Als Retrospektionseffekt (engl. recall bias, retrospection effect) wird eine im Rückblick systematisch veränderte, positivere oder negativere Beurteilung eines Erlebnisses oder Ereignisses bezeichnet. Im Unterschied zum einfachen Rezenzeffekt und Rückschaufehler, die aus der Funktion des Kurzzeitgedächtnisses erklärt werden, sind für den Retrospektionseffekt vielschichtige Bedingungen anzunehmen. Diese Antworttendenz ist je nach Person und Thema verschieden ausgeprägt, weist auf emotionale und kognitive Prozesse der Urteilsbildung und der Erinnerung zurück, und kann eine systematische Fehlerquelle bei Selbstberichten und Befragungen bilden.

Der Retrospektionseffekt wird durch den Vergleich der rückblickenden Selbstbeurteilung mit den momentanen bzw. den über einen Zeitabschnitt gemittelten Selbstberichten festgestellt. Untersuchungen haben bei vielen Menschen einen negativen Retrospektionseffekt ergeben, wenn Stimmung und Belastung (Stress), körperliche Beschwerden und Schmerzen rückblickend nach Tagen oder Wochen – im Vergleich zu den aktuellen Berichten – als intensiver beurteilt werden. Beim ambulanten Assessment können Befinden und Stimmung durch regelmäßige Abfragen mit einem Personal Digital Assistant (PDA) im Alltag protokolliert werden. Am Abend des Tages oder am nächsten Tag erbetene Einstufungen lassen im Vergleich zu dem durchschnittlichen Wert (aufgrund der einzelnen Einstufungen während des Tages) bei einigen Personen eine negativere Bewertung erkennen (Käppler u. a., 2001).

Literatur

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  • Christoph Käppler, Gerd Brügner, Jochen Fahrenberg: Pocketcomputer-unterstütztes Assessment mit MONITOR: Befindlichkeit im Alltag, Methodenakzeptanz und die Replikation des Retrospektionseffektes. In: Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 2001, Band 22, 249–266.
  • Amy A. Gorin, Arthur A. Stone: Recall biases and cognitive errors in retrospective self-reports: A call for momentary assessments. In Andrew Baum, Tracy A. Revenson and Jerome E. Singer (Eds.). Handbook of health psychology. Erlbaum, New Jersey 2001, ISBN 0-8058-1495-7, S. 405–413.
  • Rüdiger F. Pohl (Ed.) : Cognitive illusions. A handbook on fallacies and biases in thinking, judgment and memory. Psychology Press, New York 2004, ISBN 1-84169-351-0.
  • Norbert Schwarz: Assessing frequency reports of mundane behaviors: Contributions of cognitive psychology to questionnaire construction. In Clyde Hendrick & Margret S. Clark (Eds.). Research methods in personality and social psychology Sage, Newbury Park, CA. 1990, S. 98–119.
  • Norbert Schwarz: Retrospective and concurrent self reports. The rationale for real-time data capture. In: Arthur A. Stone, Saul Shiffman, Audie A. Atienza, Linda Nebeling: The science of real-time data capture: self-reports in health research. Oxford University Press, New York 2007, ISBN 978-0-19-517871-5, S. 11–26.