Sinthom
Das Sinthom oder Sinthome (frz.) ist in der Theorie des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan jener Teil des Symptoms, der den Kern des Subjekts bildet. Im Unterschied zum Symptom ist das Sinthom kein Signifikant; es verweist nicht auf etwas anderes. So widersteht es jeder Interpretation und ist letztlich nicht auflösbar. Es gehört dem Bereich des Realen an, sofern es die Art und Weise darstellt, in der das Subjekt sein Genießen organisiert.
Lacan führt den Begriff des „Sinthoms“ erst spät ein – im Seminar XXIII: Le Sinthome von 1975 bis 1976; und auch dort verwendet er zum Teil noch die herkömmliche Schreibweise „Symptom“, wenn er vom Sinthom schreibt. Lacan führt aus, dass „das Symptom nur als die Art und Weise definiert werden kann, in der jedes Subjekt das Unbewußte genießt [jouit], insofern als das Unbewußte sie bestimmt“[1].
In Lacans Modell der Borromäischen Ringe des Realen, Imaginären und Symbolischen bildet das Sinthom einen zusätzlichen vierten Ring, der durch das „Reuleaux-Dreieck“ im Zentrum der drei Ringe gebildet wird. Das Sinthom ist also dasjenige Element, das den Knoten überhaupt erst zusammenhält. Sofern es auf diese Weise das Zentrum des Subjekts bildet – das, „was es einem erlaubt zu leben“[1] – besteht nach Lacan die Aufgabe der Psychoanalyse nicht in der Auflösung des Sinthoms, sondern vielmehr in der Identifikation mit ihm.
Slavoj Žižeks Buchtitel Liebe Dein Symptom wie Dich selbst (1991) ist eine Anspielung auf diese notwendige Identifikation. Žižek schreibt dazu:
- „Und insofern im Symptom ein Kern des Genießens persistiert, der jeder Interpretation widersteht, ist vielleicht auch das Ende der Analyse nicht in einer interpretativen Auflösung des Symptoms zu suchen, sondern in einer Identifikation mit ihm, in einer Identifikation des Subjekts mit diesem nicht-analysierbaren Punkt, mit diesem partikularen ‚pathologischen‘ Tick, der letztendlich die einzige Stütze seines Daseins bildet.“[2]
Literatur
Bearbeiten- Jacques Lacan: Le Séminaire XXIII. Le sinthome (= Champ freudien (Paris)) (1975–76). Ed. du Seuil, DL, Paris 2005, ISBN 2-02-079666-X, ISBN 978-2-02-079666-8 (Textkonstitution: Jacques-Alain Miller; deutsche Übersetzung: Das Sinthom. Wien/Berlin 2017: Turia + Kant. ISBN 978-3-85132-877-6; englische Übersetzung bei Jacques Lacan in Ireland, siehe Weblinks).
- Dylan Evans: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse. Aus dem Engl. von Gabriella Burkhart. Turia + Kant, Wien 2002, ISBN 3-85132-190-1.
- Engl. Orig.-titel: An introductory dictionary of Lacanian psychoanalysis. Routledge, London/New York 1996, ISBN 0-415-13522-2.
- Slavoj Žižek: Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien. Red. Überarb.: Thomas Hübel. Merve, Berlin 1991, ISBN 3-88396-081-0.
Weblinks
Bearbeiten- Jacques Lacan: Joyce and the symptom. The seminar, book XXIII. Ins Englische übersetzt von Cormac Gallagher. Teil 1 (PDF; 11,2 MB); Teil 2 (PDF; 10,3 MB) bei Lacan in Ireland. Collected Translations and Papers by Cormac Gallagher
- Gérard Crovisier: Rekonstruktion der Zeichnungen von Lacan in Seminar XXIII bei Lituraterre
- Rolf Nemitz: „Das Sinthom“ entziffern. Kommentar zu Lacans Seminar 23 von 1975/76, „Das Sinthom“ bei Lacan entziffern
- Dieter Wenk: Herr der Fadenringe, Rezension der französischen Ausgabe des Seminars XXIII bei textem.de
- pet/bun: Joyce und der verbale Wahnsinn Lacans. James Joyce, „le saint homme“ im „23. Séminaire“ von Jacques Lacan ( vom 11. März 2007 im Webarchiv archive.today) bei Berliner Literaturkritik, 14. April 2005, abgerufen am 18. Mai 2016.
- Ulrike Kadi: Alte Schurken. »Paul Verhaeghe: New studies of old villains: a radical reconsideration of the Oedipus complex. New York: Other Press 2009 steht im Zentrum einer Sendung der Philosophischen Brocken. Verhaeghe folgt in diesem kleinen Band einigen Überlegungen von Freud und Lacan zu Vater, Mutter, Genießen, Identität und dem Sinthom. Mit Georg Gröller, der das Buch vorstellt, diskutieren in der Sendung Mona Hahn, Ulrike Kadi, Judith Kürmayer, Eva Laquièze-Waniek, Robert Pfaller und Karl Stockreiter. Musik: klezmer reloaded (Shevchenko/Golebiowski). 23. November 2011« (mp3; 75,5 MB), abgerufen am 18. Mai 2016.