Siedlung Kunstfeld

Siedlung in Köln-Dünnwald

Die Siedlung Kunstfeld in Köln-Dünnwald ist die älteste erhaltene Arbeitersiedlung im Rheinland. Sie wurde ab 1820 für die Arbeiter einer chemischen Produktion in den Wald bei Dünnwald gebaut. Die Gebäude der Siedlung stehen unter Denkmalschutz. 1870 ereignete sich in der Fabrik, zu der die Siedlung gehörte, eine schwere Explosion, bei der 15 Arbeiter getötet wurden.

Nr. 23 Am Kunstfeld
Ehemalige Fabrikantenvilla
Denkmalgeschützte Toilettenanlage der Siedlung

Geschichte

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Nach der Säkularisation der Abtei Altenberg im Jahr 1803 pachteten die Chemiker Johann Gottfried Wöllner aus Gummersbach und Friedrich Mannes (1785–1850) aus Remscheid 1809 die Gebäude dieses Klosters und richteten dort eine Fabrik für den Textilfarbstoff „Berliner Blau“ ein, der für preußische Uniformen verwendet wurde. Allgemein wurde es üblich, leer stehende Klostergebäude als Werkstätten oder Fabriken zu nutzen. Am 6./7. November 1815 ereignete sich dort eine Explosion, bei der die Klostergebäude und das Dach des benachbarten Altenberger Doms zerstört wurden.[1] Daraufhin verlegten die beiden Unternehmer ihre Produktion in das Klostergebäude des ehemaligen Prämonstratenserklosters in Dünnwald, nordöstlich von Mülheim am Rhein gelegen. Im Pachtvertrag wurde Wöllner als „Branntweinfabrikant“ bezeichnet.[2] Der Lokalhistoriker und Pfarrer August Brand (1898–1988) charakterisierte Godfried Woellner als „klugen und energischen Mann“.[3][4]

Die Herstellung der chemischen Erzeugnisse war mit einem starken Geruch verbunden, über den sich die Dorfbevölkerung beklagte. Im Jahr 1820 verbot die Kölner Bezirksregierung Wöllner die Produktion innerhalb der Dorfgrenzen.[2] Daraufhin erwarb er ein Gelände von 20 Morgen Größe in der „Schlebuscher Heide“, etwa 1,5 Kilometer von Dünnwald entfernt. Dort hatte sich zuvor über mehrere Jahrhunderte das Gehöft „Backeshof“ befunden; der das Gelände umgebende Wald wurde damals Maikammer genannt. Wegen der „künstlichen“ Produkte, die dort hergestellt wurden, wurde der neue Ortsteil „Kunstfeld“ genannt.

Bei den in Dünnwald hergestellten Produkten handelte es sich in der Regel zunächst um Farben aus Mineralien, die im Bergischen Land gewonnen wurden, und/oder um Berliner Blau, blausaures Kali, Scheidewasser, Salmiak, Holzessig und Bleizucker sowie um 1835 Eau de Cologne.[5] Die Waren wurden bis nach Brabant und Holland verkauft.[6] Ein Produktion mit einem jährlichen Umsatz von 60.000 bis 70.000 Talern wäre möglich gewesen, was aber günstige Importe aus England verhinderten.[6]

Der Schriftsteller Anton Wilhelm von Zuccalmaglio nannte die Fabrik „einen Vorteil für die Bevölkerung“.[2] Dennoch erwies es sich als schwierig, Arbeitskräfte aus der näheren Umgebung für die Fabrik zu gewinnen: Tatsächlich mussten die Unternehmer protestantische Arbeiter aus dem Bergischen Land in das bis dahin rein katholische Dorf holen.[7] Die Fabrik hatte zeitweise bis zu 25 Mitarbeiter und galt somit als Manufaktur und nicht mehr als Handwerksbetrieb.[6][8]

In den folgenden Jahrzehnten hatten mehrere Gesellschaften mit verschiedenen Inhabern Konzessionen für Produktionen in Dünnwald, darunter der Sohn von Johann Gottfried Wöllner, Christian, und Friedrich Mannes, die Brüder Friedrich (* 1798) und Benjamin Sternenberg (* 4. März 1795; † 6. Juli 1858[9]) sowie ein Ed. Halbach aus Wald bei Solingen. Der Historiker Josef Thur gibt an, dass es zwei chemische Produktionen im Kunstfeld gab, nämlich zwischen 1820 und 1840 eine für Buntfarben der Gebrüder Mannes mit 20 bis 25 Arbeitern; Benjamin und Friedrich Sternenberg wiederum ließen bis in die 1830er Jahre Farben und andere chemische Produkte wie Salmiak herstellen.[10] Außerdem gab es eine Horn- und Knochenmühle, von der der Name des „Hornpottweges“ rührt. Zudem existierten eine Drahtweberei sowie eine Produktion von gelochten Blechen, die anstelle von Gardinen an Fenstern angebracht wurden. Deren Existenz ist nur mündlich überliefert.[11][12] In einigen Häusern wurden in Heimarbeit Textilien gewoben.[13] 1827 lebten in Kunstfeld 48 Menschen, dann ging die Einwohnerzahl bis 1840 auf 30 zurück, um ab 1850 anzusteigen, bis im Jahr 1900 dort 179 Personen wohnten.[14]

Gegen Ende der 1860er Jahre begann Friedrich Sternenberg, dem Vorbild Alfred Nobels folgend, mit Nitroglycerin und Salpetersäure zu experimentieren, um Sprengstoff herzustellen, aber auch ein weiterer Sohn von Benjamin Sternenberg, Heinrich, war für die Produktion mitverantwortlich. Die Behörden erließen die Auflage, dass die Räume der Fabrik im Kunstfeld zum Schutz der Arbeiter und der Bevölkerung gesichert werden müssten. Obwohl Sternenberg zunächst keine Konzession erhielt, begann er mit den Vorbereitungen und die Behörden griffen nicht ein.[15]

Am 25. Januar 1870 ereignete sich nachts in der Fabrik eine Explosion. Die Erschütterung war so stark, dass selbst im entfernten Köln Bilder von den Wänden und Stuck von der Decke gefallen sein sollen.[16] Dabei seien, so notierte der damalige Pfarrer Christian Bertram (1830–1893) (auf Latein),[17] „14 Katholiken und ein Nichtkatholik ums Leben gekommen: Ihre Körper wurden zerstückelt über die Felder zerstreut und Glied für Glied gesammelt.“ Unter den Toten befanden sich sieben Familienväter, die 30 unmündige Kinder hinterließen (die genauen Zahlen divergieren von Quelle zu Quelle). „In Scharen“, so schrieb Pfarrer Brandt später in seiner Chronik von Dünnwald, seien Menschen aus Köln, Deutz, Mülheim und den umliegenden Dörfern gekommen, um sich das „Bild des Grauens“ anzuschauen.[18] Es bildete sich ein Komitee, das um Spenden bat, und der „Quartett-Verein“ vom Mülheim organisierte ein Konzert zugunsten der betroffenen Familien.[19] Der Berichterstatter der Hagener Zeitung fand es „tröstlich“, dass die „Umgekommenen“ im Nu „vernichtet und allen Leides enthoben“ gewesen seien.[20]

Als verantwortlicher Unternehmer wurde der „Pulverfabrikant“ (Wilhelm Hermann) August Wasserfuhr zu 25 Talern Geldbuße verurteilt, weil er „jene Fabrik in Betrieb gesetzt, bevor er die Konzession dazu erhalten hatte“. Offenbar führte Wasserfuhr nun gemeinsam mit den Sternenbergs die Gesellschaft, die die Produktion in Kunstfeld betrieben hatte; ab 1873 saß Wasserfuhr jedenfalls im Aufsichtsrat der „B. Sternenberg'sche Actien-Gesellschaft für chemische Bleiproducte und Farben“.[21] In Zeitungsmeldungen über das Unglück wurde sein Name entweder gar nicht erwähnt oder nicht ausgeschrieben („Aug. W.“). Für die Sammlung zugunsten der geschädigten Familien spendete er 1000 Taler. 1871 übernahm die Gesellschaft „Kayser & Edelmann“ (auch „C. Kayser & Co.)“ das Unternehmen, verlagerte die Produktionsstätte nach Schlebusch und verkaufte sie zwei Jahre später an Dynamit Nobel. Alfred Nobel überwachte den Aufbau persönlich.[22] Der Schornstein der Fabrik blieb noch viele Jahre als Mahnmal für die Toten und als Protest gegen die Neuerrichtung einer Pulverfabrik stehen. Pfarrer Bertram sammelte Unterschriften aller Dünnwalder und sandte erfolgreich Protestschreiben an Behörden und Unternehmer, damit die Sprengstoffproduktion in Dünnwald nicht wieder aufgenommen wurde.[23]

Der mit der Familie Halbach verwandte Louis Morsbach aus Solingen gründete 1871 im Kunstfeld mit Rudolf Scherz aus Wuppertal die Feilenhauerei Scherz & Morsbach. die bis in die 1920er Jahre in Betrieb war.[14] Aufgrund einer Kreditvereinbarung erbten Louis Morsbach und sein Bruder Ernst 1887 den gesamten Besitz im Kunstfeld, der zwischen ihnen aufgeteilt wurde. Der Sohn von Louis Morsbach verkaufte seinen Grundstücksanteil in den 1930er Jahren an Dynamit Nobel in Manfort. Die zur Siedlung führende Straße, die heute Kunstfelder Straße heißt, trug bis in das 20. Jahrhundert hinein den Namen Schlebuscher Haidweg.[13]

Siedlung

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Nach der Gründung der chemischen Fabrik erwies es sich als schwierig, Arbeitskräfte aus der Umgebung zu finden. Um Arbeiter anzulocken, ließen die Unternehmer Mannes und Wöllner ab 1820 die Siedlung Kunstfeld errichten. Die Wohnungen waren größer als üblich, günstig, verfügten über Gärten zur Selbstversorgung und – für damalige Verhältnisse unüblich – gute sanitäre Anlagen.[7] Bei der „Siedlung Kunstfeld“ handelt es sich um die älteste erhaltene Arbeitersiedlung im Rheinland.

Die Siedlung besteht aus ein- und zweistöckigen Fachwerkhäusern. Sie erstreckt sich zwischen den beiden typisch klassizistisch-bergischen, verschieferten Wohnhäusern der früheren Fabrikanten. Insgesamt sind es neun Gebäude, darunter eine Hofanlage sowie ein Grabkreuz.[24] „Wechselnde Besitzverhältnisse, Privatisierungen und Modernisierungswünsche gefährden bis heute den bereits in den 1930er Jahren als schützenswert anerkannten und in den vergangen Jahrzehnten teilweise wiederhergestellten Gesamtkomplex dieser im Rheinland einmaligen frühindustriellen Fabriksiedlung“, so Architekturhistoriker Alexander Kierdorf.[25] Die Siedlung ist Kulturlandschaftsbereich 346 im Regionalplan Köln.[26]

Koordinaten: 51° 0′ 34,7″ N, 7° 2′ 7,7″ O

Literatur

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  • August Brandt: Dünnwald. Die Säkularisation des Klosters (1803). Dorf und Pfarrei im 19. Jahrhundert. Hrsg.: St. Sebastianus-Schützenbruderschaft Köln-Dünnwald. 1988.
  • Bürgerstiftung Dünnwald-Höhenhaus und Verein der Freunde und Förderer St. Hermann-Joseph zu Köln-Dünnwald e.V. n (Hrsg.): 900 Jahre Dünnwald. Geschichte im Wandel der Zeit. 2016.
  • Marc Jan Eumann: „So entscheiden wir uns selbst“: 150 Jahre Sozialdemokratie in Dünnwald; 1864 - 2014. Vorwärts-Buch, Berlin 2014, ISBN 978-3-86602-014-6.
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Commons: Siedlung Kunstfeld – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Altenberg – Biographia Cisterciensis. In: zisterzienserlexikon.de. Abgerufen am 27. Oktober 2024.
  2. a b c Brandt, Dünnwald, S. 193.
  3. Brandt, Dünnwald, S. 47.
  4. 900 Jahre Dünnwald, S. 288.
  5. Hans Pohl/Ralf Schaumann/Frauke Schönert-Röhlk: Die chemische Industrie inj den Rheinlanden während der industriellen Revolution. Band 1. Franz Steiner, Wiesbaden 1983, ISBN 978-3-515-03449-4, S. 218.
  6. a b c Joachim Kermann: Die Manufakturen im Rheinland 1750−1833. Ludwig Röhrscheid, Phil. Diss. Bonn 1972, S. 448/449.
  7. a b Fritz Bilz: Das Kunstfeld in Dünnwald: Arbeiterwohnungen von 1820. In: Werkstatt für Ortsgeschichte Köln-Brück. 20. Juli 2020 (gw-koeln-brueck.de [PDF]).
  8. Hans Amendt: Die inner- und außerbetriebliche Lage der Arbeitnehmer der Glas-, Papier-, Zucker- und Chemischen Industrie der Regierungsbezirke Köln, Düsseldorf und Aachen zur Zeit der frühen Industrialisierung (ca. 1800−1875). Phil. Diss. Bonn 1975, S. 93.
  9. Kölnische Zeitung, 7. Juli 1858.
  10. Josef Thur: Kapital für die Kölner Region (= Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft. Band 2). Greven, Köln 1976, ISBN 3-7743-0119-0, S. 195.
  11. Brandt, Dünnwald, S. 194.
  12. Benjamin Sternenberg war ein Schwager von Christian Wöllner, Ehemann von dessen Schwester Helena. Friedrich Sternenberg (* 1798) war mutmaßlich der drei Jahre jüngere Bruder von Benjamin. Ein Hermann Sternenberg, mutmaßlich ein Sohn von Benjamin Sternenberg, war in den 1850er Jahren 2. Beigeordneter in der Gemeinde Merheim, zu der auch Dünnwald gehörte. [1] Friedrich Mannes, dessen Mutter aus der Remscheider Kaufmannsfamilie Hasenclever stammte, war in zweiter Ehe verheiratet mit Augusta Zanders, Schwester des Papierfabrikanten Johann Wilhelm Zanders: [2].
  13. a b Karl E. Quirl/Hermann Grün (Hrsg.): Das alte Dünnwald in Bildern. Vom bergischen Dorf zum Vorort von Köln. 1990, S. 135.
  14. a b Eumann, „So entscheiden wir uns selbst“, S. 25.
  15. Brandt, Dünnwald, S. 196.
  16. Kölnische Zeitung, 27. Januar 1870.
  17. 900 Jahre Dünnwald, S. 289.
  18. Brandt, Dünnwald, S. 196/97.
  19. Kölnische Zeitung, 29. Januar 1870.
  20. Hagener Zeitung, 27. Januar 1870.
  21. Kölnische Zeitung, 5. April 1873.
  22. Dynamit Akt.-Ges. vorm Alf. Nobel & Co., Werk Leverkusen. In: albert-gieseler.de. Abgerufen am 16. November 2024.
  23. Brandt, Dünnwald, S. 198.
  24. Hiltrud Kier, Fried Mühlberg: Denkmälerverzeichnis Köln Stadtbezirke 9 (Mülheim). Hrsg.: Landeskonservator Rheinland. 1979, S. 46 f.
  25. Alexander Kierdorf: Köln_Siedlung Kunstfeld. In: rheinische-industriekultur.de. Abgerufen am 16. November 2024.
  26. Eintrag zu Siedlung Kunstfeld bei Dünnwald in der Datenbank „KuLaDig“ des Landschaftsverbands Rheinland, abgerufen am 26. November 2024.