Theodor Scheidl

österreichischer Bariton, Hochspringer, Weitspringer und Diskuswerfer

Theodor Scheidl (* 3. August 1880 in Wien; † 22. April 1959 in Tübingen) war ein österreichischer Bariton und Sportler.

Theodor Scheidl um 1925

Nach dem Besuch der Volks-, Bürger- und Handelsschule in Wien und einer Ausbildung zum Drogisten arbeitete Scheidl bis 1910 als Hauptkassier der österreichischen Medizinal-Drogen-AG.

Er war ein populäres Mitglied des Ersten Wiener-Amateur-Schwimmklubs, I. W.A.S.C., hielt einige Jahre den österreichischen Rekord über 68 Meter Brustschwimmen[1] und nahm an zahlreichen Schwimm-, Tauch- und Kunstspring-Wettbewerben teil, zuweilen unter dem Pseudonym Petit, ein Gegensatz zu seiner Körpergröße von knapp 2 Metern. Daneben betätigte sich der talentierte Allroundathlet[2] in der Leichtathletik als Hochspringer, Weitspringer und Diskuswerfer. Bei den Olympischen Zwischenspielen 1906 in Athen kam er im Fünfkampf auf den neunten und im Standweitsprung auf den 13. Platz. Seine Platzierungen im Hochsprung und Diskuswurf (griechischer Stil) sind nicht überliefert, im Standhochsprung wurde er disqualifiziert.

Gleichzeitig studierte er von 1906 bis 1910 privat Gesang bei dem Bariton Alois Grienauer (1850-1937). Sein Debüt als Opernsänger gab er 1910 an der Wiener Volksoper als Heerrufer in Lohengrin. Es folgten Engagements von 1910 bis 1912 am Städtischen Theater Olmütz, 1912/13 am Stadttheater Augsburg und von 1913 bis 1921 am Württembergischen Hoftheater in Stuttgart, ab Herbst 1914 unterbrochen durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Nach einem Jahr wurde Scheidl aufgrund einer Knieverletzung dienstuntauglich und konnte von der Festung Franzensfeste in Südtirol nach Stuttgart zurückkehren. Von 1921 bis 1933 war er Mitglied der Berliner Staatsoper, 1933 bis 1937 wirkte er hauptsächlich am Neuen Deutschen Theater Prag. Hier sang er u. a. in den Erstaufführungen von Boris Godunow (1934, Dirigent: Georg Széll) und Arabella (1937, Dirigent: Karl Rankl).[3] 1937 zog er sich von der Opernbühne zurück, gab aber noch Gastspiele (Stuttgart 1938, Köln 1939) und Liederabende und trat im Rundfunk auf.[4]

1914 debütierte er bei den Bayreuther Festspielen als Klingsor in Parsifal und Donner im Rheingold. 1924, 1925, 1928 und 1930 sang er dort den Amfortas, 1927 den Kurwenal in Tristan und Isolde.[5] Die Partie des Telramund in Lohengrin sang er höchst erfolgreich 1926 bei den Festspielen von Zoppot. Gastspiele in europäischen Musikzentren wie Amsterdam (1933), Brüssel, Leningrad (Boris Godunow), London, Mailand, Paris (1936) und Stockholm (1929, 1930) folgten. In seiner Heimatstadt Wien gab Scheidl zwischen 1910 und 1943 mehrere Liederabende, wirkte aber nach seinem Debüt 1910 lediglich in drei Opernaufführungen mit: im März 1924 an der Volksoper (in Tosca und Hoffmanns Erzählungen) und im Januar 1936 an der Staatsoper (Nélusco in L’Africaine).

Am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 2.656.461).[6][7]

Im Juli 1955 sang er anlässlich seines 75. Geburtstages auf Einladung des Staatstheaters Stuttgart im Großen Haus nochmals die Partie des Scarpia in Tosca.[8]

Scheidl war bereits in Stuttgart pädagogisch tätig, sein bekanntester Schüler war dort Wilhelm Strienz. Von 1937 bis 1944 war Scheidl Gesangslehrer an der Staatlichen Akademie der Tonkunst in München, 1939 wurde er zum Professor ernannt. 1944 wurde das Ehepaar Scheidl von München nach Dießen am Ammersee evakuiert.[9] Ab 1945 arbeitete als Scheidl als Gesangspädagoge in Tübingen, wo sein Schwager Hermann Haußer lange Jahre als Oberbürgermeister tätig gewesen war.

Scheidl war ab 1915 mit der Altistin Emma (Emaria) Haußer (* 7. August 1881 Bissingen) verheiratet, das Paar hatte eine Tochter, Dorothea (* 1. April 1923 Berlin), sie wurde Konzertsängerin.

Würdigung

Bearbeiten

Unsere schnelllebige Zeit schien vergessen zu haben, in welchem Ausmaß die Kunst eines Theodor Scheidl an der Prägung des modernen Opernstils beteiligt war. Sein persönlicher künstlerischer Einfluss, vor allem der seiner Berliner Jahre, ist kein geringer gewesen. Die Maßstäbe, die er damals gesetzt hat, haben heute noch ihre Gültigkeit. Er war auf der Opernbühne stets eine in Ausdruck und Darstellung unmittelbar hinreißende Erscheinung. Schablone und eine nicht überzeugend wirkende künstlerische Aussage waren ihm fremd. Seine von schauspielerischer Intelligenz und einer gewaltigen Stimme getragenen Bühnengestalten entbehrten niemals den sie umgebenden Nimbus einer großen Persönlichkeit.
Stefan Zadejan, Linz: Theodor Scheidl. Rundfunkvortrag in der Reihe Tondokumente der Vergangenheit, abgedruckt in: Stimmen die um die Welt gingen, 5/1984, S. 4

Repertoire

Bearbeiten

Scheidls Repertoire umfasste etwa 100 Rollen. Von seinen großen Partien außerhalb des Wagner-Repertoires sind zu nennen: Jago in Verdis Otello, Alfio in Cavalleria rusticana, Francesco in Mona Lisa, die Titelhelden in Hans Heiling und in Schwanda, der Dudelsackpfeifer sowie Partien in Opern von Richard Strauss. Sehr gelobt wurde auch seine Darstellung des Boris Godunow.[10]

Ur- und Erstaufführungen

 
Schallplatte von Theodor Scheidl (Berlin 1924)

Tondokumente

Bearbeiten

Scheidl nahm etwa 130 Seiten für die Deutsche Grammophon (Auslandslabel Polydor) auf, die ersten Titel 1920 in Stuttgart, den Rest in den Jahren 1922 bis 1930 in Berlin: Arien und Szenen von Wagner, Verdi und Puccini, Balladen von Carl Loewe, Lieder von Robert Schumann, Franz Schubert und Franz Liszt, dazu einige Wienerlieder. Neben dem Standardrepertoire existieren auch Ausschnitte aus Das Nachtlager in Granada, Zazà, Boris Godunow, Intermezzo, Hérodiade und Schwanda, der Dudelsackpfeifer. Für das Label Parlophon nahm Scheidl 1924 Wotans Abschied aus der Walküre und Szenen des Jochanaan aus Salome auf.

Wiederveröffentlichungen

LP:

  • Amfortas Klage aus Parsifal. In: Erinnerungen an Bayreuth. Deutsche Grammophon/Heliodor historisch 2700703 (Hamburg 1966)
  • Theodor Scheidl. Lebendige Vergangenheit / Preiser Records LV 56 (Wien 1979)

CD:

  • Four famous German baritones: Scheidl, Schipper, Bohnen, Rode. Preiser Records 89967 (Wien 1997)
  • Theodor Scheidl. Preiser Records 89156 (Wien 1999)

Literatur

Bearbeiten
  • Eintrag Scheidl in: Kürschners Deutscher Musiker-Kalender 1954. de Gruyter, Berlin 1954, Spalte 1128
  • Stefan Zadejan: Theodor Scheidl <Biografie> / Günter Walter: Theodor Scheidl: Discografie. In: Stimmen die um die Welt gingen. Heft Nr. 5, September 1984. Walter, Münster 1984, S. 1–22
  • Eintrag Scheidl in: K. J. Kutsch / Leo Riemens / Hansjörg Rost: Großes Sängerlexikon. Vierte, erweiterte und aktualisierte Auflage. K. G. Saur, München 2003. ISBN 3-598-11598-9 (7 Bände). S. 4187/88
  • Günther Grünsteudel: Theodor Scheidl. In: Augsburger Stadtlexikon. Wißner-Verlag, Augsburg 2010.
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Allgemeine Sport-Zeitung von 14. April 1912, S. 428
  2. Illustriertes österreichisches Sportblatt vom 24. Februar 1912, S. 10
  3. Tomáš Vrbka: Státní opera Praha. Historie divadla v obrazech a datech / Die Staatsoper Prag – die Theatergeschichte in Bildern und Daten. Opera 1888–2003. Slovart, Prag 2004, ISBN 80-239-2831-7
  4. letzter nachgewiesener Rundfunkauftritt: Süddeutscher Rundfunk, 2. Juli 1952 siehe: Ettlinger Zeitung vom 27. Juni 1952, S. 5
  5. http://www.wagnermania.com/bayreuth/
  6. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/37031741
  7. Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, Kiel 2009, 2. Auflage. S. 6468
  8. Kürschners biographisches Theater-Handbuch. de Gruyter, Berlin 1956, S. 639
  9. List of persecutees 2.1.1.1. der Gemeinde Diessen vom 1. August 1946 / Arolsen archives DocID: 69993191
  10. K. J. Kutsch / Leo Riemens / Hansjörg Rost: Großes Sängerlexikon. Vierte Auflage. K. G. Saur, München 2003. Spalte 4188