Tumortherapiefelder
Tumortherapiefelder (TTFields) sind eine Behandlungsform bei einer Form des malignen Hirntumors (Glioblastom) und beim kleinzelligen Bronchialkarzinom. Dabei werden schwache elektromagnetische Wechselfelder im Langwellenbereich über äußere Elektroden auf den erkrankten Körperbereich gerichtet. So soll das Wachstum krebsartiger Tumoren gehemmt werden.[1][2]
Prinzip
BearbeitenTumortherapiefelder sind elektrische Wechselfelder mit intermediärer Frequenz im Kilohertzbereich (50–200 kHz) und niedriger Intensität (1–3 V/cm). Sie werden mittels elektrisch isolierter Transducer-Arrays (sogenannte Keramik-Gelpads) verabreicht. Dazu wird der Kopf kahl rasiert. Der mützenartige Applikator und ein Akkupack werden kontinuierlich getragen. Dabei kommt es zu keinem direkten Stromdurchfluss im Gewebe, sondern zur Oszillation elektrisch geladener Moleküle im Körperinneren. Mit dieser Frequenz und Intensität können TTFields weder Nerven oder Muskeln stimulieren, noch führen sie zu einer nennenswerten Erhitzung des Tumors oder des umliegenden Gewebes.
Der Wirkmechanismus soll auf einer Störung des Zellteilung beruhen. Die Tumortherapiefelder sollen den Aufbau der Mikrotubuli des Spindel-Apparates während der Metaphase (Polymerisierung) unterbrechen und zu einer dielektrophoretischen Dislokation intrazellulärer Makromoleküle und Organellen während der Zytokinese führen.[3] Diese Prozesse sollen zur physikalischen Unterbrechung der Zellmembran und zum programmierten Zelltod (Apoptose) führen.
Diese Wirkmechanismen werden derzeit noch im Tiermodell erforscht. In mehreren Arbeiten wurde die Unterbrechung der Krebszellteilung bis hin zum kompletten Prozessstopp und ebenso die vollständige Zerstörung der sich teilenden Krebszellen postuliert.[4][5]
Anwendung beim Glioblastom
BearbeitenAn Menschen wurden bisher nur beim Glioblastom größere randomisierte Studien durchgeführt (EF-11 mit n=237 und EF-14 mit n=695). EF-14 ergab für die zusätzliche Erstlinientherapie mit TTFields ein um 4,9 Monate verlängertes Überleben,[6] für die Rezidivtherapie nicht. Die Studie war allerdings nicht verblindet.[7] Ein Expertengremium auf dem ASCO-Kongress 2015 hat daraufhin die Einführung empfohlen. Die Kosten liegen bei ca. 20.000 USD/Monat.[8] Ein von der israelischen Firma Novocure vermarktetes System ist mittlerweile in mehreren Ländern, darunter die USA, EU, Schweiz, Israel und Japan für die Erst- und Rezidivbehandlung zugelassen.[9]
Metaanalysen zu den bislang publizierten Primärstudien liegen bislang nicht vor.
Andere Tumorarten
BearbeitenNachdem TTFields von der FDA zur Behandlung eines rezidivierenden und neudiagnostizerten Glioblastoms zugelassen wurde, laufen derzeit weitere Studien mit anderen Tumorformen. Zu nennen sind hier Phase-III-Studien zum Lungenkarzinom, Ovarialkarzinom, Pankreaskarzinom und zu Hirnmetastasen.[10] Ebenfalls bereits von der FDA zugelassen ist die Therapie mit TTFields beim Mesotheliom, nachdem eine in "the Lancet Oncology" publizierte Einzelarm Studie einen Überlebensvorteil im Vergleich mit historischen Daten zeigen konnte. Zudem traten keine erhöhten toxischen Nebenwirkungen auf.[11]
Risiken
BearbeitenAls Nebenwirkungen wurden bisher nur örtliche Reizungen der Kopfhaut berichtet.[7] Tumortherapiefelder sind derzeit bei schwangeren Patientinnen oder bei manchen Patienten mit Begleiterkrankungen noch kontraindiziert.[12]
Die Akzeptanz der Behandlungsmethode ist bei Patienten vergleichsweise gering. Als Gründe werden die langfristige Entfernung des Kopfhaares und die Notwendigkeit des Mitführens des Gerätes genannt.[13]
Kostenübernahme in Deutschland
BearbeitenAm 20. März 2020 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Methodenbewertung von Tumortherapiefeldern (TTFields) für Patienten mit einem neu diagnostizierten Glioblastom abgeschlossen. Mit dem Beschluss des G-BA wurden die Tumortherapiefelder als Behandlungsmethode in die Richtlinie „Methoden vertragsärztlicher Versorgung“ (MVV-RL) aufgenommen und kann ab Inkrafttreten der Richtlinie zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verschrieben werden.[14] Privatversicherungen bezahlen in der Regel solche Innovationen entsprechend den jeweiligen Vertragsbedingungen (vgl. Schulmedizinklausel).
Kostenübernahme in der Schweiz
BearbeitenIm Dezember 2020 hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die zuständige eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK) beschlossen, die Therapie mit Tumortherapiefeldern (TTFields) per 1. April 2021 in die Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) mit aufzunehmen. Kostenerstattung durch die obligatorische Krankenversicherung (KVG) hat gemäß MiGeL in den folgenden Fällen zu erfolgen. Mindestens 18 Jahre alte Patientin oder Patient mit neu diagnostiziertem Glioblastom, Karnofsky Performance Index (KPS) von mind. 70, Therapiebeginn 4–7 Wochen nach Radiochemotherapie, nur in Kombination mit Temozolomid-Erhaltungstherapie und keine Tumorprogression nach der adjuvanten Radiochemotherapie. Vergütungsstopp sobald Tumorprogression und keine Vergütung beim Einsatz bei Rezidiv-Glioblastom. Zusätzlich hat nach 3 Monaten eine Beurteilung der Therapie-Compliance zu erfolgen. Diese sollte mind. 18 Stunden pro Tag betragen. Die Verschreibung erfolgt durch Fachärztinnen und Fachärzte für medizinische Onkologie. Erstinstruktion und Sicherstellung der Behandlung, inkl. Compliance Kontrolle, erfolgt durch den Anbieter Novocure. Maximal vergütete Behandlungsdauer von 2 Jahren.[15]
Literatur
Bearbeiten- Martin J. B. Taphoorn, Linda Dirven, Andrew A. Kanner u. a.: Influence of Treatment With Tumor-Treating Fields on Health-Related Quality of Life of Patients With Newly Diagnosed Glioblastoma. In: JAMA Oncol., 4 (4), 2018, S. 495–504, doi:10.1001/jamaoncol.2017.5082
Weblinks
Bearbeiten- Dt. Hirntumorhilfe: Tumortherapiefelder: Patientenvertreter fordern eine kontrollierte Studie. In: hirntumorhilfe.de. 10. Mai 2019, abgerufen am 21. Januar 2020.
- ms: Fachgesellschaft warnt vor unrealistischen Hoffnungen bei neuer Glioblastomtherapie. In: aerzteblatt.de. 9. Februar 2018, abgerufen am 21. Januar 2020.
- Hans Diener: Neue Glioblastom-Therapie mit einigen Fragezeichen. In: idw-online.de. 1. Februar 2018, abgerufen am 21. Januar 2020.
- rme: Glioblastom: Elektrische Felder verlängern progressionsfeies Überleben in Erstlinientherapie. In: aerzteblatt.de. 16. Dezember 2015, abgerufen am 29. März 2017.
- Wolfgang Wick: Tumortherapiefelder: Mit Strom gegen das Glioblastom? In: dgn.org. Abgerufen am 29. März 2017.
- optune.de (Herstellerseite)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ A. M. Davies, U. Weinberg, Y. Palti: Tumor treating fields: a new frontier in cancer therapy. In: Ann N Y Acad Sci. 1291, Jul 2013, S. 86–95. doi:10.1111/nyas.12112.
- ↑ M. Pless, U. Weinberg: Tumor treating fields: concept, evidence and future. In: Expert Opin Investig Drugs. 20(8), Aug 2011, S. 1099–1106. doi:10.1517/13543784.2011.583236.
- ↑ E. D. Kirson, Z. Gurvich u. a.: Disruption of cancer cell replication by alternating electric fields. In: Cancer Res. 64 (9), 2004, S. 3288–3295.
- ↑ E. D. Kirson, Y. Dbaly: Alternating electric fields arrest cell proliferation in animal tumor models and human brain tumors. In: Proc Natl Acad Sci. 104(24), 2007, S. 10152–10157.
- ↑ Roger Stupp, Eric T. Wong u. a.: NovoTTF-100A versus physician’s choice chemotherapy in recurrent glioblastoma: A randomised phase III trial of a novel treatment modality. In: European Journal of Cancer. 48, 2012, S. 2192, doi:10.1016/j.ejca.2012.04.011.
- ↑ Roger Stupp, Sophie Taillibert, Andrew Kanner, William Read, David M. Steinberg: Effect of Tumor-Treating Fields Plus Maintenance Temozolomide vs Maintenance Temozolomide Alone on Survival in Patients With Glioblastoma: A Randomized Clinical Trial. In: JAMA. Band 318, Nr. 23, 19. Dezember 2017, ISSN 0098-7484, S. 2306–2316, doi:10.1001/jama.2017.18718 (jamanetwork.com [abgerufen am 24. März 2020]).
- ↑ a b A. F. Hottinger, P. Pacheco, R. Stupp: Tumor treating fields: a novel treatment modality and its use in brain tumors. In: Neuro-oncology. Band 18, Nummer 10, 10 2016, S. 1338–1349, doi:10.1093/neuonc/now182. PMID 27664860, PMC 5035531 (freier Volltext) (Review).
- ↑ M. Mehta, P. Wen, R. Nishikawa, D. Reardon, K. Peters: Critical review of the addition of tumor treating fields (TTFields) to the existing standard of care for newly diagnosed glioblastoma patients. In: Critical Reviews in Oncology/Hematology. 111, 2017, S. 60, doi:10.1016/j.critrevonc.2017.01.005.
- ↑ Medical Devices: NovoTTF-100A System – P100034. U.S. Food and Drug Administration, Aktualisierung vom 6. September 2013.
- ↑ Cancer Trial with Electric Fields. abgerufen am 8. September 2015.
- ↑ Tumour Treating Fields in combination with pemetrexed and cisplatin or carboplatin as first-line treatment for unresectable malignant pleural mesothelioma (STELLAR): a multicentre, single-arm phase 2 trial, doi:10.1016/S1470-2045(19)30532-7
- ↑ R. Stupp, A. Kanner u. a.: A prospective, randomized, open-label, phase III clinical trial of NovoTTF-100A versus best standard of care chemotherapy in patients with recurrent glioblastoma. In: Journal of Clinical Oncology. 2010 ASCO Jahreskongress (Ausgabe nach dem Kongress). Vol 28, No 18_suppl (6/20 Suppl) 2010.
- ↑ Robert Bublak, Wolfgang Wick: Tumortherapiefelder mit längerem Überleben bei Glioblastompatienten assoziiert. In: Im Focus Onkologie. 19, 2016, S. 26, doi:10.1007/s15015-016-2612-0.
- ↑ Gemeinsamer Bundesausschuss: Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (MVV-RL): Tumortherapiefelder beim Glioblastom. Gemeinsamer Bundesausschuss, 20. März 2020, abgerufen am 24. März 2020 (deutsch).
- ↑ Mittel und Gegenständeliste (MiGeL). Bundesamt für Gesundheit, abgerufen am 8. Mai 2021.