Schibboleth

sprachliche Besonderheit, durch die sich ein Sprecher einer sozialen Gruppe oder einer Region zuordnen lässt
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Ein Schibboleth (betont Schibbóleth oder Schíbboleth;[1] Plural Schibboleths oder Schibbolethe) ist eine sprachliche Besonderheit, durch die sich ein Sprecher einer sozialen Gruppe oder einer Region zuordnen lässt. Zu unterscheiden sind Schibboleths von Zungenbrechern, die für alle Sprecher schwer auszusprechen sind. Vielmehr sind Schibboleths Wörter, an deren verschiedener Aussprache die Herkunft des Sprechers zu erkennen ist und die somit zu einem sozialen Code werden.

Etymologie

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Schibboleth (hebräisch שיבולת, punktiert שִׁבֹּלֶת, Plural schibbolim[2]) ist ein hebräisches Wort und bedeutet wörtlich ‚Strömung‘, ‚Strom‘ oder ‚Flut‘[3], wird aber in der Bedeutung von ‚Kennwort‘ oder ‚Codewort‘ verwendet. Im jüdischen Tanach (dem christlichen Alten Testament) heißt es im Buch der Richter 12,5–6 EU:

Gilead schnitt Efraim die Jordanfurten ab. Und wenn die Flüchtlinge aus Efraim sagten: Ich will hinüber!, fragten ihn die Männer aus Gilead: Bist du ein Efraimiter? Wenn er Nein sagte, forderten sie ihn auf: Sag doch einmal Schibbolet! Sagte er dann Sibbolet, weil er es nicht richtig aussprechen konnte, ergriffen sie ihn und machten ihn dort an den Furten des Jordan nieder. So fielen damals zweiundvierzigtausend Mann aus Efraim.“

Das Wort Schibboleth ist demgemäß selbst ein Schibboleth (Homolog). Die jeweilige Aussprache diente der Einteilung von Personen in die Dichotomie Feind und Freund.

Schibboleths im deutschsprachigen Raum

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Mit Schibboleths im weiteren Sinn kann im Standarddeutschen die Herkunft eines Sprechers durch verschiedene kleine Eigenheiten der Aussprache einer mehr oder weniger großen Region zugeordnet werden. Dem Sprecher selbst sind dabei diese Eigenheiten oft gar nicht bewusst. Die Zuordnung ergibt sich ganz natürlich im Gespräch ohne Verwendung eines besonderen Kennworts.

Für den Unterschied zwischen Norddeutschen und Süddeutschen gilt das s im Wortanlaut als Merkmal: Süddeutsche Sprecher verwenden hier das stimmlose [s], norddeutsche das stimmhafte [z].[4] So kann ein Wort wie Sonne als Schibboleth verwendet werden. Eine weitere Nord-Süd-Unterscheidung zeigt die Aussprache von st: „Schornsteinfeger Stefan fischt im Nest nach Wurst.“ Je südlicher die sprachliche Herkunft des Sprechers ist, desto häufiger spricht er das „st“ wie scht aus (bis zu viermal). Im Bremer Dialekt werden sp und st stets in s-p [sp] und s-t [st] statt standarddeutsch schp [ʃp] und scht [ʃt] getrennt, was im klassischen Satz „Der Stadtbremer ist über den spitzen Stein gestolpert“ verdeutlicht wird.

Helles ch und sch sind vor allem für Sprecher aus dem Rheinland, der Pfalz, Sachsen und Südhessen schwer zu unterscheiden: „Schwarzwälder Kirschtörtchen“, „griechische Geschichte“, „tschechischer Tontechniker“.

Regionale Aussprache des ch im Anlaut (z. B. in „Chemie“ oder „China“): nord- und mitteldeutsch [ʃ], süddeutsch und österreichisch [k], in der Schweiz [x] (standarddeutsch: [ç]), siehe hierzu auch das schweizerdeutsche Schibboleth „Chuchichäschtli“.

Regionale Aussprache des r:

Norddeutsche und westdeutsche Aussprache von pf am Wortanfang wie f. Pennälerscherz: Caesar equus consilium = ‚Caesar Pferd Rat‘ = ['tsɛːsaː fɛːɐt raːt] = Caesar fährt Rad.

Schweizerdeutsche Aussprache von chs immer als ch-s und Fehlen des Kehlkopfknacklauts bei anlautenden Vokalen: Sechsachser ([ˈsæxsʌxsəɾ] statt [ˈzɛksʔaksɐ]).

Giraffe: Im österreichischen Hochdeutsch [ˌʒiˈʁafə] oder [ˌʃiˈʁafə] statt im bundesdeutschen Hochdeutsch [ˌɡiˈʁafə].

Ü versus i und ö versus e fällt West- und Norddeutschen sowie -schweizern typischerweise leicht, dagegen u. a. Englisch- und Spanischsprachigen, Polen, böhmakelnden Tschechen und – infolge von hochdeutscher Entlabialisierung – auch manchen Bayern, Südwest- und Mitteldeutschen typischerweise schwerer. So wird im Bairischen das „ü“ prinzipiell nicht gesprochen.[5][6]

Zudem sind im Bairischen in bestimmten Bereichen feinere Unterscheidungen bei Lautnuancen und Phonemen als im Standarddeutschen zu hören. Ein Beispiel betrifft die standarddeutschen Phoneme /a/ [a] und /o/ [ɔ] oder [o], denen im Bairischen drei bis vier Phoneme (würden die nasalen Vokale dazugenommen werden, so wären es noch mehr) gegenüberstehen: Das überhelle a /à/ [], das dunkle a /å/ [ɒ], das offene o /ò/ [ɔ] (die beiden letzteren werden teilweise nicht unterschieden) und das geschlossene o /o/ [o]. Ein westmittelbairisches Beispiel ist nà – na – nò – no (nein – dann – hinab – noch).[7][8] Deshalb kann der Satz „Der Papst pappt Pop-Plakate“ auch als Schibboleth verwendet werden, um Nichtbaiern zu erkennen, so wird ein Baier (der einen bairischen Dialekt spricht) den Schibboleth-Satz auch im bairischen Deutsch[9] mit zwei unterschiedlich gefärbten a-Lauten aussprechen: „Papst“ und „pappt“ mit dunklerem a, „Plakate“ mit zweimal hellerem a, während im Wort „Pop“ ein deutlich dunkles o gesprochen wird.[10]

Test auf französischen Akzent: „Hans hat in einem hohen Hochhaus gewohnt.“ Erstens fällt die Aussprache von h und dem Rachen-ch in Hochhaus schwer; zweitens wird Hans und gewohnt gerne nasalisiert; drittens wird das e in hohen gerne als ɛ oder sehr kurzes, leicht gerundetes œ ausgesprochen (korrekt wäre ungerundetes ə).

Schibboleths in anderen Sprachen

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Polnisch

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Für Ausländer

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Nach dem missglückten Krakauer Aufstand des Vogtes Albert gegen den polnischen Herzog von Krakau Władysław (Ladislaus) Ellenlang wurde die Loyalität der Krakauer Bürger von diesem mit einem einfachen Sprachtest überprüft. Wer die Worte soczewica, koło, miele, młyn (Linse, Rad, mahlen, Mühle) nicht fehlerfrei nachsprechen konnte, galt als schuldig. Die zu einem erheblichen Teil deutschsprachigen Bürger Krakaus, die wesentlich die Rebellion getragen hatten, konnten dies nicht korrekt aussprechen und wurden zum Teil vertrieben oder waren Repressionen ausgesetzt.

Innerhalb Polens

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Manche Oberschlesier kennen statt drei nur zwei Reihen Zischlaute (Siakanie). Das betrifft allerdings nur kleinere Sprachgruppen, darunter Goralen am polnisch-tschechisch-slowakischen Dreiländereck:

  • polnisch c / ć / cz // s / ś / sz // z / ź / ż = rz
  • oberschlesisch c / (ć =) cz // s / (ś =) sz // z / (ź =) ż = rz

Niederländisch

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In den Niederlanden wird gerne das Wort Scheveningen als Sprachtest verwendet. Die niederländische Aussprache lautet [ˈsxeːvənɪŋə] (anhören/?), während Deutsche das Toponym typischerweise mit einem ʃ am Anfang aussprechen. Entsprechendes gilt für Enschede ([ˈɛnsxəde:]) und Schiphol ([ˈsxɪphɔl]). Bei Letzterem ist zu beachten, dass das „ph“ nicht wie „f“ ausgesprochen wird, sondern getrennt.

Ebenso gern der Name des bekannten Grandhotels Huis ter Duin, korrekte Aussprache [ˈhœys tər ˈdœyn], das von Deutschen entweder „buchstabengetreu“ oder mit deutschem eu-Umlaut ausgesprochen wird.

Ähnlich wie es die Polen gut zehn Jahre später beim Krakauer Aufstand (siehe oben) getan haben, sollen die flämischen Bürger bei der Brügger Frühmette 1302 einen Schibboleth-Sprachtest durchgeführt haben, um die eigenen Leute von den Feinden zu sondern: Jeder wurde aufgefordert, die Worte schild en vriend (Schild und Freund) nachzusprechen; alle, denen dies nicht fehlerfrei gelang, galten als Franzosen und wurden niedergemacht. Diese legendäre Episode wirkt bis heute fort: Eine 2017 gegründete rechtsextreme flämische Gruppierung hat sich danach „Schild & Vrienden“ benannt.

Tschechisch, Slowakisch

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Der „Satz ohne Vokale“: Strč prst skrz krk (‚Steck den Finger durch den Hals‘).

Dänisch

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„Rødgrød med fløde“ [ˈʁœðɡʁœðʔ me fløːð] (anhören/?) (‚Rote Grütze mit Sahne‘) ist der bekannteste dänische Sprachtest für Ausländer. Die Schwierigkeit besteht darin, dreimal in kurzer Folge das für die dänische Sprache charakteristische „weiche d“ [ð] auszusprechen. Dieser Laut ist für sich genommen schon eine Herausforderung. In Kombination mit einem vorausgehenden ø bzw. den beiden r in „rødgrød“ verlangt er Fremdsprachigen zudem eine ungewohnte Abfolge von Zungen- und Mundbewegungen ab.

Schwedisch

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Der Satz „sju sjösjuka sjömän sköttes av sju sköna sjuksköterskor“ [/ˈɧʉː …/  (‚Sieben seekranke Seemänner wurden von sieben schönen Krankenschwestern gepflegt‘) oder einer seiner vielen Variationen stellen die Fähigkeit des Sprechers auf die Probe, den schwedischen „sj“-Laut mehrmals hintereinander zu produzieren. Nicht-Schweden neigen dazu, diesen Laut wie „sch“, „ch“, „s(j)“ oder „h“ auszusprechen, aber der Laut liegt irgendwo dazwischen, in der südschwedischen Aussprache eher beim „h“, im Nordschwedischen eher beim „sch“, aber zumindest für einen Schweden deutlich davon unterscheidbar. Außerdem muss der Sprecher erkennen, welches der k in der Buchstabenkombination sk ausgesprochen wird.

Italienisch

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Während des Aufstands von 1282 in Sizilien wurden die Franzosen verfolgt und vertrieben. Wer verdächtigt wurde, ein untergetauchter Franzose zu sein, soll dazu gezwungen worden sein, das sizilianische Wort ciciri (dt.: ‚Kichererbsen‘) auszusprechen, was die Franzosen nicht konnten.[11]

Türkisch

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Der Berg Ararat in der Türkei (Ostanatolien) heißt auf Türkisch Ağrı Dağı [ʼɑɣɾɯ dɑɣɯ]. Dies wird meistens als Türkisch-Test für Ausländer angewendet. Die Aussprache ist für Nicht-Muttersprachler unter anderem deshalb so schwierig, weil in vielen anderen Sprachen (außer Turksprachen) die Buchstaben ğ („weiches“ G) und ı (ein i ohne i-Punkt) nicht existieren und somit keine Entsprechung oder ähnliche Laute haben.

Schibboleths in der geschriebenen Sprache

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Als Schibboleths in der geschriebenen Sprache bezeichnet man Merkmale, die einen, im besten Fall ohne Kenntnis der betreffenden Sprache, schnell erkennen lassen, um welche Sprache es sich handelt. Im einfachsten Fall sind dies charakteristische diakritische Zeichen an Buchstaben wie dem rumänischen ț oder dem ungarischen ő und ű, aber auch Ligaturen wie das deutsche ß (das jedoch in der Schweiz nicht verwendet wird).

Literatur

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Wiktionary: Schibboleth – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Schibboleth, das. In: Duden online. Abgerufen am 6. Juli 2017.
  2. Langenscheidts Taschenwörterbuch Hebräisch, ISBN 3-468-10160-0, verzeichnet zwei feminine Wörter שִׁבֹּלֶת, eines (mit den Bedeutungen ‚Ähre‘ und ‚Schibboleth‘) hat den Plural שִׁבֳּלִים (z. B. Gen 41,5 EU), das andere (mit der Bedeutung ‚Wasserwirbel‘) hat den Plural שִׁבּוֹלוֹת.
  3. Wilhelm Gesenius: Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. Hrsg.: Herbert Donner. 18. Auflage. Springer, Berlin [u. a.] 2013, ISBN 978-3-642-25680-6, S. 1316.
  4. /z/ im Anlaut in Sirup und Saison. In: Atlas zur Aussprache des Deutschen Gebrauchsstandards. Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, 19. April 2016, abgerufen am 2. März 2022.
  5. Jürgen Balthasar, dpa: Das Ü ist schuld. In: Süddeutsche Zeitung. 11. Mai 2010, abgerufen am 22. September 2020.
  6. Valentin Erl: Der Bayer kennt kein „ü“. (Memento des Originals vom 28. Dezember 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.gavagai.de In: gavagai.de, abgerufen am 22. September 2020.
  7. Ludwig Zehetner: Das bairische Dialektbuch. Beck, München 1985, ISBN 3-406-30562-8, Abschnitt Lautlehre, S. 75–78.
  8. Ludwig Zehetner: Basst scho! [Band 1:] Wörter und Wendungen aus den Dialekten und der regionalen Hochsprache in Altbayern. Edition Vulpes, Regensburg 2009, ISBN 978-3-939112-42-6, Kapitel 36.
  9. Ludwig Zehetner: Bairisches Deutsch. Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern. Genehmigte, neu überarb. Lizenzausgabe. Edition Vulpes, Kreuzlingen 2005, ISBN 3-9807028-7-1, Definition siehe Einleitung, S. 13–24.
  10. Ludwig Zehetner: Bairisches Deutsch. Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern. Genehmigte, neu überarb. Lizenzausgabe. Edition Vulpes, Kreuzlingen 2005, ISBN 3-9807028-7-1, Stichwörter a; à und o sowie Papst, pappen, Plakatsäule.
  11. Cenni di storia (Memento vom 20. November 2008 im Internet Archive). In: comune.sperlinga.en.it. Ebenso: carolinemmurray: The Sicilian Vespers. In: professorhedgehogsjournal.wordpress.com, 30. Januar 2016, abgerufen am 28. Februar 2021.