Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung

Die Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung (TJVU) wurde 1965 begonnen und war die erste groß angelegte kriminologische Längsschnittuntersuchung in Deutschland. Sie wurde von Hans Göppinger initiiert und bis 2001 nachuntersucht. Ihre Ergebnisse sind der Entwicklungskriminologie zuzuordnen. Neben der quantitativen (statistischen) Auswertung erfolgte unter maßgeblicher Mitwirkung von Michael Bock auch eine qualitative Auswertung der TJVU, was zur Methode der idealtypisch-vergleichenden Einzelfallanalyse (MIVEA) führte.

Forschungsansatz

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In den 1960er Jahren wurde die Dominanz der Psychiatrie in der deutschen Kriminologie heftig kritisiert. Auch Hans Göppinger, selbst Psychiater, hielt die psychiatrischen Erklärungen kriminellen Verhaltens nicht mehr für hinreichend und entschied sich für einen mehrdimensionalen Forschungsansatz. Deshalb waren an der TJVU Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen beteiligt: Soziologie, Psychologie, Sozialarbeit, Medizin, Jura.

Es wurde somit nicht einzelnen kriminologischen Hypothesen nachgegangen, sondern alle Facetten der Lebensgeschichte der Probanden beleuchtet. Das ergab eine detaillierte Beschreibung des Handelns von Tätern in ihren sozialen Bezügen.

Die mehrdimensionale Herangehensweise brachte Göppinger und seinem Team den Vorwurf der Theorielosigkeit ein. Doch die Bestätigung oder die Begründung einer Theorie war erklärtermaßen nicht das Ziel der TJVU. Es ging um den Gewinn von kriminologischem Erfahrungswissen.

Das Setting der Untersuchung

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Die TJVU besteht aus zwei Stichproben, die nach dem Zufallsprinzip gezogen wurden. Eine sogenannte Häftlingsgruppe (H-Probanden) bestand aus 200 männlichen Strafgefangenen der damaligen Landesstrafanstalt Rottenburg am Neckar (Landgerichtsbezirk Tübingen), die zwischen 20 und 30 Jahren alt waren. Die Vergleichsgruppe (V-Probanden) wurde aus 200 entsprechend jungen Männern gebildet, die im Einzugsgebiet der Strafanstalt Rottenburg lebten. Bei diesen Männern handelte es sich um eine repräsentative Gruppe von Nicht-Inhaftierten, wobei manche auch vorbestraft waren.

Untersuchungsergebnis

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Das herausragende Untersuchungsergebnis der TJVU besteht darin, dass sich die Mitglieder der Häftlingsgruppe und der Vergleichsgruppe in Bereichen wie Herkunft, Sozialisationsbedingungen, Bildung und sozialer Status nicht signifikant unterschieden. Im Umgang mit den vorgegebenen sozialen Bedingungen differierten die Handlungen von H-Probanden und V-Probanden jedoch erheblich.

Nachuntersuchungen

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Unter Leitung von Hans-Jürgen Kerner wurde die TJVU in mehreren Wellen nachuntersucht – zuletzt 1995. Die Tübinger Kriminologen Wolfgang Stelly und Jürgen Thomas arbeiteten bis 2001 noch einmal die Lebensgeschichten aller TJVU-Probanden auf. Somit wurden deren Lebensläufe bis in die Mitte des fünften Lebensjahrzehnts rekonstruiert. Im Ergebnis wurden die Annahmen der Theorie der vier Bindungen und des Wendepunkt-Ansatzes von Sampson und Laub bestätigt.

Literatur

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