Robert A. Cunningham (* 27. Juli 1837 in Godmanchester (Quebec); † 24. Mai 1907 in New York) war ein kanadischer Schausteller und VölkerschauImpresario. Er vermarktete sich selbst als „R. A. Cunningham“.

Robert A. Cunningham, Foto aus San Francisco, o. J.

Cunningham entführte 1883 eine Gruppe von neun Aborigines nach Nordamerika, unter ihnen auch Sussy Dakaro (gest. 23. Juni 1885) und Kukamunburra (gest. 23. Februar 1884), um diese 1883 zunächst im Rahmen einer Völkerschau-Tournee von P. T. Barnum zur Schau zu stellen. Anfang 1884 verstarben zwei Mitglieder der Gruppe. Im April 1884 setzte Cunningham die jetzt eigenständig organisierte Tournee in Europa fort. 1885 verstarben vier weitere Gruppenmitglieder. Mit den überlebenden drei Aborigines reiste Cunningham noch bis 1888 weiter durch Skandinavien, Russland, und Südeuropa. 1889 führte er eine weitere langjährige Tournee mit einer neun Gruppe von Samoanern und ab 1892 mit einer zweiten Gruppe von acht Aborigines durch. Auch bei diesen beiden Schauen verstarben jeweils sechs der Gruppenmitglieder.

Robert Amberson Cunningham wurde am 27. Juli 1837 in Godmanchester bei Huntingdon in der kanadischen Provinz Québec geboren. Er war eines von mehreren Kindern der Bauern Andrew Cunningham und Margaret Emberson. Sein Vater Andrew stammte ursprünglich aus dem County Londonderry in Nordirland und war 1827 nach Kanada eingewandert.[1] Robert A. Cunningham reiste 1856 als 18-jähriger nach Kalifornien, um während des dortigen Goldrauschs in Kalifornien sein Glück als Bergmann zu versuchen. In den Städten rund um die Goldfelder kam er mit dem Schaustellergewerbe in Kontakt und trat dort zunächst als Musiker auf. Seit den 1870er Jahren war er dann als Theateragent tätig und organisierte der Auftritte für Zirkusse, Freakshows und Varietétheater.[1]

Cunningham kam im Juli 1879 erstmals nach Australien. Während seines Aufenthalts in Melbourne im November 1882 wurde Cunningham vom amerikanischen Schausteller P. T. Barnum beauftragt, eine Gruppe von Aborigines in die USA zu bringen.[2] Im Januar 1883 entführte er eine Gruppe von neun Aborigines, mit der er zunächst nach Sydney reiste.[3]

 
Cunningham mit der Gruppe von sieben Aborigines, Foto von Carl Günther, Berlin 1884

Cunninghams Völkerschau der Aborigines reiste 1883 zunächst zusammen mit der Ethnological Congress of Strange Savage Tribes von P. T. Barnum durch zahlreiche Städte der USA, bei denen die Aborigines als „Kannibalen“ und Menschen der untersten Stufe der „Menschenrassen“ stigmatisiert wurden. Unabhängig davon ließ Cunningham seine Gruppe auch in Vergnügungsstätten und Kuriositätenkabinetten aller Art auftreten.[4] Nachdem Kukamunburra und ein weiterer Darsteller im Februar 1884 verstarben, entschied sich Cunningham, die Völkerschau-Tournee in Europa fortzusetzen. Die Tournee zog über vier Jahre durch eine Vielzahl europäischer Länder. Von den Völkerschauen im Deutschen Reich, bei denen Cunningham auch mit Carl Hagenbeck kooperierte, ist ein Programmheft überliefert, in dem Aborigines wie folgt „beworben“ wurden:

„Australische Kannibalen und Kannibalinnen / Unter der Leitung von R.A. Cunningham / Die erste und einzige Kolonie dieser fremden, wilden, scheußlichen und brutalen Rasse, die je aus den fernen, unbekannten Weltgegenden gebracht wurde, wo sie sich ständig mit Kämpfen und blutigen Überfällen beschäftigen, um das Fleisch ihrer Feinde zu verschlingen / Die niedrigste Stufe der Menschheit und ganz gewiss diejenige, die zu beobachten von allergrößtem Interesse für das Publikum ist.“[5]

Die Rückseite des Programmheftes kündigte an:

„Der einzige Trupp jener wilden tückischen, uncivilisirten Menschen, welche furchtbare Narben an ihrem Körper, und Knochen sowie große Ringe durch Nase und Ohren als Schmuck tragen. Wirklich blutdürstige Ungeheuer in abschreckend häßlich menschlicher Gestalt, mit äußerst wenigen Verstandeskräften und geringem Sprachvermögen begabt. Niedrigststehende Menschengattung“[6]

Ab 1889 organisierte er eine Völkerschau von neun Samoanern. Da er die Gruppe auch im Winter mit unzureichender Kleidung präsentierte, starben sechs Mitglieder. Die drei Überlebenden ließ Cunningham in New York zurück, wo ein Journalist der Zeitung „New York World“ sie in einem desolaten Zustand auffand. Der Journalist begleitete sie auf Kosten des Staates New York und der Zeitung zurück in ihre Heimat.[7] 1892 später rekrutierte Cunningham erneut eine Gruppe von acht Aborigines, mit denen er wieder sowohl durch Nordamerika als auch in Europa tourte. Auch bei der zweiten, sechs Jahre dauernden Völkerschau der Aborigines starben sechs Mitglieder der Gruppe. 1898 kehrte Cunningham nach Kanada zurück.[8] In späteren Jahren versuchte er, Aufträge für den norwegischen Ethnologen Johan Adrian Jacobsen zu vermitteln, der Auftritte für Carl Hagenbeck organisierte. In seinen letzten Lebensjahren arbeitete Cunningham auf verschiedenen Jahrmärkten in Kalifornien und Indiana noch als Kartenverkäufer und Kassierer bei Tiershows und Jahrmarktsattraktionen.[9]

Zeitgenössische Beurteilung

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R. A. Cunningham galt „übereinstimmend in allen Quellen als der Prototyp des schlechten, rücksichtslosen Völkerschau-Impresarios“,[10] als „Menschenjäger“ und „Freak-Catcher“.[11] Er selbst behauptete, die Aborigines auf sein Schiff gelockt zu haben, um dann ohne ihr Einverständnis abzulegen. Zudem gab er an, sie so lange zur Schau stellen zu wollen, bis alle Mitglieder gestorben seien.[10] Carl Hagenbeck äußerte: „Dieser Cunningham ist ein großer Lump solch einem Kerl kann man nichts anvertrauen und muß nichts darauf geben was er sagt“.[6] Der Direktor des Westfälischen Zoologischen Gartens zu Münster Hermann Landois beschrieb Cunningham während des Aufenthaltes der Aborigines in Münster im August 1885 in einem längeren Zeitungsartikel:

„Zum Schluß kann ich nicht umhin, den Impresario der schwarzen Gesellschaft, Mr. Cunningham, näher zu charakterisiren. Virchow, Kirchhoff und Andere — und wir haben uns diesen angeschlossen — konnten ihm das Zeugniß nicht vorenthalten, daß die von ihm vorgeführten Australneger zu den interessantesten ethnographischen Schaustellungen gehören. Im übrigen charakterisirt sich das Unternehmen als die vollendetste, roheste Sklavenhändlerei. Er brachte 8 Individuen mit sich nach Amerika und von da nach Europa; im Verlauf eines Jahres sind bereits 4 gestorben. Die Wilden betteln fortwährend, verkaufen Reklamebücher und Photogramme Tag für Tag und säckeln das Geld ein, dessen Werth sie schon ziemlich kennen. Aber in Kurzem wird der Eine nach dem Andern gestorben und Mr. Cunningham schließlich der einzig überlebende lachende Erbe sein. Der Impresario machte mir gegenüber auch gar kein Hehl daraus, daß er nicht im geringsten beabsichtige, die Wilden wieder in ihre Heimath zurückzuführen, vielmehr sie als Opfer seiner Geldgier bis zum letzten Athemzuge auszunutzen. In der Tracht eines englischen Reverend und die mit Rhinozeroshaut überzogene Stahlstange in der Hand glich er von Kopf bis zum Fuß einem Sklaventreiber. Der Mensch nährte sich nur von Kaffee, Bier, Branntwein und einigen Butterbröden täglich! Bei uns in der kleinen Provinzial-Hauptstadt heimste er in 6 Tagen 1459,20 Mark ein, von welchen ich ihm allerdings die Halfte für die Kasse unseres zoologischen Gartens abknöpfte; als Einnahmen in anderen größeren Städten wies sein Notizbuch tägliche Summen von 500 bis 600 Mark nach! So etwas konnte nur ein Schüler Barnum's ersinnen.“[12]

Forschungsstand

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2004 veröffentlichte Roslyn Poignant die umfassende Darstellung Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacles über Cunningham und seine beiden Völkerschau-Tourneen der Aborigines. Sie konnte aus dem Familienarchiv ein umfangreiches Sammelalbum einsehen, in dem er Zeitungsartikel seiner Schauen aufbewahrt hatte.[13]

Literatur

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  • Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, New Haven, London 2004, ISBN 978-0-300-20847-4.
  • Roslyn Poignant: Die Aborigines: „professionelle Wilde“ und Gefangene. In: Pascal Blanchard u. a. (Hrsg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Les éditions du Crieur Public, Hamburg 2012, ISBN 978-3-9815062-0-4, S. 232–241.
  • Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-593-34071-2.

Einzelnachweise

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  1. a b Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 64.
  2. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 60.
  3. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 67 f.
  4. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 106ff.
  5. Raymond Corbey: Ethnografische Schaukästen: multimediale Erzählmuster. In: Pascal Blanchard u. a. (Hrsg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg 2012, S. 116–124, S. 120.
  6. a b Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Frankfurt am Main 1989, S. 41.
  7. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 199 f.
  8. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 235.
  9. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 237.
  10. a b Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Frankfurt am Main 1989, S. 42.
  11. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 14.
  12. Hermann Landois: Die Australneger, Münsterischer Anzeiger, 8. August 1885.
  13. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. New Haven, London 2004, S. 13.