Die Reichenberger Zeitung war eine deutschsprachige Zeitung in Reichenberg (tschechisch Liberec).

Die Zeitung wurde von Heinrich Tugendhold Stiepel im Jahr 1860 gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern der liberal ausgerichteten Zeitung gehörten auch die Industriellen Johann Liebieg und Ignaz Ginzkey. Als erste Redakteure arbeiteten ein Herr Kremla und ein Herr Moser. Der erste Chefredakteur (1861–1864) war Alexander von Peez, der von Prag zur Zeitung wechselte. Ab 1886 gab Wilhelm Stiepel das Blatt heraus.[1] Geprägt wurde das Blatt vor allem von Chefredakteur Wilhelm Feistner, dem Schwager Wilhelm Stiepels. Er leitete die Redaktion mehr als fünf Jahrzehnte, von 1886 bis 1938.[2]

Bereits im späten 19. Jahrhundert, ihre Auflage stieg von 4500 auf 13.000 Exemplare etablierte sich die Reichenberger Zeitung als ein den Prager Zeitungen durchaus ebenbürtiger Konkurrent aus Nordböhmen. In ihrem Heft zum 75. Jubiläum 1935 erklärte Feister zum Programm, "zuallerest unerschrocken einzutreten für Deutschtum, Freiheit und Fortschritt".[1] Zu dieser Zeit erschien die RZ in wöchentlich 12 Ausgaben (dienstags bis samstags zweimal täglich, an Sonntagen eine Morgenausgabe, an Montagen eine Spätausgabe). Zu dieser Zeit hatte die Zeitung eine Auflage von 68.000 Exemplaren und wurde in ganz Nordböhmen gelesen. Ungewöhnlich waren auch ihre Werbeaktionen, die u. a. verschiedene Reiseangebote, bis hin zu einem sogenannten RZ-Heim an der Adria, umfassten.

Politisch präsentierte sich die Reichenberger Zeitung in den 1920er- und zunächst auch 1930er-Jahren als unabhängig, zeigte aber Sympathien für die deutschen Parteien, welche zur Beteiligung an der tschechoslowakischen Regierung bereit waren.[3] Vor allem die kurzlebige nationalliberale Deutsche Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft (DAWG), der auch der stellvertretende Chefredakteur Adalbert Lux angehörte, wurde von der RZ unterstützt.[4] So gelang in Reichenberg der DAWG auch die größten Erfolge, insbesondere mit der Wahl von Carl Kostka zum Oberbürgermeister. Mit einer unkritischen Wiedergabe der nationalsozialistischen Propagandameldungen aus dem nahen Deutschen Reich bestärkte die Reichenberger Zeitung die Faszination vieler Sudetendeutscher für die NS-Diktatur.[5]

Die Reichenberger Zeitung musste ihr Erscheinen im Oktober 1938 auf Betreiben der NSDAP einstellen. Der Verlag Gebr. Stiepel verkaufte die Zeitung für 450.000 RM an den Verlag der NSDAP- und zuvor SdP-Zeitung Die Zeit, ebenfalls aus Reichenberg. Dieses Blatt wurden anschließend im Lohndruck in der Druckerei des Verlags „Gebr. Stiepel“ erstellt.[6]

Eine Neuauflage in Deutschland erlebte die Zeitung unter demselben Namen durch Franz Rubner im Jahr 1950 als Nachrichtenblatt der heimatvertriebenen Sudetendeutschen. Heute erscheint sie vierzehntäglich als Regionalausgabe der Sudetendeutschen Zeitung.

Literatur

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  • Andreas Morgenstern: Deutsche in der Tschechoslowakei. Die Berichterstattung der Reichenberger Zeitung 1932-1935. Metropol, Berlin 2024, ISBN 978-3-86331-745-4.
  • Andreas Morgenstern: Die „Nationale Revolution“ 1933 und die sudetendeutsche Presse. Die Reichenberger Zeitung – Sprachrohr der „deutschbewussten“ Bevölkerung. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 69 (2021), Heft 5, S. 403–423.
  • Reichenberger Zeitung, in: Deutschsprachige Zeitungen im östlichen Europa. Ein Katalog, hrsg. von Jörg Riecke / Tina Theobald, edition lumière, Bremen 2019, S. 356–359.
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Einzelnachweise

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  1. a b Andreas Morgenstern: Deutsche in der Tschechoslowakei. Die Berichterstattung der Reichenberger Zeitung 1932-1935. Metropol, Berlin 2024, ISBN 978-3-86331-745-4, S. 15 f.
  2. Jörg Riecke, Tina Theobald (Hrsg.): Deutschsprachige Zeitungen im östlichen Europa. Ein Katalog. edition lumière, Bremen 2019, ISBN 978-3-948077-02-0, S. 357.
  3. Andreas Morgenstern: Deutsche in der Tschechoslowakei. Die Berichterstattung der Reichenberger Zeitung 1932-1935. Metropol, Berlin 2024, ISBN 978-3-86331-745-4, S. 244.
  4. Andreas Morgenstern: Deutsche in der Tschechoslowakei. Die Berichterstattung der Reichenberger Zeitung 1932-1935. Metropol, Berlin 2024, ISBN 978-3-86331-745-4, S. 231–233.
  5. Andreas Morgenstern: Die "nationale Revolution" 1933 und die sudetendeutsche Presse. Die Reichenberger Zeitung - Sprachrohr der "deutschbewussten" Bevölkerung. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Band 69, Nr. 5, 2021, S. 423.
  6. Ende der "Reichenberger Zeitung". In: Deutsche Zeitung Bohemia. Prag 8. November 1938, S. 4.