Steingerät

von Menschen oder ihren homininen Vorfahren artifiziell modifizierte Steine
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Als Steingerät, Steinwerkzeug oder Steinartefakt werden in der Archäologie alle von Menschen oder ihren homininen Vorfahren artifiziell modifizierten Steine bezeichnet. Wegen ihrer relativen Beständigkeit gegenüber Verwitterung im Boden sind Steinerzeugnisse (Steinartefakte) wesentliche archäologische Quellen zum Beleg frühester menschlicher Aktivitäten. Im Verlauf der Stammesgeschichte des Menschen wurde die Anmutung der Geräte verfeinert und die Herstellungstechniken wurden komplexer.

Der Faustkeil, ein altsteinzeitliches Werkzeug

Die Analyse von Steinartefakten ist Bestandteil der prähistorischen Archäologie.[1] Das am häufigsten verwendete Material der europäischen Altsteinzeit war der Feuerstein (Flintknollen aus Kreideformationen, Hornstein), daneben wurden auch Kieselschiefer, Quarzite und Rhyolithe sowie reiner, makrokristalliner Quarz verwendet. Steingeräte-Traditionen bilden seit der ersten, 1869 von Gabriel de Mortillet erstellten Nomenklatur die Grundlage zur Klassifizierung der älteren Urgeschichte.[2] Anhand von Steingeräten definierte archäologische Kulturen umfassen in Europa das Paläolithikum und das Mesolithikum, in Afrika das Early Stone Age, das Middle Stone Age und das Later Stone Age. Aus der Form und der Herstellungsweise kann teilweise auch die Funktion von Steingeräten erschlossen werden und damit die Wirtschaftsweise ihrer Benutzer.

Begriffliche Abgrenzung

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Im archäologischen Sprachgebrauch sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Steingerät, Steinwerkzeug und Steinartefakt werden als zusammengesetzte Begriffe synonym gebraucht, hier stehen sie als Oberbegriff für alle Steine, die von Menschen modifiziert und als Werkzeug gebraucht wurden. Im Gegensatz dazu gibt es die Bezeichnung Gerät oder Werkzeug in der Terminologie geschlagener Steinartefakte (insbesondere aus Feuerstein). Hier steht Gerät oder Werkzeug für retuschierte Grundformen und damit im Gegensatz zu den unmodifizierten Grundformen Abschlag und Kern.

Steingeräte der Altsteinzeit

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Steinwerkzeug (Geröllgerät) vom Oldowan-Typ
 
Feuerstein-Faustkeil (Fundort Winchester)

Während des Early Stone Age, dessen Beginn an die ältesten Nachweise von Steingerät in Afrika gekoppelt ist, wurden vor allem geringfügig bearbeitete, abgerundete Flussgerölle als Rohstoff zur Herstellung einfacher Werkzeuge genutzt; diese frühen Steingeräte werden als Geröllgeräte bezeichnet. Die ältesten, als gesichert geltenden Geröllgeräte (= Steingeräte des Oldowan) stammen von der Fundstelle Gona in der Nähe von Hadar in Äthiopien. Sie sind 2,9 bis 2,5 Millionen Jahre alt.[3][4] Ähnlich alt sind Funde aus der Ausgrabungsstätte Bokol Dora 1 (BD 1) in der Region Afar im Nordosten Äthiopiens.[5] Mit einem Alter von 2,34 Millionen Jahren sind Steingeräte-Funde vom westlichen Ufer des Turkanasees in Kenia nahezu gleich alt.[6]

In der Fundstätte Lomekwi 3 am Turkana-See wurden ab 2011 Steingeräte vom Oldowan-Typ und Reste von der Herstellung solcher Werkzeuge gefunden. Während die meisten Werkzeuge an der Oberfläche entdeckt wurden,[7] stammen 19 Objekte mit nicht zweifelsfrei zu klärendem Artefaktcharakter aus tieferen Sedimentschichten und sind damit geologisch datierbar. Ihr Alter beträgt laut einer in Nature veröffentlichten Studie 3,3 Millionen Jahre.[8] Sollte diese Datierung korrekt sein,[9] wären es die ältesten bislang bekannten Steinwerkzeuge,[10] und zwar aus einer Epoche, aus der noch keine Fossilien der Gattung Homo bekannt sind, wohl aber Funde von Kenyanthropus; als ältester Beleg für die Gattung Homo gilt das 2,80 bis 2,75 Millionen Jahre alte Fossil LD 350-1.[11]

Im Gebiet der Gona benachbarten Fundstelle Bouri wurden 2,5 Millionen Jahre alte fossile Knochen entdeckt, die Schnittspuren von Steinwerkzeugen aufweisen.[12]

Rund 800.000 Jahre älter sind parallel verlaufende Einkerbungen in zwei Wildtierknochen von der äthiopischen Fundstelle Dikika, südlich von Hadar, die ebenfalls als Schnittspuren von Steinwerkzeugen gedeutet wurden. Das Alter dieser Fossilien wurde mit Hilfe der 39Ar-40Ar-Methode auf 3,42 bis 3,24 Millionen Jahre datiert.[13] Aus dieser Epoche sind dort ausschließlich Funde von Australopithecus afarensis bekannt, darunter auch das bisher am besten erhaltene Fossil von Australopithecus afarensis, dessen wissenschaftliche Bezeichnung DIK 1-1 lautet; auch sein Alter wurde auf ungefähr 3,3 Millionen Jahre datiert. Die Deutung dieser Einkerbungen ist allerdings umstritten.[14] So wurden in den Fundschichten von Australopithecus afarensis noch niemals Steinwerkzeuge oder Abschläge aus der Herstellung von Steingerät gefunden; jedoch wurden am Fundort der beiden Wildtierknochen zahlreiche fossile Überreste von Krokodilen gefunden, deren Bissspuren sehr ähnliche Beschädigungen an Knochen hervorrufen können wie Steinwerkzeuge.

Grundzüge der Entwicklungsgeschichte der Steingeräte

Sie benennen zugleich die wichtigsten Perioden:

Steingeräte der Jungsteinzeit

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Ein großer Einschnitt in der Technologie ist der Übergang von geschlagenen Steingeräten (z. B. Faustkeil) zu final geschliffenen Steingeräten (Steinbeile). Geschliffener Stein wurde im Jahre 1865 von John Lubbock als wichtigstes Kennzeichen der Jungsteinzeit (Neolithikum) definiert.[15]

Steingeräte während der Metallzeiten

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Auch während der Bronzezeit und Eisenzeit in Europa blieben Steingeräte in Gebrauch, zum Beispiel in Gestalt von Pfeilspitzen oder Feuerzeugen (bestehend aus Feuerstein und Schwefelkiesknolle).

Jüngere Geschichte

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Schuhleistenkeil aus dem Fürstengrab von Leubingen (ca. 4000 vor heute)

Steingeräte sind regional heute noch von Bedeutung, beispielsweise in Form von Mahlgerätschaften (Mahlstein, Mörser) oder in der Metallverarbeitung. Beim „Kaltschmieden“ werden in Westafrika Steinkugeln und Steinhämmer zum Bearbeiten von Metall benutzt.

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Joachim Hahn: Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Einführung in die Artefaktmorphologie. Archaeologica Venatoria 10, 1991.
  2. Gabriel de Mortillet: Essai d’une classification des cavernes et des stations sous abri fondée surles produits de l’industrie humaine. In: Materiaux pour l’histoire de l’Homme. Band 5, Paris 1869, S. 172–179.
  3. Sileshi Semaw et al.: 2.5-million-year-old stone tools from Gona, Ethiopia. In: Nature. Band 385, 1997, S. 333–336, doi:10.1038/385333a0
  4. Thomas W. Plummer et al.: Expanded geographic distribution and dietary strategies of the earliest Oldowan hominins and Paranthropus. In: Science. Band 379, Nr. 6632, 2023, S. 561–566,
    2,9 Millionen Jahre alte Werkzeuge entdeckt. Auf: scinexx.de vom 10. Februar 2023.
  5. David R. Braun, Vera Aldeias, Will Archer et al.: Earliest known Oldowan artifacts at >2.58 Ma from Ledi-Geraru, Ethiopia, highlight early technological diversity. In: PNAS. Band 116, Nr. 24, 2019, S. 11712–11717, doi:10.1073/pnas.1820177116
    Menschliche Vorfahren haben Steinwerkzeuge mehrmals erfunden. Auf: mpg.de vom 3. Juni 2019
  6. Hélène Roche et al.: Early hominid stone tool production and technical skill 2.34 Myr ago in West Turkana, Kenya. In: Nature. Band 399, 1999, S. 57–60, doi:10.1038/19959
  7. Steineklopfende Flachgesichter, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Mai 2015, abgerufen am 27. Mai 2015
  8. Sonia Harmand et al.: 3.3-million-year-old stone tools from Lomekwi 3, West Turkana, Kenya. In: Nature. Band 521, 2015, S. 310–315, doi:10.1038/nature14464
  9. Kritik an der Zuverlässigkeit der Datierung äußerte u. a. Tim White, siehe Für diese Theorie fehlen noch Steine. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 116 vom 21. Mai 2015, S. 9
  10. Scientists discover world's oldest stone tools. Auf: eurekalert.org vom 20. Mai 2015
  11. World’s oldest stone tools discovered in Kenya. Auf: sciencemag.org vom 14. April 2015.
  12. Jean de Heinzelin, J. Desmond Clark, Tim White et al.: Environment and Behavior of 2.5-Million-Year-Old Bouri Hominids. In: Science. Band 284, Nr. 5414, 1999, S. 625–629, doi:10.1126/science.284.5414.625.
  13. Shannon P. McPherron et al.: Evidence for stone-tool-assisted consumption of animal tissues before 3.39 million years ago at Dikika. In: Nature. Band 466, 2010, S. 857–860, doi:10.1038/nature09248.
  14. Manuel Domínguez-Rodrigo et al.: Configurational approach to identifying the earliest hominin butchers. In: PNAS. Band 107, Nr. 49, 2010, S. 20929–20934, doi:10.1073/pnas.1013711107.
  15. John Lubbock: Prehistoric Times, as Illustrated by Ancient Remains and the Manners and Customs of Modern Savages. Williams and Norgate, London 1865 (deutsche Ausgabe: Die vorgeschichtliche Zeit erläutert durch die Überreste des Alterthums und die Sitten und Gebräuche der jetzigen Wilden. Costenoble, Jena 1874, 2 Bände).