Russische Befreiungsarmee

russischer Freiwilligenverband, der auf der deutschen Seite im Zweiten Weltkrieg kämpfte

Die Russische Befreiungsarmee (russisch Русская освободительная армия – РОА Russkaja oswoboditelnaja armija – ROA), nach ihrem ersten Kommandeur auch Wlassow-Armee genannt, war ein russischer Kampfverband, der auf der deutschen Seite am Zweiten Weltkrieg teilnahm. Die Aufstellung wurde Ende 1944 von Adolf Hitler ermöglicht, während Angehörige nichtrussischer Völker der Sowjetunion schon drei Jahre früher in den Ostlegionen organisiert wurden.

Russische Befreiungsarmee (Wlassow-Armee)


Abzeichen der Russischen Befreiungsarmee (blaues Andreaskreuz auf weißem Grund).
Aktiv 10. November 1944 bis 12. Mai 1945
Staat Russland
Deutsches Reich Deutsches Reich
Streitkräfte Deutsche Wehrmacht
Teilstreitkraft Heer / Luftwaffe
Stärke 125.000
Aufstellungsort Münsingen (Württemberg)
Farben Blau-weiß
Marsch Мы идём широкими полями (Wir schreiten in großen Feldern)
Luftfahrzeuge
Bomber 12 Junkers Ju 88
5 Heinkel He 111
Abfangjäger 16 Messerschmitt Bf 109 G

Die ROA wurde von dem früheren Generalleutnant der Roten Armee Andrei Wlassow organisiert, der alle Russen im Kampf gegen die Sowjetunion vereinen wollte. Unter den Truppen waren Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und russische Emigranten. Die ROA erhielt den Status der Armee eines verbündeten Staates und war der Wehrmacht in operativen Fragen unterstellt.

Geschichte

Bearbeiten

Aufstellung

Bearbeiten
 
General Wlassow mit Soldaten der ROA (1944)
 
Angehörige der ROA in Nordfrankreich (1944)

Die Aufstellung pro-deutscher Verbände aus Angehörigen der Völker der Sowjetunion wurde im Zuge der Ostlegionen bereits im Jahr 1941 vollzogen; hierbei wurden die Russen als Ethnie aber zunächst kategorisch von der Rekrutierung ausgeschlossen. Bis in das Jahr 1943 hinein hielt sich, trotz einiger Fürsprecher in hohen Positionen der Wehrmacht, besonders der Widerstand Adolf Hitlers gegen die Beteiligung des vermeintlich rassisch minderwertigen und feindlich gesinnten Volkes am Krieg gegen die UdSSR.[1]

Im Frühjahr 1944 stellte die Waffen-SS verschiedene russische Einheiten auf. Dazu zählte das am 28. April gegründete XV. Kosaken-Kavallerie-Korps. Der Reichsführer SS und Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, Heinrich Himmler, überzeugte den zunächst zögerlichen Adolf Hitler davon, einen russischen Verband mit zehn Grenadier-Divisionen, einem Panzer-Verband und eigenen Luftstreitkräften zu gründen.

Die Rekrutierung begann im Herbst 1944. Es wurden sowjetische Kriegsgefangene und sogenannte „Hilfswillige“ (HiWi) verschiedener deutscher Militäreinheiten angesprochen. Dabei kamen den Werbern die lebensbedrohlichen Bedingungen in den deutschen Kriegsgefangenenlagern entgegen. Viele russische Gefangene wählten lieber die ROA als das Risiko, in den Lagern an Hunger oder Krankheit zu sterben.

Im September 1944 traf sich Himmler mit Generalleutnant Wlassow, und dieses Treffen resultierte in der Schaffung des Komitees zur Befreiung der Völker Rußlands (Комите́т освобожде́ния наро́дов Росси́и, KONR). Himmler versprach bei der Bildung einer KONR-Armee zu helfen. Da die Mehrheit der ROA-Truppen an unterschiedlichen Fronten eingesetzt war, sollte ihre Unterstellung unter die KONR-Armee nur allmählich erfolgen.

Ab dem 10. November 1944 wurde als erste KONR/ROA-Division die 600. Infanterie-Division (Russ.) auf dem Truppenübungsplatz Münsingen auf der Schwäbischen Alb aufgestellt. Sie stand unter dem Kommando von General Sergei Bunjatschenko. Ihr Kern bestand aus Resten der 30. Russischen SS-Infanterie-Division und Resten der Kaminski-Brigade. Die 600. Infanterie-Division erreichte die Front an der Oder im März 1945.

Am 19. Dezember 1944 befahl Göring die Aufstellung von ROA-Luftstreitkräften. Sie umfassten eine Jagdstaffel (16 Messerschmitt Bf 109 G), eine Nachtschlachtstaffel (zwölf Junkers Ju 88), eine Bomberstaffel (fünf Heinkel He 111), eine Verbindungsstaffel sowie eine Luftnachrichtenabteilung, das Fallschirmjäger-Luftlandebataillon Dallwitz sowie eine Ausbildungsstaffel und ein Flak-Regiment.[2]

Am 17. Januar 1945 folgte die Aufstellung einer zweiten Division, der 650. Infanterie-Division (Russ.) auf dem Truppenübungsplatz Heuberg bzw. im Lager Heuberg. Außerdem wurden eine Reservebrigade und eine Panzerjäger-Brigade aufgestellt. Im April 1945 wurde die Russische Brigade 599 aufgestellt und im dänischen Viborg stationiert.

Am 10. Februar 1945 übergab der General der Freiwilligen-Verbände im OKH, General der Kavallerie Ernst-August Köstring, Generalleutnant Wlassow die erste ROA-Division auf dem Truppenübungsplatz Münsingen. Insgesamt kämpften 71 ROA-Bataillone an der Ostfront und 42 Bataillone dienten in Belgien, Frankreich, Italien und in Finnland.

Zum Zeitpunkt der offiziellen Gründung der ROA hatte sie eine Truppenstärke von rund 50.000 Mann. Bis zum Ende des Krieges wurde sie verdoppelt. Dabei wurden Wlassow weitere nationale Formationen unterstellt, die mit den Deutschen kollaborierten. Darunter waren Kosakentruppen und das Kalmückische Kavalleriekorps. Am Ende des Krieges bestand nur noch die 600. Infanterie-Division unter dem Kommando des Generalmajors Sergei Bunjatschenko.

Am 11. April, unmittelbar vor der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald, schossen die bei Buchenwald stationierten Wlassow-Einheiten noch ins Lager.[3] Die Division focht daraufhin am 13. April 1945 erfolglos gegen den unbedeutenden sowjetischen Brückenkopf Erlenhof an der Oder-Front südlich von Fürstenberg (Oder). Dabei fielen über 150 Soldaten. Anschließend zog die Division in Richtung Prag ab.[4]

Kriegsende

Bearbeiten
 
Massengrab der Wlassow-Armee auf dem Prager Friedhof Olšany (Olšanské hřbitovy) mit zwei Generälen und 187 unbekannten ROA-Soldaten (2003)

Angesichts der Lage ließ Bunjatschenko seine ROA-Infanteriedivision die Seiten wechseln und kämpfte ab dem 6. Mai 1945 beim Prager Aufstand gegen die Reste der deutschen Besatzungstruppen bzw. gegen durchziehende deutsche Einheiten, die lieber im Westen in Gefangenschaft geraten wollten. Bunjatschenkos Hoffnung, sich dadurch nach dem Krieg eine militärische und staatliche Heimat in einem neuen tschechischen Staat verdienen zu können, erfüllte sich nicht. Es stand zu dem Zeitpunkt nach Absprache unter den Alliierten fest, dass diese Truppen an die Sowjetunion ausgeliefert werden würden.

Nach Kriegsende wurden die Angehörigen der ROA wie auch andere frühere Sowjetbürger von den Vereinigten Staaten – gemäß der in Jalta im Februar 1945 getroffenen Übereinkunft zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion über die befreiten Kriegsgefangenen und Zivilpersonen – an die Sowjetunion übergeben.[5] Die Verpflichtung gegenüber dem Prinzip der Staatssouveränität und dem internationalen Recht machte dies unabdingbar.[6]

Teile der ROA sollen vor ihrem Abtransport nach Torgau im ehemaligen KZ Lichtenburg untergebracht worden sein. Nach Kriegsende bis 1947 waren im Zuchthaus Brandenburg-Görden Angehörige der ROA inhaftiert.

In Moskau wurden Wlassow und neun seiner Generale am 1. August 1946 nach einem kurzen Prozess hingerichtet. Andere Angehörige der ROA, denen man schwerwiegende Taten vorwarf, wurden in Zwangsarbeitslager des Gulag deportiert. Alle anderen Soldaten wurden für sechs Jahre in die Verbannung geschickt[7], bis Januar 1953 war der größte Teil von ihnen aus der Verbannung zurückgekehrt.[8]

Kommandeure

Bearbeiten

Nachwirkung

Bearbeiten
 
Denkmal für Wlassow und die ROA auf dem Friedhof in Nanuet/New York (2014)

Auch noch nach Jahrzehnten war es die Auffassung der Sowjetunion, dass es sich bei den Angehörigen der ROA um „Propagandisten, Kulturarbeiter aus jenen russischen Einheiten also, die unter Führung des früheren Sowjet-Generals Andrej Wlassow gegen die UdSSR, ihren eigenen Staat, gekämpft haben − auf Seiten Hitlers und der Deutschen“, um „Kollaborateure, die objektiv den Naziterror unterstützten“, handelte. Auch im Jahr 2001[9] noch, im Nachfolgestaat Russland, hielten „viele Angehörige meist der älteren Generation die ‚Vlasovcy‘ nach wie vor für Volksverräter.“ Bis dahin noch lebende vormalige ROA-Angehörige, wie etwa der 2001 79-jährige Jaroslaw Truschnowitsch, bei Kriegsende 1945 ROA-Offiziersschüler, wehrten sich gegen den Vorwurf, ihre Russische Befreiungsbewegung sei, „im Gleichklang mit der nationalsozialistischen Ideologie“ und sei wie der ROA-Ziehvater, SS-Chef Heinrich Himmler, antisemitisch gewesen. So beteuerte Truschnowitsch „unter Verweis auf neuere Historiker-Erkenntnisse“: „Davon hab ich nicht gehört. Als die Wlassow-Soldaten, die im sowjetischen KZ waren, befreit wurden – die haben ihre 25 Jahre abgesessen – es waren 139 Juden zwischen diesen Soldaten. Es könnte sein, dass ‚Judo-Bolschewist‘…, dass solche Phrasen vorkamen; aber es ist die Frage, wer hat die gedruckt? Und wer hat die geschrieben? Es ist eine komplizierte Sache, natürlich.“[9]

Auf dem Friedhof des „Russisch-Orthodoxen Convents“ in Nanuet/New York wurde für Wlassow und die Teilnehmer der Russischen Befreiungsbewegung ein Denkmal errichtet. Zweimal im Jahr – am Jahrestag von Wlassows Hinrichtung und am Sonntag nach dem orthodoxen Osterfest – wird für Wlassow und die Soldaten der Russischen Befreiungsarmee ein Erinnerungs-Gottesdienst abgehalten.

Literatur

Bearbeiten
  • Mark Elliott: The United States and Forced Repatriation of Soviet Citizens, 1944–1947, in: Political Science Quarterly, Jg. 88 (1973), Nr. 2, S. 253–275.
  • Jürgen Thorwald: Die Illusion. Rotarmisten gegen Stalin. Die Tragödie der Wlassow-Armee. Knaur TB, München 1976, ISBN 3-426-80066-7.
  • Joachim Hoffmann: Die Tragödie der Russischen Befreiungsarmee 1944/45. Wlassow gegen Stalin. Herbig, München 2003, ISBN 3-7766-2330-6.
  • Matthias Schröder: Deutschbaltische SS-Führer und Andrej Vlasov 1942–1945. „Russland kann nur von Russen besiegt werden“. Erhard Kroeger, Friedrich Buchardt und die „Russische Befreiungsarmee“. 2. Auflage. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003, ISBN 3-506-77520-0.
Bearbeiten
Commons: Russische Befreiungsarmee – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Wegner, Bernd: Die Ostfront 1943/44: Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten. Hrsg.: Frieser, Karl-Heinz (= Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 8). Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007, ISBN 978-3-421-06235-2, Von Stalingrad nach Kursk, S. 3–82, hier: 17.
  2. Zeitschrift Alte Kameraden Jahrgang 1993, Heft Juli 1993, Seite 8, Ein Fachbericht von General a. D. Meinhard Glanz
  3. ARD: 60 Jahre Kriegsende – Die Befreiung des KZ Buchenwald (Memento vom 13. Oktober 2007 im Internet Archive)
  4. Dokument: Brief Oberst Friedrich-Wilhelm von Notz an Colonel John C. Buchanan. Hoover Institution. 1975. Signatur: 75049. Link
  5. Agreement Between the United States and the Soviet Union Concerning Liberated Prisoners of War and Civilians. In: United States Department of State. Foreign relations of the United States. Conferences at Malta and Yalta, 1945. United States Government Printing Office, Washington, D.C. 1945, S. 985–7.
  6. Bruce Cronin: Institutions for the Common Good: International Protection Regimes in International Society. Cambridge University Press, Cambridge 2003, ISBN 0-521-53187-X, S. 166.
  7. Terry Martin: Terror gegen Nationen in der Sowjetunion. In: Osteuropa 6/2000, S. 606–616, hier: S. 609.
  8. Terry Martin: Terror gegen Nationen in der Sowjetunion. In: Osteuropa 6/2000, S. 606–616, hier: S. 614.
  9. a b Robert Baag: Jaroslaw Truschnowitsch: Veteran der Wlassow-Armee (Memento vom 12. Januar 2004 im Internet Archive). In: Sendereihe Juni 41, „entstanden in Kooperation mit dem Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst“. Deutschlandfunk.de, Juni 2001.