Scheinbushaltestelle

Maßnahme in der Pflege von Demenzerkrankten

Eine Scheinbushaltestelle (auch Pseudohaltestelle oder Phantomhaltestelle) ist eine Nachbildung einer normalen Haltestelle, die in der Krankenpflege zum Einsatz kommt. Sie ist in der Regel mit einem Haltestellenschild und einem ausgehängten Fahrplan ausgestattet. Der Fahrplan ist fiktiv und es hält auch nie ein Omnibus an dieser Attrappe. Manche Scheinbushaltestellen sind mit Sitzbänken versehen.[1]

Scheinhaltestelle Riehler Heimstätten, Köln

Die Scheinbushaltestellen werden in der Pflege von Demenzerkrankten eingesetzt. Menschen, die an der Demenz erkrankt sind, haben oft Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und leben mit fortschreitender Erkrankung häufig mehr und mehr in der Vergangenheit. Sie wollen in die alte vertraute Umgebung zurückkehren oder alten Ritualen folgen. Deswegen sind sie unruhig und suchen eine Haltestelle auf, um auf den nächsten Bus zu warten, im festen Glauben, dass er sie von diesem Ort weg nach Hause bringt.

Es heißt, dem Heimbewohner reiche eine kurze Verweildauer an der Haltestelle, bis er den Grund für seine Reiseabsicht vergessen habe. Er kehre dann zurück ins Heim und habe manchmal den festen Glauben, woanders gewesen zu sein. Dadurch soll die Haltestelle die Gefahr verringern, dass Heimbewohner sich außerhalb des Heimes verlaufen und von den Pflegekräften gesucht werden müssen. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirksamkeit von Scheinbushaltestellen existieren nicht.

Einsätze

Bearbeiten
 
Hinweis an einer Scheinbushaltestelle

Die Idee zu der Scheinbushaltestelle hatten Mitarbeiter des Landhauses Laspert in Remscheid 2006.[1] Der Gedanke wurde in mehreren Städten übernommen, so beispielsweise in Schwerin, Rostock-Evershagen, Düsseldorf-Benrath, Fürth[2], Wuppertal-Wichlinghausen[3], Hamburg-Eidelstedt, Dortmund, München und Köln. Die Haltestellen wurden vor dem Haus, im Hof oder – wie beispielsweise in der St.-Mauritius-Therapieklinik in Meerbusch[4] – im Flur der Einrichtungen aufgestellt.

Das Konzept des Einsatzes von Scheinbushaltestellen in der Betreuung von Menschen mit Demenz ist in der Fachwelt umstritten. So stellt ein Kommentar in der Grundsatzstellungnahme Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen fest: „Wenn der Bus nicht kommt, werden Fragen laut wie «wann kommt der Bus endlich». Der Kranke wird eher nervös als ruhig“. Der Mensch mit Demenz werde „in seiner Krankheit nicht ernst genommen“. Steige der Pflegende darauf ein, verfestige er das Wahnerleben des Demenzkranken, verfehle dabei den Echtheits- und Wahrhaftigkeitsanspruch von Carl Rogers. Das Therapieziel „Ruhe“ entlaste nur die Pflegepersonen, verfehle aber einen positiven Effekt für den Betroffenen, für den Warten zum Zweck deklariert werde.[5]

Kulturelle Rezeption

Bearbeiten

In dem Kinderbuch Die wilden Zwerge 05: Das Weihnachtssingen, das im Herbst 2009 erschien, wird eine Scheinbushaltestelle beschrieben. Die demenzkranke Frau Weinmann begibt sich hier regelmäßig an die Haltestelle, weil sie sich auf dem Weg in die Schule wähnt.[6]

Auch in einer Episode der Fernsehserie Danni Lowinski spielt eine solche Bushaltestelle eine entscheidende Rolle.

Im Animations-Kurzfilm Harvie Krumpet (2003) benutzt die Hauptfigur eine solche Haltestelle in einem australischen Pflegeheim.

In dem Kurzfilm Placebus – Waiting for Godot's Bus wird das Warten an einer Scheinbushaltestelle dokumentiert.[7]

Im März 2010 berichtete die US-amerikanische Radiosendung Radiolab über die Scheinbushaltestelle in Düsseldorf-Benrath.[8]

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b Pflege: Schein-Bushaltestelle bringt Demenzkranke ans Ziel Focus (online) vom 11. März 2009.
  2. Der Bus, der niemals fährt auf nordbayern.de, vom 25. Mai 2010, abgerufen am 10. Juni 2020.
  3. 80 Fakten über Wuppertal: Schein-Bushaltestelle Radiobeitrag als Podcast (1,58 MB; MP3)
  4. Jan Popp-Sewing: Die Phantom-Haltestelle. In: Rheinische Post Online. 27. Oktober 2009, abgerufen am 29. April 2022.
  5. Norbert Lübke, Sybille Ziegert, Hans Gerber, Bernhard Fleer, Ernst Eben, Uwe Brucker, Jürgen Brüggemann: Grundsatzstellungnahme Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen, Herausgegeben vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS), Essen, 2009, S. 81–82. online (Memento vom 5. Juli 2010 im Internet Archive) (PDF; 4,5 MB), abgerufen am 12. März 2010.
  6. Die wilden Zwerge 05. Das Weihnachtssingen. Kindergartenreihe. Klett Kinderbuch, Leipzig 2009, ISBN 978-3-941411-11-1.
  7. Placebus – Waiting for Godot's Bus. Kurzfilm, Michael Binz 2009, http://vimeo.com/19089639
  8. Radiolab: The Bus Stop, vom 23. März 2010, abgerufen am 18. Februar 2014.