Spanische Spätscholastik

theologisch-juristisch-philosophische Strömung der Renaissance

Die spanische Spätscholastik, auch „zweite Scholastik“, war eine theologisch-juristisch-philosophische Strömung des Katholizismus im 16. Jahrhundert, die hauptsächlich von den Ländern der iberischen Halbinsel ausging. Das Zentrum lag in der Schule von Salamanca, die unter dem Einfluss Kaiser Karls V. stand.

Universität von Salamanca, Hauptportal

Obwohl sich die Bezeichnung als terminus technicus durchgesetzt hat, bleibt sie insofern ungenau, als die Strömung zum einen nicht auf Spanien beschränkt ist (weshalb manche von „iberischer Spätscholastik“ sprechen, so mit Hinweis auf die Schule von Coimbra[1]) und zum anderen die „Spätscholastiker“ das Anliegen des Humanismus teilten. Eine weitere Bezeichnung ist die Barockscholastik, die noch weitere Länder und Orden (Franziskaner) umfasst. Eine Nachwirkung bestand unmittelbar im Einfließen des daran ausgerichteten jesuitischen Philosophiekursus in die ordensweite Ratio Studiorum als konzentrierte Darstellung katholischer Philosophie, ab dem 19. Jahrhundert in der Neuscholastik sowie in der modernen Analytischen Scholastik des Briten Anthony Kenny oder des Australiers David Oderberg.

Theologie und Philosophie

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Eine systematische Lehre der katholischen Kirche sollte die Tradition (Bedeutung der Hl. Schrift, Kirchenväter, Humanismus) wahren und mit der rationalen, spekulativen, philosophischen Theologie des 16. Jahrhunderts in Übereinstimmung bringen. Während die Humanisten zwar die traditionelle Scholastik scharf kritisiert, aber keine originale Theologie beigesteuert hatten, vielmehr die Philologie und Grammatik vorzogen, versuchte die spanische Spätscholastik eben dies. Unter den Dominikanern gehörten Francisco de Vitoria (1483–1546), Domingo de Soto (1494–1560), Domingo Báñez (1528–1604) und Melchor Cano (1509–1560) dazu, unter den Jesuiten Francisco Toledo (1532–1596), Luis de Molina (1536–1600), Gabriel Vásquez (1549–1604) und Francisco Suárez (1548–1617). Die philosophische Reflexion im Bemühen, die Lebensferne der alten Scholastiker zu vermeiden, setzte an vielen praktischen Fragen an, die auf die Moralphilosophie und Anthropologie führten: gute Handlungen und Rechte von Heiden, Willensfreiheit, Existenz des Bösen in der Welt.

Neue Perspektiven kamen auch durch das spanische Weltreich in den Blick:

  • die Gleichheit aller Menschen vor Gott: Christen und Nicht-Christen, Barbaren und Zivilisierte; Naturrecht für alle; unverlierbare Menschenrechte;
  • Besitzrechte der Indios in den Kolonien;
  • kulturelle Differenzen der Indios, aufholbar durch Bildung; Begrenzung des kolonialen Patronats.[2]

Juristische Lehre

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Unter Anknüpfung an die Theologie Thomas von Aquins hat die spanische Spätscholastik eine Renaissance des Naturrechts eingeleitet und dadurch maßgeblich zur Entwicklung des modernen Völkerrechts beigetragen, das darauf der Protestant Hugo Grotius (besonders mit De jure belli ac pacis) zur vollen Entfaltung brachte. Im Zivilrecht ist der Einfluss der spanischen Spätscholastik in der Entwicklung einer Theorie des subjektiven Rechts zu spüren. Im Strafrecht hat die Spanische Spätscholastik zu einer Subjektivierung des Strafbegriffes beigetragen (Alfonso de Castro, Diego de Covarrubias y Leyva).

Ökonomische Ansätze

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Große Bedeutung kommt einigen Autoren der spanischen Spätscholastik bei der Begründung der klassischen Nationalökonomie zu, so unter anderem Martin de Azpilcueta, Tommaso de Vio (Tomasso Cajetan), Luis Saravía de la Calle, Juan de Lugo und Luis de Molina. Insbesondere Molinas De iustitia et iure und das daran angelehnte Wirken des Leonhardus Lessius bestimmten vornehmlich die zivilrechtlichen Lehren des Niederländers Grotius.[3]

Siehe auch

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Literatur

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  • Wim Decock: Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of the Ius Commune (ca. 1500-1650), Leiden-Boston 2013.
  • Marjorie Grice-Hutchinson: Early Economic Thought in Spain. 1177-1740, London 1978.
  • Paolo Grossi (Hrsg.): La seconda scolastica nella formazione del diritto privato moderno, Milano 1972.
  • Frank Grunert und Kurt Seelmann (Hrsg.): Die Ordnung der Praxis. Neue Studien zur Spanischen Spätscholastik, Tübingen 2001.
  • Heinrich Kipp: Moderne Probleme des Kriegsrechts in der Spätscholastik. Eine rechtsphilosophische Studie über die Voraussetzungen des Rechtes zum Kriege bei Vittoria und Suarez (= Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. H. 68). Schöningh, Paderborn 1935.
  • Harald Maihold: Strafe für fremde Schuld? Die Systematisierung des Strafbegriffs in der Spanischen Spätscholastik und Naturrechtslehre, Köln u. a. 2005.
  • Reyes Mate und Friedrich Niewöhner (Hrsg.): Spaniens Beitrag zum politischen Denken in Europa um 1600, Wiesbaden 1994
  • Günther Nufer: Über die Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker und ihre Ausstrahlung auf die Folgezeit, Diss. Freiburg im Breisgau 1969.
  • Antonio-Enrique Pérez Luño, La polémica sobre el Nuevo Mundo. Los clásicos españoles de la Filosofía del derecho, Madrid 1992 (Übersetzung: Die klassische spanische Natur-rechtslehre in 5 Jahrhunderten, Berlin 1994).
  • Kurt Seelmann: Die iberische Spätscholastik als historischer Wendeprozess In: Klaus E. Müller (Hrsg.): Historische Wendeprozesse – Ideen, die Geschichte machten, Freiburg u. a. 2003, S. 114ff.
  • Kurt Seelmann: Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne. Die Geburt des neuzeitlichen Naturrechts in der iberischen Spätscholastik, Baden-Baden 1997.
  • Hans Thieme: Natürliches Privatrecht und Spätscholastik. In: Savigny Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 70 (1953), S. 230ff.
  • Wilhelm Weber: Geld und Zins in der Spanischen Spätscholastik, Münster/W. 1962.
  • Alejandro Chafuen: Faith and Liberty: The Economic Thought of the Late Scholastics (Studies in Ethics and Economics), Lanham, Maryland/USA 2003.
  • Emil Kauder: A History of Marginal Utility Theory, Princeton, New Jersey/USA 1966.
  • Johannes Unterreitmeier: Der öffentlich-rechtliche Schmerzensgeldanspruch als Ausprägung eines allgemeinen, verfassungsrechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs. Eine Renaissance der scholastischen Restitutionslehre, Diss. München 2007.
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Einzelnachweise

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  1. IEF-Universidade de Coimbra: Conimbricenses.org | A Digital Encyclopedia of Coimbra Philosophy. Abgerufen am 4. September 2022 (amerikanisches Englisch).
  2. Salvador Castellote: Der Beitrag der Spanischen Spätscholastik zur Geschichte Europas. In: Markus Kremer (Hrsg.): Macht und Moral: politisches Denken im 17. und 18. Jahrhundert. W. Kohlhammer Verlag, 2007, ISBN 978-3-17-019695-7 (google.de [abgerufen am 4. September 2022]).
  3. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 3 Rnr. 1 f. (S. 27 f.).