Relativistischer Effekt in der Chemie

Phänomen in der Physik

Der Begriff relativistischer Effekt wird in der Chemie für die Eigenschaften schwerer Elemente gebraucht, die nur durch Anwendung der relativistischen Quantenmechanik erklärbar sind.

Effekte der speziellen Relativitätstheorie im Atom

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Mit höherer Kernladungszahl steigt die elektrostatische Anziehungskraft des Atomkerns auf die Elektronen. Die Elektronen der innersten Schalen erreichen dadurch Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit (bei Oganesson bis zu 0,86 c),[1] und zur Beschreibung der Bewegung muss die spezielle Relativitätstheorie berücksichtigt werden. (Zur Veranschaulichung spricht man dabei von der „relativistischen Massenzunahme“ des Elektrons – ein Begriff, der in der modernen Physik aber vermieden wird, weil er zu konzeptionellen Schwierigkeiten führt. Außerdem ist das Bohrsche Atommodell, nach dem Elektronen um den Kern kreisen, zwar anschaulich, aber eine sehr starke Vereinfachung.)

Der relativistische Effekt führt zu einer Kontraktion der s-Orbitale und einiger p-Orbitale. Infolgedessen schirmen die Elektronen die Kernladung besser ab, und die Energieniveaus der übrigen Orbitale werden angehoben. Dies hat Einfluss auf die physikalischen Eigenschaften schwerer Elemente. So kann damit der markante Farbunterschied von Silber und Gold erklärt werden, ebenso der flüssige Aggregatzustand von Quecksilber.

Eine weitere Konsequenz des relativistischen Effekts ist, dass die Zuordnung künstlicher chemischer Elemente (mit hoher Ordnungszahl) zu den Gruppen des Periodensystems unsicher wird. Beispielsweise wurde diskutiert, ob Copernicium Edelgaseigenschaften besitzt. Der relativistische Effekt erklärt auch den „Effekt des inerten Elektronenpaares(inert-pair effect), d. h., er erklärt, warum das äußerste Elektronenpaar im Valenz-s-Orbital anscheinend inert ist.

Quantenphysikalische Betrachtung

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Mathematisch muss man den nichtrelativistischen Hamilton-Operator gegen einen relativistischen ersetzen. Dies gelingt bei Atomen relativ gut mit der Diracgleichung anstelle der Schrödingergleichung. Bei den leichteren Elementen überwiegen Terme wie die Breit-Korrektur für die Elektron-Elektron-Wechselwirkung und die Quantenelektrodynamik (QED) der Vakuumpolarisation und Vakuumfluktuation. Ungefähr ab der Ordnungszahl 50 spielt letzterer Term keine Rolle mehr, da die Vakuumpolarisation und die Vakuumfluktuation fast dieselben Werte annehmen. Innerhalb einer Gruppe des Periodensystems nimmt der Term für relativistische Effekte mit   zu und erreicht in der 6. Periode eine nicht mehr zu vernachlässigende Größe. Daher müssen sie für Elemente ab Caesium (Ordnungszahl 55) Beachtung finden.

Bei den Elementen der 5. Periode des Periodensystems spielt die Lanthanoidenkontraktion eine entscheidende Rolle, um das Verhalten zu beschreiben. Nach dieser müssten allerdings die s- und d-Energieniveaus vom Silber und Gold etwa gleich hoch sein. Beobachtet wird jedoch beim Gold eine Kontraktion des 6s- und eine Expansion des 5d-Niveaus. Beim Copernicium (Ordnungszahl 112) ist dieser Effekt noch ausgeprägter; möglicherweise ist der Niveauunterschied zwischen den 6d- und den 7p-Elektronen so groß, dass Copernicium Edelgascharakter besitzt.

Weitere Beispiele

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Im nichtrelativistischen Fall wären die 5d- und 6s-Energieniveaus von Silber und Gold ähnlich. Durch den relativistischen Effekt werden die 6s-Niveaus jedoch kontrahiert und die 5d-Niveaus expandiert. Es entsteht eine Energiedifferenz, die der Wellenlänge von blauem Licht entspricht (blaues Licht wird absorbiert, übrig bleibt die bekannte goldgelbe Farbe). Gleichzeitig werden die Bindungslängen in Goldverbindungen verkürzt (um ca. 20 pm beim Gold-Dimer). Beim Element Roentgenium ist dieser Effekt vermutlich noch stärker ausgeprägt.

Die Neigung schwerer Elemente, Oxide zu bilden, folgt nicht den erwarteten Eigenschaften. So ist PbO die stabilste Sauerstoffverbindung des Bleis, während Silizium, Germanium und Zinn stabile Dioxide der Form MeO2 bilden. Theoretischen Abschätzungen zufolge ist auch ein Großteil der elektrischen Spannung, die an den Polen des Bleiakkumulators anliegt, durch die Relativität bedingt. Ebenfalls ist kein stabiles Bismut(V)-oxid bekannt, von Phosphor, Arsen und Antimon aber schon.

Literatur

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  • Pekka Pyykkö: Relativistic theory of atoms and molecules. A bibliography 1916-1985, Lecture Notes in Chemistry, No. 41, 389 p. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York (1986). ISBN 3-540-17167-3.
  • Pekka Pyykkö: Relativistic Effects in Chemistry: More Common Than You Thought. In: Annual Review of Physical Chemistry, Vol. 63: 45-64. doi:10.1146/annurev-physchem-032511-143755
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Einzelnachweise

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  1. Risse im Periodensystem, Eric Scerri Risse im Periodensystem, Eric Scerri, Spektrum der Wissenschaft, Heft 8/14, S. 78 ff.