Reinhart Wolff

deutscher Erziehungswissenschaftler und Soziologe

Reinhart Wolff (* 20. Oktober 1939 in Battenberg (Eder)) ist ein deutscher Erziehungswissenschaftler und Soziologe. Er lehrte bis zu seiner Pensionierung 2008 die Fächer Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Erziehungswissenschaft, Soziologie mit Schwerpunkt Jugendhilfe, Kinderschutz, Hilfesystemforschung, Qualitätsentwicklung, Handlungsmethoden und Selbstreflexion in der Sozialen Arbeit an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin.

Leben und Werk

Bearbeiten

Reinhart Wolff wuchs im Zweiten Weltkrieg in einer bildungsbürgerlichen Familie mit vier Geschwistern auf dem Lande auf. Nach dem Abitur 1959 studierte er Anglistik, Romanistik, Erziehungswissenschaft, Politologie und Soziologie in Marburg, Berlin, Bonn, London und Paris. Ab 1964 arbeitete er als Dozent in der Erwachsenenbildung und politischen Bildungsarbeit, 1966 wurde er an der Freien Universität (FU) Berlin mit einer Arbeit über Entwicklung und Probleme der universitären Erwachsenenbildung in Großbritannien promoviert. Wolff engagierte er sich in der 68er-Bewegung, 1969–70 gehörte er dem Bundesvorstand des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) an. Von 1970 bis 1977 war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. Assistenzprofessor am Institut für Soziologie der FU Berlin tätig, wo er sich 1975 habilitierte.[1]

Wolff wurde 1977 als Professor für Pädagogik an die Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (FHSS) in West-Berlin berufen, die ab 1991 Alice-Salomon-Fachhochschule hieß. 1988/89 ging er als Gastprofessor an die Florence Heller School for Advanced Studies in Social Welfare der Brandeis University in Waltham (Massachusetts). Nach seiner Rückkehr nach Berlin war Wolff von 1990 bis 1994 Rektor der FHSS bzw. Alice-Salomon-Fachhochschule. Von der C2-Professur für Pädagogik wechselte er 2004 auf eine C3-Professur für Sozialarbeit und Sozialpädagogik an derselben Hochschule, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2008 lehrte.[1] Er ist Vater von zwei Söhnen.

Wolff war in der Zeit nach 1968 ein bekannter Vertreter der antiautoritären Kinderladenbewegung und gab zusammen mit Lutz von Werder einige für die Entwicklung der antiautoritären Erziehung wichtige Grundlagenschriften heraus. Mitgewirkt hat Wolff auch in dem 1969 ausgestrahlten Film von Gerhard Bott Erziehung zum Ungehorsam – ein bedeutsames Dokument antiautoritärer Erziehung, das in vielen Ausbildungsstätten für Erzieher und Sozialpädagogen Beachtung fand.

Wolff gehörte zu jenen Wissenschaftlern, die sexuelle Verhältnisse zwischen Kindern und Erwachsenen nicht grundsätzlich ablehnten.[2] Er konzipierte für den Deutschen Kinderschutzbund eine Strategie „Hilfe statt Strafe“ für Täter von sexuellem Missbrauch von Kindern. Diese Strategie gründete auf einem „familienorientierten Ansatz“, der die gemeinsame Therapie von Tätern und Opfern an die Stelle der Bestrafung der Täter setzen wollte. In der Zeitschrift Sozial Extra kritisierte er 1990 in einem zusammen mit seiner Frau verfassten Artikel die Kampagnen gegen Kindesmissbrauch: „Der ganze Eifer richtet sich darauf. Normen einer desexualisierten Kindheit wieder aufzurichten.“[3]

Das Handbuch Sexueller Mißbrauch gab er 1994 zusammen mit Katharina Rutschky als Ergebnis eines Kongress heraus.[4] Darin beschrieb Wolff „sexuelle Anmache eines Kindes oder Jugendlichen“, „Exhibitionismus“ wie zum Beispiel „Zeigen von Brust, Penis, Vagina /Masturbation vor einem Kind“ sowie Voyeurismus als „Vorformen der sexuellen Kindesmißhandlung“ und schätzte diese wie folgt ein: „Insgesamt: Keine bis geringe Traumatisierung.“[5] Sowohl auf dem Kongress als auch im Buch gaben Wolff und Rutschky Helmut Kentlers Thesen Raum, der heute als ein Hauptakteur pädophiler und auch pädokrimineller Netzwerke gilt[6].

Der Akademische Senat der Alice Salomon Hochschule, an der Wolff zuletzt lehrte, widmete sich am 12. Dezember 2023 der Aufarbeitung der Hochschulaktivität rund um die Debatte „Missbrauch mit dem Missbrauch“.[7]

Beim Streit um das Jugendfreizeitprogramm Story Dealer engagierte Wolff sich vehement für dessen angegriffenen Veranstalter Hans Geißlinger.[2] Gegnern des Programms wie dem Potsdamer Erziehungswissenschaftler Detlef Knopf warf er vor, ihre Kritik nicht durch empirische Erkenntnisse untermauern zu können. Beim Streit um dieses Programm ginge es nicht um die „Story-Dealer“, sondern um den Umgang mit sexueller Misshandlung. Es gebe eine Kampagne gegen die Gruppe, weil ein Mitglied persönlich von dieser Diskussion betroffen sei.[8]

Auszeichnungen

Bearbeiten

Herausgeberschaft

Bearbeiten
  • Siegfried Bernfeld: Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse. Ausgewählte Schriften. 3 Bände. Herausgegeben von Lutz von Werder und Reinhart Wolff. März, Frankfurt am Main 1969.
  • Otto Rühle: Zur Psychologie des proletarischen Kindes. Herausgegeben von Lutz von Werder und Reinhart Wolff. März, Frankfurt am Main 1969. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 1975, ISBN 3-436-02068-0.
  • Edwin Hoernle: Grundfragen proletarischer Erziehung. Herausgegeben von Lutz von Werder und Reinhart Wolff. März, Frankfurt am Main 1969. 2. Auflage 1970, 3. Auflage 1971.
  • Schulkampf. Dokumente und Analysen Band 1. Herausgegeben von Lutz von Werder und Reinhart Wolff. März, Frankfurt am Main 1970.
  • Handbuch Sexueller Mißbrauch. Herausgegeben von Reinhart Wolff und Katharina Rutschky. Berlin 1994, Ingrid Klein Verlag, Hamburg, 1. Auflage 1994, ISBN 3-89521-021-8.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b Wolff-Deutsches Kinderbulletin. Abgerufen am 8. Oktober 2018.
  2. a b Jens Anker: „Phantastische Reisen“ unter Verdacht. Berliner Morgenpost, 3. Juni 2015, archiviert vom Original am 3. September 2023; abgerufen am 3. September 2023.
  3. Falsche Kinderfreunde. EMMA, 1. September 1993, archiviert vom Original am 12. November 2013; abgerufen am 3. September 2023.
  4. Katharina Rutschky, Reinhart Wolff: Vorwort. In: Reinhart Wolff, Katharina Rutschky (Hrsg.): Handbuch Sexueller Mißbrauch. 1. Auflage. Ingrid Klein Verlag, Hamburg 1994, S. 8.
  5. Reinhart Wolff: Der Einbruch der Sexualmoral. In: Reinhart Wolff, Katharina Rutschky (Hrsg.): Handbuch Sexueller Mißbrauch. 1. Auflage. Ingrid Klein Verlag, Hamburg 1994, ISBN 3-89521-021-8, S. 83.
  6. Meike S. Baader, Carolin Oppermann, Julia Schröder, Wolfgang Schröer: Ergebnisbericht „Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe“. 2020, S. 49, doi:10.18442/129 (uni-hildesheim.de [abgerufen am 18. Dezember 2023]).
  7. Akademischer Rat der Alice Salomon Hochschule: Einladung zum öffentlichen Teil der Sitzung des Akademischen Rats am 12.12.2023. Abgerufen am 18. Dezember 2023.
  8. Hella Kloss: Streit um „Story-Dealer“ kocht weiter. taz, die Tageszeitung, 13. Mai 1993, archiviert vom Original am 16. November 2018; abgerufen am 3. September 2023.
  9. Info auf bildungsklick.de.
Bearbeiten