Schattenbibliothek

Volltextdatenbank urheberrechtlich geschützter Aufsätze oder Bücher, die sonst nicht allgemein zugänglich wären, weil der freie Zugriff auf sie durch die Paywall eines Verlags ganz oder teilweise verhindert wird

Schattenbibliotheken sind Volltextdatenbanken im Internet, die wie klassische Bibliotheken öffentlich eingesehen werden können und dabei gegen geltende Urheberrechtsbestimmungen verstoßen können. Angelehnt an entsprechende Handlungen in Bezug auf Software, Musik oder Filme, ist mitunter auch von „Buchpiraterie“ die Rede. Schattenbibliotheken werden oftmals gegründet, um vor dem Hintergrund der sogenannten Zeitschriftenkrise einer breiten Öffentlichkeit den Zugriff zu kostenpflichtiger wissenschaftlicher Literatur zu ermöglichen.[1] Sie erfüllen die Forderung, dass öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse für jedermann frei verfügbar sein sollten (Open Access), und werden als Reaktion auf die teilweise exorbitant hohen Preise insbesondere für naturwissenschaftliche Literatur angesehen.[2] Schattenbibliotheken werden manchmal als Schwarzes Open Access bezeichnet.

Beispiele

Bearbeiten

Anna’s Archive, eine Metasuchmaschine, spiegelt und indiziert die Schattenbibliotheken Sci-Hub, Library Genesis, Z-Library, sowie die digital ausleihbaren Werke der Open Library des Internet Archive.[3][4][5] Im Jahr 2023 wurde Anna's Archive als die größte Schattenbibliothek betrachtet, wobei zuvor das Projekt Library Genesis diese Bezeichnung innehatte.[6][7] Nach eigenen Angaben stehen Anna’s Archive Metadaten zu über 120 Millionen Werken zur Verfügung.[8] Sci-Hub sucht stärker als andere Schattenbibliotheken die Öffentlichkeit und propagiert bewusster den sogenannten Guerilla Open Access.[9][10] Weitere Schattenbibliotheken waren die Tor Onion Services TorBoox und der Jotunbane’s Reading Club.[11] Der Dienst Imperial Library of Trantor wurde 2023 neu gestartet.[12]

Kontroversen

Bearbeiten

Die Kontroversen um Schattenbibliotheken sind ein Teilaspekt der Frage nach dem Umgang mit Medienpiraterie. Schattenbibliotheken stellen verbreitete Geschäftsmodelle von Verlegern in Frage und werden dafür kritisiert.[13][14] Im Vergleich zu klassischen Bibliotheken (die wirtschaftlich teilweise vom Verlagswesen abhängen und umgekehrt), sind Schattenbibliotheken oft schneller, einfacher zugänglich, umfangreicher ausgestattet und günstiger und werden in der Folge auch als eine Bedrohung des Bibliothekswesens wahrgenommen.[6] Im Sommer 2023 wurden OpenAI (Betreiber von ChatGPT) und weitere Anbieter von Large-Language-Model-Diensten von Autoren beschuldigt, die Trainingsdaten für ihre Software unrechtmäßig aus Schattenbibliotheken wie Z-Library bezogen zu haben.[15][16]

Rechtliche Einordnung

Bearbeiten

Schattenbibliotheken verletzen das Urheberrecht der Autoren bzw. der Verleger oder sonstiger Berechtigter und werden daher rechtswidrig betrieben.[14] Klagen von Verlagen sind demzufolge zunehmend stattgegeben worden. Beispielsweise wurde dem Wissenschaftsverlag Elsevier im Sommer 2017 in einem Rechtsstreit gegen Sci-Hub von einem New Yorker Gericht Schadensersatz in Höhe von 15 Millionen US-Dollar zugesprochen.[17]

Die Nutzung von Schattenbibliotheken durch Leser wird dagegen im Schrifttum differenzierter beurteilt. Die Diskussion greift in Ermangelung einschlägiger Urteile hierzulande auf Literatur und Rechtsprechung zum Streaming von Filmen aus unrechtmäßigen Quellen zurück.[2]

So ist vertreten worden, das Lesen piratierter Schriften am Bildschirm sei als bloßer Werkgenuss erlaubt, nur das Speichern und das Ausdrucken verstoße gegen das Urheberrecht. Dies deshalb, da letztere nicht „geboten“ im Sinne von § 53 II 1 Nr. 1 UrhG wären.[14] Das Lesen wissenschaftlicher Literatur ist für die Nutzer von Bibliotheken regelmäßig nicht mit besonderen Kosten verbunden. Auch soweit hierfür die Fernleihe genutzt wird, entständen nur geringe Gebühren, die kaum ins Gewicht fielen. Jedoch ist zu bedenken, dass auch der bloße Lesegenuss durchaus einen geldwerten Vorteil darstellt, weil dadurch beispielsweise Aufwendungen für die Nutzung kostenpflichtiger Dienste eingespart werden können, die ebenfalls nur einen Lesezugriff gewähren (§ 44a Nr. 2 UrhG).[14] Der Urheberrechtler Eric Steinhauer kam daher im Jahr 2016 zu dem Schluss, das Lesen von Texten aus der Schattenbibliothek Sci-Hub erfolge „in einer rechtlichen Grauzone“.[14]

Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof im Jahr 2017 in Bezug auf das Betrachten von Filmen aus unrechtmäßiger Online-Quelle eine Urheberrechtsverletzung seitens des Benutzers bejaht.[18] Die Entscheidung ist in der Folge auf Schattenbibliotheken vielfach übertragen worden. So wäre schon der bloße Abruf von Dateien aus einer Schattenbibliothek, auch wenn sie nicht gelesen, gespeichert oder ausgedruckt würden, rechtswidrig.[2]

Hanjo Hamann und Daniel Hürlimann weisen darauf hin, dass die Nutzung von Sci-Hub nach Schweizer Recht wegen der Eigengebrauchsregelung rechtmäßig sei.[19][20]

Im März 2019 ordnete der Pariser Tribunal de grande instance aufgrund einer Klage von Elsevier und Springer Nature an, dass die französischen Internetzugangsprovider verpflichtet sind, den Zugriff auf Sci-Hub und Library Genesis zu sperren.[21]

Im November 2022 beschlagnahmte das US-amerikanische FBI ein Netzwerk aus „circa 249 Domains“ der Schattenbibliothek Z-Library. Sie war seitdem nicht mehr im freien Internet erreichbar. Am 3. November 2022 wurden die beiden russischen Staatsbürger Anton Napolsky und Valeriia Ermakova in Argentinien festgenommen und in den USA wegen Urheberrechtsverletzungen, Betrug durch Telekommunikationsmittel und Geldwäsche für den Betrieb von Z-Library angeklagt. Sie sollen „seit dem Jahr 2009 … mehr als 11 Millionen E-Books illegal angeboten haben“.[22][23]

Im Februar 2024 wurde Anna’s Archive vom Online Computer Library Center (OCLC) verklagt, einer amerikanischen Non-Profit-Organisation, die für ihre WorldCat-Datenbank bekannt ist; dennoch „stellt OCLC klar, dass seine internen Systeme nicht gehackt wurden“.[24]

Literatur

Bearbeiten
  • Michaela Rossini: Schattenbibliotheken, die moralische Verpflichtung des Teilens und das Vermächtnis des Aaron Swartz. Masterarbeit, Universität Innsbruck. 2016, urn:nbn:at:at-ubi:1-5012 (siehe auch: Aaron Swartz).
  • John Bohannon: Who’s downloading pirated papers? Everyone. In: Science. Band 352, Nr. 6285, 29. April 2016, S. 508–512 (sciencemag.org [abgerufen am 26. November 2017]).
  • Joe Karaganis: Shadow libraries. Access to educational materials in global higher education. The MIT Press, Cambridge, MA 2018, ISBN 978-0-262-53501-4 (mit.edu – Open Access).
  • Joe Karaganis, Balazs Bodo: Russia is building a new Napster — but for academic research. In: The Washington Post. 13. Juli 2018 (washingtonpost.com).
  • Eric Steinhauer: Die Nutzung einer „Schattenbibliothek“ im Licht des Urheberrechts: Einige Überlegungen am Beispiel von Sci-Hub - ein Diskussionspapier. 2016 (fernuni-hagen.de [PDF; abgerufen am 25. November 2017]).
  • Dorothea Strecker: Schattenbibliotheken: Ein Krisensymptom der Wissenschaft. In: iRights - Kreativität und Urheberrecht in der digitalen Welt. 11. August 2017 (irights.info [abgerufen am 4. Januar 2018]).
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Balázs Bodó, Miriam Ruhenstroth: Schattenbibliotheken: Piraterie oder Notwendigkeit? In: iRights – Kreativität und Urheberrecht in der digitalen Welt. 10. Oktober 2014 (irights.info [abgerufen am 4. Januar 2018]).
  2. a b c Dorothea Strecker: Schattenbibliotheken: Ein Krisensymptom der Wissenschaft. In: iRights – Kreativität und Urheberrecht in der digitalen Welt. 11. August 2017 (irights.info [abgerufen am 4. Januar 2018]).
  3. Lars Sobiraj: Anna’s Archive mausert sich zur größten Schattenbibliothek. In: tarnkappe.info. 25. August 2023, abgerufen am 21. November 2023.
  4. Datasets. In: Anna’s Archive. Abgerufen am 24. August 2023 (englisch).
  5. Ernesto Van der Sar: “Anna’s Archive” Opens the Door to Z-Library and Other Pirate Libraries. In: TorrentFreak. 19. November 2022, abgerufen am 24. August 2023 (englisch).
  6. a b Balázs Bodó: Libraries in the post-scarcity era. FarnhamAshgate9781472431653, 2015, ISBN 978-1-4724-3165-3 (uva.nl [abgerufen am 4. Januar 2018]).
  7. Ulrich Herb: Wissenschaftsverlag Elsevier klagt gegen Schattenbibliothek. 14. Juni 2015, abgerufen am 4. Januar 2018.
  8. Anna’s Archive. Abgerufen am 24. August 2023 (englisch).
  9. Ulrich Herb, Timo Grampes: Wissenschaftstexte kostenlos im Netz – Piraterie im Zeichen der guten Sache. In: Deutschlandfunk Kultur. 24. Februar 2016 (deutschlandfunkkultur.de [abgerufen am 4. Januar 2018]).
  10. Ulrich Herb: Guerilla Open Access und Robin-Hood-PR gegen Marktversagen. 4. März 2016, abgerufen am 4. Januar 2018.
  11. Andre Meister: E-Book-Piraten im Interview: "Die Buchverleger machen genau die selben Fehler wie die Musikindustrie". In: netzpolitik.org. 25. September 2013, abgerufen am 4. Januar 2018.
  12. Lars Sobiraj: Rückkehr der Imperial Library of Trantor hinterlässt viele Fragezeichen. In: tarnkappe.info. 17. August 2023, abgerufen am 29. Februar 2024.
  13. Christoph Cadenbach, Tobias Kniebe: Es war einmal… In: Süddeutsche Zeitung Magazin. Nr. 40, 2011 (sueddeutsche.de [abgerufen am 4. Januar 2018]).
  14. a b c d e Steinhauer, Eric, W.: Nutzung einer "Schattenbibliothek" im Licht des Urheberrechts: Einige Überlegungen am Beispiel von Sci-Hub - ein Diskussionspapier. 2016 (fernuni-hagen.de [abgerufen am 4. Januar 2018]).
  15. Ella Cramer: Authors file a lawsuit against OpenAI for unlawfully ‘ingesting’ their books. In: The Guardian. 5. Juli 2023, abgerufen am 24. August 2023 (englisch).
  16. Alex Reisner: Revealed: The Authors Whose Pirated Books Are Powering Generative AI. In: The Atlantic. 19. August 2023, abgerufen am 24. August 2023 (englisch).
  17. Quirin Schiermeier: US court grants Elsevier millions in damages from Sci-Hub. In: Nature. doi:10.1038/nature.2017.22196 (nature.com [abgerufen am 4. Januar 2018]).
  18. EuGH, Urteil in der Rechtssache C-527/15 – Stichting Brein – vom 26. April 2017 – Pressemitteilung Nr. 40/17Volltext
  19. Hanjo Hamann, Daniel Hürlimann: Open Access bei der Veröffentlichung rechtswissenschaftlicher Fachliteratur – was soll das? In: Hanjo Hamann, Daniel Hürlimann (Hrsg.): Open Access in der Rechtswissenschaft. Nomos, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-7489-0365-9, S. 9–36, 7, doi:10.5771/9783748903659-9 (nomos-elibrary.de [abgerufen am 1. November 2019]).
  20. So auch ohne nähere Begründung: Christian Gutknecht: Big Bang statt Big Deal?Verhandlungen in der Schweiz mit Elsevier, Springer und Wiley drohen zu scheitern. In: wisspub.net. 20. November 2019, abgerufen am 23. November 2019 (deutsch).
  21. French ISPs Ordered to Block Sci-Hub and LibGen. In: TorrentFreak. 31. März 2019, abgerufen am 3. April 2019 (englisch, Urteil).
  22. Lennart Mühlenmeier: Z-Library: Mutmaßliche Betreiber von Schattenbibliothek festgenommen. In: Golem. 18. November 2022, abgerufen am 18. November 2022.
  23. Two Russian Nationals Charged with Running Massive E-Book Piracy Website. Department of Justice. U.S. Attorney’s Office. Eastern District of New York, 16. November 2022, abgerufen am 18. November 2022 (englisch).
  24. Ernesto Van der Sar: Lawsuit Accuses Anna's Archive of Hacking WorldCat, Stealing 2.2 TB Data In: TorrentFreak, 7. Februar 2024. Abgerufen am 11. Februar 2024