Silicen

Modifikation des Siliciums in flächiger Struktur

Silicen (englisch silicene) ist die Bezeichnung für eine zweidimensionale, allotrope Modifikation des Siliciums mit einer hexagonalen Wabenstruktur ähnlich der des Graphens.

Typische wellenförmige Struktur einer Silicen-Schicht.

Geschichte

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Obwohl bereits mehrere Theorien über die Existenz und die Materialeigenschaften von Silicen spekulierten,[1][2][3][4] wurden Siliciumstrukturen, die dem Silicen ähnlich sind, in Form von eindimensionalen Drähten erst im Jahre 2010 und als zweidimensionale Silicenschichten 2012 beobachtet.[5][6] Durch Kombination von Rastertunnelmikroskopie und anderen experimentellen Verfahren war es möglich, die Synthese von Silicen, also die Ablagerung von Silicen-Nanobändern und Silicen-Monoschichten – im Versuch durch die Ablagerung an Ag(110)- und Ag(111)-Oberflächen von Silberkristallen, auf atomarer Ebene zu untersuchen. Die Darstellungen zeigte Hexagone in einer Wabenstruktur, die der des Graphens ähnlich ist. Dichtefunktionaltheorie-Berechnungen zeigten, dass Siliciumatome dazu neigen, Wabenformen an Silber zu bilden, unter Ausprägung einer geringen Krümmung. Im Falle der eindimensionalen Silicen-Drähte auf Ag(110)-Oberflächen wurde diese Interpretation jedoch später angezweifelt.[7] Im Jahr 2014 gelang es einem Team um Deji Akinwande der Universität Texas erstmals, einen bei Raumtemperatur funktionierenden Feldeffekttransistor auf Basis von Silicen herzustellen.[8]

Eigenschaften

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Gekrümmte Struktur des hexagonalen Silicen-Rings.

Im Jahre 2012 berichteten mehrere unabhängige Forschergruppen von geordneten Phasen an Ag(111)-Kristallen.[6][9][10] Untersuchungen mittels der winkelaufgelösten Photoelektronenspektroskopie zeigten, dass Silicen eine ähnliche Elektronenkonfiguration wie Graphen hat. Beide bilden Dirac-Kegel aus und haben eine lineare Dispersion um den K-Punkt des Kristalls,[6] jedoch galt diese Interpretation als umstritten.[11][12][13][14] Die Existenz von masselosen Dirac-Fermionen (nach einem Modell der Dirac-Gleichung) in Silicen an Ag(111)-Kristallen wurde später durch Rastertunnelspektroskopie-Messungen bewiesen.[15]

Silicen ist nicht vollkommen planar, sondern weist leichte, regelmäßige Krümmungen innerhalb der Ringe von 0,44 Å (bei einer Bindungslänge von 2,28 Å) auf, resultierend in einer regelmäßigen Wellenform der einzelnen Schichten.[16] Da die Hydrierung des Silicens zu einem Silan exotherm verläuft, wird vermutet, dass diese Applikation zur Wasserstoffspeicherung eingesetzt werden kann. Als Ursache der unebenen Struktur des Silicen-Rings wird der Pseudo-Jahn-Teller-Effekt (PJT-Effekt) angegeben. Dies wird verursacht durch eine vibronische Kopplung der unbesetzten Molekülorbitale (engl. unoccupied molecular orbital, kurz UMO) mit den besetzten Molekülorbitalen (engl. occupied molecular orbital, kurz OMO). Diese Orbitale haben ein ähnlich hohes Energieniveau, um die Krümmung des sonst hochsymmetrischen Silicen-Rings zu verursachen. Durch Zugabe von Lithiumionen kann der Abstand des Energieniveaus zwischen UMO und OMO vergrößert werden, was in einer Unterdrückung des PJTs und somit in einer Abflachung der Struktur resultiert.[17] Zusätzlich zur möglichen Kompatibilität mit bereits existierenden Halbleitertechnologien hat Silicen den Vorteil, dass die Schichtenränder keinerlei Reaktivität mit Luftsauerstoff zeigten.[18]

Die Ausprägung von Silicen-Monoschichten wurde neben Silber außerdem an weiteren Kristallen beobachtet, wie Zirkoniumdiborid,[19] und Iridium.[20] Theoretische Untersuchungen ergaben, dass Silicen an Al(111) eine stabile wabenförmige Schicht bildet, sowie ein sogenanntes „polygonales Silicen“, dessen Struktur aus 3-, 4-, 5- und 6-atomigen Ringen besteht.[21]

Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Silicen und Graphen

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Silicium- und Kohlenstoffatome haben eine Vielzahl ähnlicher Eigenschaften. Sie befinden sich im Periodensystem innerhalb derselben Hauptgruppe (siehe: Kohlenstoffgruppe) und bilden sp2-Hybridorbitale. Die 2D-Strukturen von Silicen und Graphen weisen ebenfalls eine hohe Anzahl an Ähnlichkeiten auf, haben jedoch signifikante Unterscheidungsmerkmale. Beide Schichten bestehen aus hexagonalen Wabenstrukturen, jedoch ist die Graphenschicht vollkommen flach, während die Silicenschicht leicht gewellt und gekrümmt ist. Diese Krümmung verleiht Silicen in Anwesenheit eines externen elektrischen Feldes eine einstellbare Bandlücke. Im Gegensatz zu Graphit, das aus Graphen-Schichten besteht, die durch schwache London-Kräfte verbunden sind, sind die Bindungskräfte innerhalb der Monoschichten bei Silicen vergleichsweise stark. Da die Siliciumringe jedoch keine π-π-Wechselwirkungen ausbilden, kommt es bei Silicen nicht zu einer graphitartigen Zusammenklumpung der Ringe zu fullerenartigen Gebilden.[17] Silicen und Graphen haben eine ähnliche Elektronenkonfiguration. Beide bilden Dirac-Kegel aus und haben eine lineare Dispersion um den K-Punkt des Kristalls. Beide haben außerdem einen Quanten-Spin-Hall-Effekt.[17]

Silicen-Schichten mit funktionellen Gruppen

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Neben der reinen Silicenstruktur ist es gelungen, organo-modifizierte Monoschichten mit Phenylringen als funktionelle Gruppen an den freien Elektronen herzustellen.[22] Diese Einbringung der funktionellen Gruppen ermöglicht als Anwendung eine Dispersion der Schicht in organischen Lösungsmitteln.

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Einzelnachweise

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  1. Kyozaburo Takeda, Kenji Shiraishi: Theoretical possibility of stage corrugation in Si and Ge analogs of graphite. In: Physical Review B. Band 50, Nr. 20, 15. November 1994, S. 14916–14922, doi:10.1103/PhysRevB.50.14916.
  2. Gian G. Guzmán-Verri, L. C. Lew Yan Voon: Electronic structure of silicon-based nanostructures. In: Physical Review B. Band 76, Nr. 7, 30. August 2007, S. 075131, doi:10.1103/PhysRevB.76.075131.
  3. S. Cahangirov, M. Topsakal, E. Aktürk, H. Şahin, S. Ciraci: Two- and One-Dimensional Honeycomb Structures of Silicon and Germanium. In: Physical Review Letters. Band 102, Nr. 23, 12. Juni 2009, S. 236804, doi:10.1103/PhysRevLett.102.236804.
  4. J. C. Garcia, D. B. de Lima, L. V. C. Assali, J. F. Justo: Group IV Graphene- and Graphane-Like Nanosheets. In: J. Phys. Chem. C. 115. Jahrgang, 2011, S. 13242, doi:10.1021/jp203657w.
  5. Bernard Aufray, Abdelkader Kara, Sébastien Vizzini, Hamid Oughaddou, Christel Léandri, Benedicte Ealet, Guy Le Lay: Graphene-like silicon nanoribbons on Ag(110): A possible formation of silicene. In: Applied Physics Letters. Band 96, Nr. 18, 3. Mai 2010, S. 183102, doi:10.1063/1.3419932.
  6. a b c Patrick Vogt, Paola De Padova, Claudio Quaresima, Jose Avila, Emmanouil Frantzeskakis, Maria Carmen Asensio, Andrea Resta, Bénédicte Ealet, Guy Le Lay: Silicene: Compelling Experimental Evidence for Graphenelike Two-Dimensional Silicon. In: Physical Review Letters. Band 108, Nr. 15, 12. April 2012, S. 155501, doi:10.1103/PhysRevLett.108.155501.
  7. S. Colonna, G. Serrano, P. Gori, A. Cricenti, F. Ronci: Systematic STM and LEED investigation of the Si/Ag(110) surface. In: Journal of Physics: Condensed Matter. Band 25, Nr. 31, 7. August 2013, S. 315301, doi:10.1088/0953-8984/25/31/315301.
  8. L. i. Tao, Eugenio Cinquanta, Daniele Chiappe, Carlo Grazianetti, Marco Fanciulli, Madan Dubey, Alessandro Molle, Deji Akinwande: Silicene field-effect transistors operating at room temperature. In: Nature Nanotechnology. 2015, doi:10.1038/nnano.2014.325.
  9. Chun-Liang Lin, Ryuichi Arafune, Kazuaki Kawahara, Noriyuki Tsukahara, Emi Minamitani, Yousoo Kim, Noriaki Takagi, Maki Kawai: Structure of Silicene Grown on Ag(111). In: Applied Physics Express. Band 5, Nr. 4, 1. April 2012, S. 045802, doi:10.1143/APEX.5.045802.
  10. Baojie Feng, Zijing Ding, Sheng Meng, Yugui Yao, Xiaoyue He, Peng Cheng, Lan Chen, Kehui Wu: Evidence of Silicene in Honeycomb Structures of Silicon on Ag(111). In: Nano Letters. Band 12, Nr. 7, 11. Juli 2012, S. 3507–3511, doi:10.1021/nl301047g.
  11. Zhi-Xin Guo, Shinnosuke Furuya, Jun-ichi Iwata, Atsushi Oshiyama: Absence of Dirac Electrons in Silicene on Ag(111) Surfaces. In: Journal of the Physical Society of Japan. Band 82, Nr. 6, 29. Mai 2013, S. 063714, doi:10.7566/JPSJ.82.063714.
  12. R. Arafune, C.-L. Lin, R. Nagao, M. Kawai, N. Takagi: Comment on “Evidence for Dirac Fermions in a Honeycomb Lattice Based on Silicon”. In: Physical Review Letters. Band 110, Nr. 22, Mai 2013, doi:10.1103/PhysRevLett.110.229701.
  13. Chun-Liang Lin, Ryuichi Arafune, Kazuaki Kawahara, Mao Kanno, Noriyuki Tsukahara, Emi Minamitani, Yousoo Kim, Maki Kawai, Noriaki Takagi: Substrate-Induced Symmetry Breaking in Silicene. In: Physical Review Letters. Band 110, Nr. 7, 11. Februar 2013, S. 076801, doi:10.1103/PhysRevLett.110.076801.
  14. Paola Gori, Olivia Pulci, Fabio Ronci, Stefano Colonna, Friedhelm Bechstedt: Origin of Dirac-cone-like features in silicon structures on Ag(111) and Ag(110). In: Journal of Applied Physics. Band 114, Nr. 11, 21. September 2013, S. 113710, doi:10.1063/1.4821339.
  15. Lan Chen, Cheng-Cheng Liu, Baojie Feng, Xiaoyue He, Peng Cheng, Zijing Ding, Sheng Meng, Yugui Yao, Kehui Wu: Evidence for Dirac Fermions in a Honeycomb Lattice Based on Silicon. In: Physical Review Letters. Band 109, Nr. 5, 3. August 2012, S. 056804, doi:10.1103/PhysRevLett.109.056804.
  16. Emilio Scalise, Michel Houssa, Geoffrey Pourtois, B. van den Broek, Valery Afanas’ev, André Stesmans: Vibrational properties of silicene and germanene. In: Nano Research. Band 6, Nr. 1, 2013, S. 19–28, doi:10.1007/s12274-012-0277-3.
  17. a b c Deepthi Jose, Ayan Datta: Structures and Chemical Properties of Silicene: Unlike Graphene. In: Accounts of Chemical Research. Band 47, Nr. 2, 18. Februar 2014, S. 593–602, doi:10.1021/ar400180e.
  18. Paola De Padova, Christel Leandri, Sebastien Vizzini, Claudio Quaresima, Paolo Perfetti, Bruno Olivieri, Hamid Oughaddou, Bernard Aufray, Guy Le Lay: Burning Match Oxidation Process of Silicon Nanowires Screened at the Atomic Scale. In: Nano Letters. Band 8, Nr. 8, 2008, S. 2299–2304, doi:10.1021/nl800994s.
  19. Antoine Fleurence, Rainer Friedlein, Taisuke Ozaki, Hiroyuki Kawai, Ying Wang, Yukiko Yamada-Takamura: Experimental Evidence for Epitaxial Silicene on Diboride Thin Films. In: Physical Review Letters. Band 108, Nr. 24, 11. Juni 2012, S. 245501, doi:10.1103/PhysRevLett.108.245501.
  20. Lei Meng u. a.: Buckled Silicene Formation on Ir(111). In: Nano Letters. Band 13, Nr. 2, 13. Februar 2013, S. 685–690, doi:10.1021/nl304347w.
  21. Tetsuya Morishita, Michelle J. S. Spencer, Shuhei Kawamoto, Ian K. Snook: A New Surface and Structure for Silicene: Polygonal Silicene Formation on the Al(111) Surface. In: The Journal of Physical Chemistry C. Band 117, Nr. 42, 24. Oktober 2013, S. 22142–22148, doi:10.1021/jp4080898.
  22. Yusuke Sugiyama, Hirotaka Okamoto, Takuya Mitsuoka, Takeshi Morikawa, Koji Nakanishi, Toshiaki Ohta, Hideyuki Nakano: Synthesis and Optical Properties of Monolayer Organosilicon Nanosheets. In: Journal of the American Chemical Society. Band 132, Nr. 17, 5. Mai 2010, S. 5946–5947, doi:10.1021/ja100919d.