Sempronia

Frau des Konsuls Decimus Iunius Brutus

Sempronia war eine römische Aristokratin der späten Republik. Sie war die Frau des Decimus Iunius Brutus, Konsul des Jahres 77 v. Chr., und nach Sallust aktive Teilnehmerin – zumindest Mitwisserin – an der catilinarischen Verschwörung.

Über ihre Person ist nur wenig bekannt; nur Sallust berichtet in seiner De coniuratione Catilinae über sie. Ihre Herkunft ist schwer zu bestimmen: Zum einen gibt es die Vermutung, dass sie die Tochter des Sozialreformers Gaius Sempronius Gracchus gewesen sei, und zum anderen könnte sie, was eher wahrscheinlich sein dürfte, eine Schwester der gleichnamigen Frau des Marcus Fulvius Bambalio gewesen sein, der Tochter eines Sempronius Tuditanus und der Mutter der Fulvia. Im ersten Fall dürfte sie etwa 60 bis 70 Jahre alt gewesen sein. Indessen lobt Sallust in der folgenden Quelle ihre Schönheit und Anmut und lobt ihre Art zu tanzen. Ebenso wenig spricht die Tatsache, dass sie von Männern begehrt wird, für eine betagte Dame.

Quellenauszug

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Sall. Cat. 25,1–25,5
Sed in iis erat Sempronia, quae multa saepe virilis audaciae facinora conmiserat. Haec mulier genere atque forma, praeterea viro liberis satis fortunata fuit; litteris graecis et latinis docta, psallere et saltare elegantius quam necesse est probae, multa alia quae instrumenta luxuriae sunt. Sed ei cariora semper omnia quam decus atque pudicitia fuit; pecuniae an famae minus parceret haud facile discerneres; libido sic adcensa ut saepius peteret viros quam peteretur. Sed ea saepe antehac fidem prodiderat, creditum abiuraverat, caedis conscia fuerat: Luxuria atque inopia praeceps abierat. Verum ingenium eius haud absurdum: Posse versus facere, iocum movere, sermone uti vel modesto vel molli vel procaci; prorsus multae facetiae multusque lepos inerat.
Übersetzung
„Unter ihnen aber befand sich Sempronia, die gar manche Untat von männlicher Verwegenheit begangen hatte. Diese Frau war in Herkunft und Schönheit, dazu in Mann und Kindern recht vom Glück begünstigt, war in griechischer und lateinischer Bildung unterrichtet, spielte Zither, tanzte besser, als es für eine anständige Frau nötig ist, besaß vieles noch, was Mittel des Wohllebens sind. Ihr aber war immer alles andere wertvoller als ihr Ansehen und ihre Keuschheit; ob sie ihr Geld oder ihren Ruf weniger schonte, hätte man nicht leicht entscheiden können; ihre Sinnlichkeit war so entzündet, daß sie häufiger selber die Männer aufsuchte als aufgesucht wurde. Sie hatte vordem zu vielen Malen ihr Wort gebrochen, Schulden abgeschworen, von Mord gewusst und war durch Verschwendung und Mittellosigkeit in den Abgrund geraten. Aber ihre Gaben waren nicht verkehrt: Sie konnte Verse machen, scherzen, sich bald zurückhaltend, bald sanft, bald frech unterhalten; kurz: sie besaß viel Witz und viel Anmut.

In jedem Fall ist Sempronia die Mutter oder zumindest Stiefmutter des späteren Caesar-Mörders Decimus Iunius Brutus Albinus. Wegen ebendieses Umstandes wurde vielfach angenommen, dass dies ein Grund für die bisweilen sehr negative Darstellung seitens Sallusts sein könnte, da er ja zu Gaius Iulius Caesars Anhängern zählte bzw. von diesem protegiert wurde. Gegen diese Ansicht gibt es allerdings den Einwand, dass Sallust ihre vornehme Herkunft und die Vorzüge ihres Mannes und ihrer Kinder betont, so dass ein versteckter Hinweis auf den „verkommenen“ D. Iunius Brutus Albinus wohl eher unwahrscheinlich ist.

Sempronia bei Sallust

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Nach der vorhergegangenen Charakterisierung Catilinas in den Kapiteln 14 bis 16 scheint Sempronia nun dessen Pendant aus der Frauenwelt darzustellen; vielleicht, um die Vielschichtigkeit der Verschwörung zu verdeutlichen, in die nun auch schon Frauen mit einbezogen wurden. Sie erscheint als das genaue Gegenteil des idealen Frauenbildes, nämlich als emanzipierte und verkommene matrona Romana. Der Exkurs über Sempronia scheint daher nicht nur ein Lückenfüller zu sein, sondern vielmehr zu betonen, dass der gesamte Adel, ob Mann oder Frau, von der allgemeinen Verworfenheit befallen war. Sallust stellt hier die Außerordentlichkeit und die Einzigartigkeit von Sempronias Handlungen im Gegensatz zur normalen Frau heraus, ihre Gefährlichkeit und die Unerhörtheit ihrer männlichen Taten; es wird jedoch nicht weiter erläutert, worin diese Taten bestehen. Allerdings ist es vorstellbar, dass Sallust hier vielleicht auf die Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen anspielt. Im Weiteren schildert er ihre gute Herkunft, ihre Schönheit, zudem ihre Bildung, ihre Begabung beim Tanz und ihren Reichtum. Sallust verweist jedoch gleichzeitig auf das Übermaß ihrer Eigenschaften: Sie tanzte besser als es sich gehörte, sie war schön, was von einer matrona nicht unbedingt verlangt wurde und zuweilen suspekt erschien, und sie besaß viele Luxusgüter, was in der „guten alten Zeit“, die Sallust heraufbeschwört, aufgrund der Lex Oppia nicht erlaubt gewesen war. Von diesem Punkt an beginnt die Schilderung ihrer wirklich schlechten Eigenschaften, d. h. der Verstoß gegen die von einer matrona geforderten Tugenden pudicitia, decus und frugalitas, denn alles war ihr wichtiger als ihr Ansehen und ihre Keuschheit und weder ihr Geld noch ihren Ruf schonte sie. Die Beschreibung gipfelt schließlich in dem Vorwurf der Promiskuität, was für die damalige Zeit für eine ehrbare Frau eine Ungeheuerlichkeit darstellte, und den sich aus ihrem Lebenswandel ergebenden Folgen von Geldnot und sogar Kriminalität. Doch zum Ende des Berichts kommt Sallust – gleich einer Ringkomposition – plötzlich wieder zu seinem anfänglichen Thema, Sempronias guten Eigenschaften, zurück, wobei er hier wiederum ihren Witz und ihr per se nicht verkehrtes Wesen lobt. Wie oben schon erwähnt, wirkt Sempronia durch die ganze Art der Beschreibung wie das Gegenstück zu Catilina; durch ihre Beteiligung an Morden und den durch Verschwendungssucht hervorgerufenen Mangel an Geld kommt sie zudem den männlichen Verschwörern gleich und wird somit zu einem scheinbar vollwertigen Mitglied der Verschwörung.

Sallust scheint große Freude an der Darstellung einer solch selbstbewussten Frau gefunden zu haben, die in ihrem ganzen Wesen die Angst der römischen Oberschicht vor dem totalen Umsturz von Sitte, Moral und alter Ordnung symbolisiert. Sallust ist in seinen Ausführungen meist ambivalent, er trifft keine Wertung, sondern überlässt dem Leser das letzte Urteil, wobei man doch versucht ist, in Sempronia eher das Gute zu sehen. Ihre Charakterisierung ist aber wohl nicht unbedingt persönlich zu nehmen, sondern vielmehr als Beispiel für eine Vielzahl, und ganz sicher wollte Sallust hier nicht eine ihm unliebsame Frauenbewegung treffen.

  • C. Sallustius Crispus, De coniuratione Catilinae, kommentiert von Karl Vretska, 2 Bände, Heidelberg 1976
  • C. Sallustius Crispus, Bellum Catilinae. A commentary (Mnemosyne. Bibliotheca Classica Batava 45), hg. von P. McGushin, Leiden 1977
  • Gaius Sallustius Crispus, Catilina, Iugurtha, Historiarum Fragmenta Selecta, Appendix Sallustiana (Oxford Classical Texts), hg. von L. D. Reynolds, Oxford 1991

Literatur

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  • Dacre Balsdon: Die Frau in der römischen Antike, München 1979
  • Karl Büchner: Sallust, Heidelberg 1982
  • Maria H. Dettenhofer: Zur politischen Rolle der Aristokratinnen zwischen Republik und Prinzipat. In: Latomus 51 (1992), S. 775–795.
  • Birgit Schaible: Sempronia – eine Symbolfigur, in: Der Altsprachliche Unterricht 42/2 (1999), S. 41–43
  • Anja Schweers: Frauen- und Männerbilder im alten Rom, in: Der Altsprachliche Unterricht 42/2 (1999), S. 2–14
  • Bettina Eva Stumpp: Prostitution in der römischen Antike, Berlin 2001
  • Ronald Syme: Sallust, Darmstadt 1975
  • Jürgen von Ungern-Sternberg: Das Verfahren gegen die Catilinarier oder: Der vermiedene Prozeß, in: Große Prozesse der römischen Antike, hg. von Ulrich Manthe und Jürgen von Ungern-Sternberg, München 1997, S. 85–99
  • Uwe Walter: Eine ambivalente Frauengestalt. Sallusts Portrait der Sempronia im Unterricht, in: Der Altsprachliche Unterricht 42/2 (1999), S. 33–40