1,1-Dimethylhydrazin (abk. UDMH für Unsymmetrisches Dimethylhydrazin) ist das an einem N-Atom zweifach methylierte Hydrazin. Im Gegensatz zum symmetrischen Dimethylhydrazin (1,2-Dimethylhydrazin) sind hier beide Methylgruppen am selben Stickstoffatom gebunden.
Strukturformel | ||||||||||||||||
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Allgemeines | ||||||||||||||||
Name | 1,1-Dimethylhydrazin | |||||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C2H8N2 | |||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
farblose, aminartig riechende Flüssigkeit[1] | |||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||||||
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Eigenschaften | ||||||||||||||||
Molare Masse | 60,10 g·mol−1 | |||||||||||||||
Aggregatzustand |
flüssig[1] | |||||||||||||||
Dichte |
0,78 g·cm−3[1] | |||||||||||||||
Schmelzpunkt | ||||||||||||||||
Siedepunkt |
63 °C[1] | |||||||||||||||
Dampfdruck | ||||||||||||||||
Löslichkeit |
vollständig mischbar mit Wasser[1] | |||||||||||||||
Brechungsindex |
1,4075 (20 °C)[2] | |||||||||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||||||||
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MAK |
Schweiz: 0,5 ml·m−3 bzw. 1,2 mg·m−3[4] | |||||||||||||||
Toxikologische Daten | ||||||||||||||||
Thermodynamische Eigenschaften | ||||||||||||||||
ΔHf0 |
48,9 kJ/mol[6] | |||||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C |
Geschichte
BearbeitenAls Gemisch wird 1,1-Dimethylhydrazin (unter anderem unter der Bezeichnung Aerozin 50) seit den 1950er Jahren wegen seiner guten Lagerfähigkeit als Raketentreibstoff verwendet.[7] Als Oxidationsmittel dient dazu heute meist Distickstofftetroxid; davor wurde oft Salpetersäure verwendet.[8]
siehe auch Langer Marsch (Rakete)#Raketen mit kryogenen Treibstoffen
Darstellung und Gewinnung
BearbeitenDie Herstellung von 1,1-Dimethylhydrazin erfolgt analog der Raschig-Synthese aus Chloramin und Dimethylamin.[9]
Ein zweiter Syntheseweg geht vom Essigsäurehydrazid[S 1] aus, welches im ersten Schritt mit Formaldehyd und Wasserstoff reduktiv alkyliert wird. Eine Hydrolyse ergibt im zweiten Schritt die Zielverbindung.[9]
Eigenschaften
BearbeitenUDMH ist eine farblose, fischartig riechende Flüssigkeit, die bei Normaldruck bei 63 °C siedet.[10] Die molare Verdampfungsenthalpie beträgt am Siedepunkt 32,55 kJ·mol−1.[10] Die Dampfdruckfunktion ergibt sich nach Antoine entsprechend log10(P) = A−(B/(T+C)) (P in bar, T in K) mit A = 4,71316, B = 1388,51 und C = −40,613 im Temperaturbereich von 237,74 bis 293,08 K.[11] Die Dämpfe von 1,1-Dimethylhydrazin können die Haut und die Schleimhäute (Augen, Atemwege) reizen bzw. bei starker Belastung verätzen. Es hat bei 20 °C eine dynamische Viskosität von 0,56·10−3 Pa·s.
Die mittels dynamischer Differenzkalorimetrie bestimmte Zersetzungswärme beträgt −69 kJ·mol−1 bzw. −1150 kJ·kg−1.[12]
Aufgrund seines niedrigen Dampfdrucks und seiner hohen Reaktivität (insbesondere gegenüber Ozon) ist eine weiträumige Verteilung bei Eintrag in die Umwelt nicht zu erwarten; es erfolgt ein schneller Abbau.
Sicherheitstechnische Kenngrößen
Bearbeiten1,1-Dimethylhydrazin bildet leicht entzündliche Dampf-Luft-Gemische. Die Verbindung hat einen Flammpunkt bei −18 °C.[1][13] Der Explosionsbereich liegt zwischen 2 Vol.‑% (50 g/m3) als untere Explosionsgrenze (UEG) und 20 Vol.‑% (490 g/m3) als obere Explosionsgrenze (OEG).)[1] Die Grenzspaltweite wurde mit 0,85 mm bestimmt.[1][13] Es resultiert damit eine Zuordnung in die Explosionsgruppe IIB.[1] Die Zündtemperatur beträgt 240 °C.[1][13] Der Stoff fällt somit in die Temperaturklasse T3.
Verwendung
Bearbeiten1,1-Dimethylhydrazin findet für eine Reihe von Produkten und Prozessen Verwendung. So unter anderem:
- Zur Herstellung von Farbstoffen, Arzneimitteln und Chemiefasern.
- Als Gasabsorptionsmittel für Kohlenstoffdioxid und Schwefeldioxid.
- 1,1-Dimethylhydrazin ist die brennbare Komponente (Heptyl, russ.) flüssiger hypergolischer Raketentreibstoffe, wenn es zusammen mit den Oxidatoren Distickstofftetroxid (Amyl, russ.) oder RFNA (rauchende Salpetersäure, AK-27I oder Mélange, russ.) verwendet wird. Die Trägerrakete Proton verwendet 1,1-Dimethylhydrazin als Treibstoff mehrerer bzw. aller Stufen, was bei Fehlstarts zu Verseuchungen im Absturzgebiet führt. Im 1. Golfkrieg eingesetzte sowjetische Scud-Raketen enthielten je 1000 kg UDMH und 3500 kg RFNA.
- 1,1-Dimethylhydrazin wird nicht nur pur, sondern auch gemischt mit Hydrazin als Raketentreibstoff verwendet.[14] Bekannte Gemische mit verschiedener Konzentration der beiden Bestandteile zueinander sind Aerozin 50[15] und UH 25.
- Im Herbst 2017 wurde UDMH von Experten als Raketentreibstoff in Nordkoreas Nuklearprogramm angenommen.[16]
- Zurzeit wird 1,1-Dimethylhydrazin nur noch in Russland und in der Volksrepublik China in großen Mengen hergestellt.[17]
Physiologie
Bearbeiten1,1-Dimethylhydrazin wird leicht über die Haut aufgenommen und hat sich im Tierversuch als krebserzeugend erwiesen.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b c d e f g h i j k l m n Eintrag zu N,N-Dimethylhydrazin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 20. Januar 2022. (JavaScript erforderlich)
- ↑ Datenblatt 1,1-Dimethylhydrazin bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 5. März 2011 (PDF).
- ↑ Eintrag zu N,N-dimethylhydrazine im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
- ↑ Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte (Suche nach 57-14-7 bzw. 1,1-Dimethylhydrazin), abgerufen am 2. November 2015.
- ↑ a b Datenblatt 1,1-Dimethylhydrazin bei Merck, abgerufen am 8. Oktober 2004.
- ↑ David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Standard Thermodynamic Properties of Chemical Substances, S. 5-23.
- ↑ Alessandro de Iaco Veris: Fundamental Concepts of Liquid-Propellant Rocket Engines. Springer International Publishing, 2020, ISBN 978-3-03054704-2, S. 47 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ DLR - Institut für Raumfahrtantriebe - Fortschrittliche Treibstoffe. Abgerufen am 26. Juni 2023.
- ↑ a b Schiermann, J.-P.; Bourdauducq, P.: Hydrazine, in: Ullmanns Enzyklopädie der Technischen Chemie, Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 2005; doi:10.1002/14356007.a13_177.
- ↑ a b Majer, V.; Svoboda, V.: Enthalpies of Vaporization of Organic Compounds: A Critical Review and Data Compilation, Blackwell Scientific Publications, Oxford, 1985, 300.
- ↑ Aston, J.G.; Wood, J.L.; Zolki, T.P.: The thermodynamic properties and configuration of unsymmetrical dimethylhydrazine in J. Am. Chem. Soc. 75 (1953) 6202–6204, doi:10.1021/ja01120a027.
- ↑ Grewer, T.; Klais, O.: Exotherme Zersetzung - Untersuchungen der charakteristischen Stoffeigenschaften, VDI-Verlag, Schriftenreihe "Humanisierung des Arbeitslebens", Band 84, Düsseldorf 1988, ISBN 3-18-400855-X, S. 9.
- ↑ a b c E. Brandes, W. Möller: Sicherheitstechnische Kenngrößen. Band 1: Brennbare Flüssigkeiten und Gase. Wirtschaftsverlag NW – Verlag für neue Wissenschaft, Bremerhaven 2003.
- ↑ Rudolf Meyer: Explosivstoffe, 6. Auflage, VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim 1985, ISBN 3-527-26297-0, S. 92–93.
- ↑ Rudolf Meyer: Explosivstoffe, 6. Auflage, VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim 1985, ISBN 3-527-26297-0, S. 5.
- ↑ nytimes.com: The Rare, Potent Fuel Powering North Korea’s Weapons. 17. September 2017.
- ↑ Schmucker Robert & Schiller Markus: Raketenbedrohung 2.0: Technische und politische Grundlagen. Mittler Verlag, 2015, ISBN 3-8132-0956-3, S. 84.