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Denkmal für Max Duttenhofer
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Badhaus
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Arbeiterkantine
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Arbeiterumkleide, sog. Jakobskirche
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Büro und Elektrowagenhalle
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Feuerwache
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Rest des sog. Holländerbaues
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Kunstseidenfabrik
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Werkstättengebäude
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Staustufe mit Walzenwehr
Literatur
Bearbeiten- Jörg Kraus: Für Geld, Kaiser und Vaterland. Max Duttenhofer, Gründer der Rottweiler Pulverfabrik und erster Vorsitzender der Daimler-Motoren-Gesellschaft. Heidelberger Lese-Zeiten Verlag 2014, ISBN 978-3-943137-25-5.
- Jörg Kraus: Für Geld, Kaiser und Vaterland. Max Duttenhofer, Gründer der Rottweiler Pulverfabrik und erster Vorsitzender der Daimler-Motoren-Gesellschaft. Delius Klasing, Bielefeld 2001, ISBN 3-7688-1375-4. (Wissenschaftliche Schriftenreihe des DaimlerChrysler-Konzernarchivs, Band 4.)
- Gerald Paul Mager: Fremdarbeiter – Zwangsarbeiter. Ausländische Arbeitskräfte in Rottweil 1939–1945 (= Kleine Schriften des Stadtarchivs Rottweil. Band 11). Rottweil 2004, DNB 971729476.
- Kerstin Renz: Wissen schafft Wertschätzung. Industriepfad führt Besucher durch die ehemalige Pulverfabrik Rottweil. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 38. Jg. 2009, Heft 3, S. 147–152 (PDF; 4,6 MB)
- Bernhard Laule: Die ehemalige Pulverfabrik in Rottweil am Neckar. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 13. Jg. 1984, Heft 4, S. 124–133. (PDF)
- Stefan King, Hermann Klos (Hrsg.): Industriekultur im Neckartal Rottweil. Von Pulver über Nylon zur gewerblichen Vielfalt. Rottweil 2012.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b c d industriemuseum-geesthacht.de: Max von Duttenhofer
- ↑ a b c d e Paul Gehring: Duttenhofer, Max Wilhelm von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 4, Duncker & Humblot, Berlin 1959, ISBN 3-428-00185-0, S. 206 f. (Digitalisat).
- ↑ a b rottweil-munition.com: Rottweil
- ↑ a b c d e f Gewerbepark Neckartal – von der Pulverfabrik zum modernen Industrie – und Gewerbestandort auf rottweil.de, abgerufen am 15. November 2015.
- ↑ "Schießpulver" in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. 1909, S. 761–765. [1]
- ↑ Stefanie van de Kerkhof: Von der Friedens- zur Kriegswirtschaft. Unternehmerstrategien der deutschen Eisen- und Stahlindustrie bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Essen 2006, S. 285.
- ↑ monumente-online.de: Im Tal. 1914. Heute. Das neue Leben der Pulverfabrik im Rottweiler Neckartal
- ↑ rottweil.net Gewerbepark Neckartal
- ↑ Gerald Paul Mager: Fremdarbeiter - Zwangsarbeiter. Ausländische Arbeitskräfte in Rottweil 1939–1945. Rottweil 2004, S. 9 f. (beispielhafte namentliche Nennung zweier Niederländer als Zwangsarbeiter), S. 18–42 (IG Farben-Werk Rottweil als Einsatzträger).
- ↑ Reichsanzeiger 1935, Nr. 55, S. 7 (Berufung von Wodicka und Ohlerich als Vorstände); ebd. 1942, Nr. 84, S. 7 (Berufung Herle als Vorstand statt Ohlerich).
- ↑ a b c schwaebischer-heimatbund.de: Die Preisträger des Denkmalschutzpreises 2006
- ↑ rottweil.de: Stadt Rottweil: Info-Tafeln lassen Rottweiler Industriegeschichte wieder aufleben ( vom 12. Februar 2013 im Webarchiv archive.today).
- ↑ baufachinformation.de: Wissen schafft Wertschätzung. Industriepfad führt Besucher durch die ehemalige Pulverfabrik Rottweil
- ↑ Bauaktenarchiv der Stadt Rottweil
- ↑ rottweil.net Siedlung „Auf der Brücke“ ( vom 16. Dezember 2013 im Internet Archive)
- ↑ Denkmal des Monats bei denkmalstiftung-baden-wuerttemberg.de (abgerufen am 29. November 2013)
- ↑ Denkmal des Monats bei denkmalstiftung-baden-wuerttemberg.de
Koordinaten: 48° 10′ 44,4″ N, 8° 36′ 52,8″ O