Mit dem Begriff Retrotransposon wird eine Klasse der transponierbaren DNA-Sequenzen bezeichnet. Diese trägt ihren Namen aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit mit Retroviren. Retrotransposons verwenden RNA (mRNA) als mobile Zwischenstufe. Sie werden in Abgrenzung zu DNA-Transposons (Klasse II) auch als Klasse I Transposons bezeichnet.

Die Untergruppe der LTR-Retrotransposons weist innerhalb der Retrotransposons die größte strukturelle Ähnlichkeit mit Retroviren auf. Vollständige LTR-Retrotransposons enthalten mehrere Abschnitte Protein-codierender DNA, die für den Transpositionsprozess benötigt werden: eine Protease, eine reverse Transkriptase, eine Ribonuklease, eine Integrase. Weiterhin bestehen vollständige LTR-Retrotransposons aus zwei terminalen LTRs (d. h. long terminal repeats). Eine Sonderform stellen Solo-LTRs dar, bei denen nach Deletion durch Homologe Rekombination nur noch ein einzelner LTR-Abschnitt im Genom vorhanden ist.

Um neue Einfügungen in das Wirtsgenom vorzunehmen, verwenden diese Retrotransposons nach Aktivierung ihre mRNA als Vorlage für die Synthese extrachromosomaler zirkulärer Doppelstrang-DNA (englisch extrachromosomal circular DNA, eccDNA): Sie kodieren wie Retroviren eine reverse Transkriptase, die den ersten DNA-Strang synthetisiert. Danach nutzen sie den DNA-Reparaturprozess des Wirts (englisch alternative end-joining, alt-EJ), um die Doppelstrang-DNA in einen Zirkularisierungsschritt fertigzustellen. Die Zirkularisierung und Synthese des DNA-Komplementärstrangs wurde 2023 vom Team von Zhao Zhang an einem gentechnisch veränderten Stamm der Taufliege Drosophila melanogaster untersucht, der am Retrotransposon einen fluoreszierenden Marker enthielt.[1][A. 1]

Retrotransposons machen etwa 40 % des menschlichen Genoms und mehr als 75 % des Maisgenoms aus.[1] Stark degenerierte Transposons haben in der Regel die Fähigkeit zur autonomen Transposition verloren.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Auch Retroviren vie HIV bilden vorübergehend eine zirkuläre DNA (cDNA), wenn sie sich ins Wirtsgenom integrieren – obwohl ihr Virusgenom in den Virionen (Virusteilchen) selbst als (+)ssRNA vorliegt.[2]

Quellen Bearbeiten

  • Jochen Graw: Instabilität des Genoms: Transposons und Retroviren. In: Genetik, 4. Auflage, Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg 2006, Kapitel 9, S. 345f; doi:10.1007/978-3-662-60909-5_9.
  • Thomas Wicker, François Sabot, Aurélie Hua-Van, Jeffrey L. Bennetzen, Pierre Capy, Boulos Chalhoub, Andrew Flavell, Philippe Leroy, Michele Morgante, Olivier Panaud, Etienne Paux, Phillip SanMiguel, Alan H. Schulman: A unified classification system for eukaryotic transposable elements. In: Nature Reviews Genetics, Band 8, S. 973–982; Dezember 2007; doi:10.1038/nrg2165, PMID 17984973 (englisch).

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Fu Yang, Weijia Su, Oliver W. Chung, Lauren Tracy, Lu Wang, Dale A. Ramsden, Zhao Zhang: Retrotransposons hijack alt-EJ for DNA replication and eccDNA biogenesis. In: Nature, Band 620, Nr. 7972, August 2023, S. 218–225; doi:10.1038/s41586-023-06327-7, PMID 37438532, PMC 10691919 (freier Volltext), 12. Juli 2023 (englisch). Dazu:
  2. SIB: HIV replication cycle. Auf: Expasy ViralZone. Abgerufen am 31. Dezember 2023.