Radikal (semitische Sprachen)

Konsonanten als Bestandteil der für die semitischen Sprachen grundlegenden Modellstruktur
(Weitergeleitet von Stammesmodifikation)

Ein Radikal, auf Deutsch auch Wurzelkonsonant genannt, bezeichnet in der Semitistik einen Konsonanten als Bestandteil der für die semitischen Sprachen grundlegenden Modellstruktur.

Der Wortaufbau semitischer Sprachen konstituiert sich durch eine Abfolge von drei Konsonanten. Eine Abfolge, die als Wurzel (Radikal) bezeichnet wird und die, die Grundbedeutung eines Wortes in sich führt. Um diese Wurzel ordnet sich ein Muster aus Vokalen, genauer aus Vokalen und Konsonanten an, das entweder Bedeutungsvarianten anzeigt oder der Flexion, etwa beim Verb zur Angabe von Zeit und Zahl, dient. Die weiteren Spezifizierungen eines Wortes erfolgen etwa über Kurz- oder Langvokale innerhalb der einzelnen Radikalen und über die Verwendung von Vor-, Zwischen- bzw. Nachsilben. Durch die Zusätze wird die Wortart (Verb, Adjektiv und Substantiv) sowie deren grammatikalische Klasse (Zeit, Zahl, Fall etc.) genau bestimmt.[1][2]

Arabische Sprache

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Im Arabischen liegt den meisten Wörtern eine dreiradikalige Wurzel zugrunde. Eine solche Wurzel kann aus allen Konsonanten bestehen, also allen Buchstaben des Alphabets, wobei das Alif mit seiner Grundbedeutung Hamza (nicht seiner sekundären vokalischen Bedeutung) steht. Die Wortbildung entsteht dadurch, dass bestimmte Präfixe, Infixe oder Suffixe hinzugefügt werden.

Beispiele

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Als klassisches Beispiel dient die Wurzel ك ت ب (von rechts nach links zu lesen), DMG k–t–b:

  • كتب / kataba – schreiben (Verb)
  • كتاب / kitāb – Buch
  • كاتب / kātib – Schreiber, Schreibender (Partizip Aktiv)
  • مكتوب / maktūb – Brief, Schriftstück (Partizip Passiv)
  • مكتب / maktab – Schreibtisch, Büro
  • مكتبة / maktaba – Bibliothek, Buchhandlung

Alle Ableitungen einer Wurzel bilden somit gewissermaßen eine Wortfamilie, innerhalb derer sich die Reihenfolge der Wurzelkonsonanten nie ändert.

In den meisten Fällen besteht die Wurzel aus drei Konsonanten, daneben gibt es auch Wurzeln mit vier, sogenannte „vierradikalige Wurzeln“.

Die Wurzelstruktur ist auch für die arabische Konjugation von großer Bedeutung, da die verschiedenen Verbformen (Verbstämme genannt) von ihr abgeleitet sind und stets dem gleichen Muster folgen. Die Verbstämme werden üblicherweise mit römischen Zahlen nummeriert. Neben den hier angeführten Stämmen I bis X existieren auch Stämme XI bis XV, die jedoch im modernen Arabisch noch mehr als schon im klassischen Arabisch außer Gebrauch sind. Die im Arabischen übliche Beispielwurzel ist ف ع ل / f–ʿ–l (von faʿala, „er machte“). Diese 3. Person männlich Singular Perfekt aktiv wird als Grundform verwendet.

Stamm Grundmodell Umschrift Merkmal Bedeutungsänderung
I فعل faʿala Grundform
II فعّل faʿʿala Verdoppelung des zweiten Radikals intensivierend, kausativ, denominativ, fast immer transitive Verben
III فاعل fāʿala Infix ā zwischen erstem und zweitem Radikal Einwirkung auf eine Person oder Sache, fast immer transitive Verben
IV أفعل afʿala Präfix a + Vokallosigkeit des ersten Radikals kausativ, denominativ und andere Bedeutungen, fast immer transitive Verben
V تفعّل tafaʿʿala Präfix ta + II. Stamm intransitive Formen zum II. Stamm
VI تفاعل tafāʿala Präfix ta + III. Stamm reziproke Formen zum III. Stamm, transitive und intransitive Verben
VII اِنفعل infaʿala Präfix in reflexiv, immer intransitiv
VIII اِفتعل iftaʿala Präfix i + Vokallosigkeit des ersten Radikals + Infix ta zwischen erstem und zweitem Radikal teils reziproke Formen, transitive und intransitive Verben
IX اِفعلّ ifʿalla Präfix i + Vokallosigkeit des ersten Radikals + Verdoppelung des dritten Radikals Eintreten eines Zustands, immer intransitiv
X استفعل istafʿala Präfix ista + Vokallosigkeit des ersten Radikals oft Bedeutung „um etwas bitten“ oder „etwas erwirken/befördern“, überwiegend transitive Verben

Anhand dieses Modells lassen sich auch von der Wurzel ك ت ب die verschiedenen Verbformen ableiten:

  • I. كتب / kataba – schreiben (eigentlich: er schrieb)
  • II. كتّب / kattaba – schreiben lassen
  • III. كاتب / kātaba – korrespondieren
  • IV. أكتب / aktaba – diktieren
  • V. تكتّب / takattabanicht gebräuchlich
  • VI. تكاتب / takātaba – einander schreiben
  • VII. اِنكتب / inkataba – sich einschreiben
  • VIII. اِكتتب / iktataba – abschreiben
  • IX. اِكتبّ / iktabbanicht gebräuchlich
  • X. اِستكتب / istaktaba – zu schreiben bitten

Wie zu sehen ist, haben die verschiedenen Verbformen unterschiedliche Bedeutungen, die jedoch mit dem Grundverb in enger Verbindung stehen. Eine Bedeutungsbeziehung zum Grundverb ist in anderen Fällen jedoch nicht immer erkennbar. Das Beispiel zeigt auch, dass anhand des Grundmodells theoretisch auch solche Verbformen abgeleitet werden können, die nicht in Gebrauch sind.

Hebräische Sprache

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Auch in der althebräischen Grammatik liegt dem Großteil der Wörter eine dreiradikalige Wurzel zugrunde, die aus sämtlichen Buchstaben des hebräischen Alphabets gebildet werden kann. Das Konjugationsmodell der hebräischen Verben wurde von hebräischen Grammatikern im Frühmittelalter aus der arabischen Grammatik übernommen. Mit sieben Stämmen (hebr. binjaním, wörtl. „Gebäuden“) ist es etwas einfacher aufgebaut als sein Vorbild, folgt aber denselben Mustern. Auch im Hebräischen wird die 3. Person männlich Singular Perfekt aktiv als Grundform zur Ableitung der übrigen Verbformen verwendet.

Grundmodell Aussprache Bedeutungsänderung
פעל, קל pa'al, qal Grundform
נפעל nif'al meist Passivform von pa'al
פעל pi'el oft intensivierend, fast immer transitive Verben
פועל pu'al Passivform von pi'el
הפעיל hif'il kausativ
הפעל hof'al Passivform von hif'il
התפעל hitpa'el reflexive Formen

Beispiele

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Als Beispiel für die Ableitungsmöglichkeiten einer hebräischen Wurzel sei hier ebenfalls der Begriff für schreiben, hebräisch כתב (kataw) angegeben, mit verschiedenen verbalen und nominalen Ableitungen:

  • katáw (pa'al): er schrieb (Infinitiv: lichtów), davon abgeleitet:
    • michtáw: Brief; ketówet: Anschrift, Adresse
  • nichtáw (nif'al): er (es) wurde geschrieben (Infinitiv: lehikatéw)
  • kitéw (pi'el): er beschriftete (Infinitiv: lechatéw), davon abgeleitet:
    • kitúw: Beschriftung
  • hichtíw (hif'il): „er ließ schreiben“, d. h., „er diktierte“ (Infinitiv: lehachtíw), davon abgeleitet:
    • hachtawá: Diktat
  • hitkatéw (hitpa'el): er korrespondierte (Infinitiv: lehitkatéw), davon abgeleitet:
    • hitkatwút: Korrespondenz

Theoretische Betrachtungen

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Das hebräische Alphabet konstituiert sich, aus einem aus 22 Buchstaben bestehenden Alphabet. Die Anzahl gilt sowohl für das antike Althebräisch als auch für das moderne Hebräisch sowie dem biblischen Hebräischen und talmudischen Aramäisch. Im hebräischen Alphabet, mit den insgesamt 22 Buchstaben, fungieren die meisten als Konsonanten. Aber nicht alle der Buchstaben sind reine Konsonanten im klassischen Sinn, da einige auch eine besondere Funktion als Vokale in bestimmten Kontexten haben.[3] Aus morphologischer Betrachtung, ergibt sich die (rein rechnerische) Anzahl der möglichen Kombinationen mit „drei Konsonanten“ aus den 22 Buchstaben durch die Berechnung über die Permutation von drei Buchstaben, wobei jeder der drei Buchstaben an einer der drei Positionen der Wurzel stehen kann.[4] Das bedeutet, dass für jede Position in der Wurzel einer der 22 Buchstaben ausgewählt werden kann.[5] Die Berechnung (Permutation)[6]

lautet also:

22 × 22 × 22 = 223 = 10.648

Im Ergebnis hieße das, dass es theoretisch 10.648 verschiedene Kombinationen von „drei Konsonanten“ aus den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets gäbe, bei denen Wiederholungen der Konsonanten möglich sind. Falls jedoch keine Wiederholung der „Konsonanten“ erlaubt ist, also nur einzigartige Konsonanten für jede Wurzel, dann müssten die Kombinationen ohne Wiederholung berechnet werden. Die Formel für diese Berechnung lautet:

22 × 21 × 20 = 9.240 In diesem Fall gibt es 9.240 mögliche Kombinationen von „drei verschiedenen Konsonanten“, wenn keine Wiederholung erlaubt ist.

  • mit Wiederholung der Konsonanten: 10.648 Kombinationen
  • ohne Wiederholung der Konsonanten: 9.240 Kombinationen

Die genaue Zahl der Wurzelradikale im Alt- und Neuhebräischen ist schwer festzulegen, da sie sowohl von der Analyse der Sprachgeschichte als auch von der lexikalischen und grammatikalischen Entwicklung abhängt.[7] Im biblischen Hebräisch, dem Althebräischen sind die Wurzeln in der Regel dreikonsonantig, obwohl es auch einige zweikonsonantige und vierkonsonantige Wurzeln gibt. Ferner sind Buchstabendoppelungen möglich. Die genaue Zahl variiert je nach Quelle und Wörterbuch, aber allgemeine Schätzungen nach sind etwa 1.500 bis 2.000 Wurzeln im biblischen Hebräisch gebräuchlich.[8][9]

Das Moderne Hebräisch hat sich aus dem biblischen Hebräisch entwickelt und enthält viele neue Wörter, die oft aus europäischen Sprachen entlehnt sind. Dennoch bleibt die Struktur des Hebräischen mit seinen Wurzeln und der Wortbildung durch Präfixe, Suffixe und Vokale weitgehend erhalten. Die Zahl der Wurzeln im Neuhebräischen liegt ungefähr bei 2.000 bis 2.500.

Literatur

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  • Burkhart Kienast: Historische semitische Sprachwissenschaft. Otto Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2001, ISBN 3-447-04359-8.
  • Eulalia Vernet i Pons: Die Wurzelstruktur im Semitischen. Überlegungen zur Rekonstruktion des Wurzelvokals. In: Leonid E. Kogan, Natalia Koslova, Sergey Loesov, Serguei Tishchenko (Hrsg.): Proceedings of the 53th Rencontre Assyriologique Internationale: Vol. 1: Language in the Ancient Near East (2 parts). University Park, (USA) Penn State. University Press, 2010, S. 267–284. doi:10.1515/9781575066394-009

Einzelnachweise

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  1. Hans-Friedemann Richter: Zeit in althebräischer Sprache und Denkweise. Freie Universität Berlin, auf inst.at
  2. Viktor Golinets: Semitische Sprachen. Deutsche Bibelgesellschaft. Erstellt: August 2016, auf die-bibel.de
  3. Jacobus A Naudé: The consonantal root in Semitic Languages. Journal of Northwest Semitic Languages, 29/2, (2003), S. 19–32, auf researchgate.net
  4. Crawford Howell Toy, Eduard König: Root. Jewish Encyclopedia, auf jewishencyclopedia.com
  5. Jonathan McTaggart, Nicole Klar: Sprachbeschreibung Hebräisch. Stiftung Mercator, proDaZ, November 2015, auf uni-due.de
  6. Die Anzahl der Permutationen (P) und Kombinationen (C) hängen direkt zusammen: P (n,k) = C (n,k) * k! Das bedeutet: Die Anzahl der Permutationen ist immer k!-mal größer, als die der Kombinationen. Für k=3 bedeutet das: P(n,3) = C(n,3) * 3!
  7. Hebrew list of roots. A complete list of Hebrew roots documented in the PESHAT database (PROTOTYPE). Universität Hamburg, auf peshat.org
  8. Rev. Francis Brown, Samuel Rolles Driver, Charles Augustus Briggs: A Hebrew and English Lexicon of the Old Testament. Clarendon Press, Oxford 1906, ISBN 1-56563-206-0, auf en.wikisource.org
  9. Paul Karl Moeller: Biblical Hebrew Considered as Independent of 3-Consonant Root Structure. paulkarlmoeller.wordpress.com