Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, ein Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit, ist eines von sieben Verwaltungsgerichten des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
Gerichtssitz und -bezirk
BearbeitenDas Gericht hat seinen Sitz in Gelsenkirchen. Der Gerichtsbezirk umfasst das Gebiet der kreisfreien Städte Bochum, Bottrop, Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Herne sowie das der Kreise Recklinghausen und Unna.
Gerichtsgebäude
BearbeitenDas Gericht residiert seit 1986 in dem denkmalgeschützten Gebäude am Bahnhofsvorplatz 3 in der Gelsenkirchener Altstadt unmittelbar gegenüber dem Hauptbahnhof Gelsenkirchen. Das im Stil des Historismus gestaltete Bauwerk entstand zwischen 1907 und 1910 als Hauptpostamt nach einem Entwurf des auf Postgebäude spezialisierten Verwaltungsarchitekten Karl Buddeberg (1856–1934) und wurde in den 1980er Jahren umfassend restauriert, renoviert und für die Nutzung als Gerichtsgebäude hergerichtet. Die ehemalige Schalterhalle der Hauptpost beherbergt heute die Gerichtsbibliothek.
Richter
Bearbeiten2016 hatte das Gericht 19 Kammern und beschäftigte insgesamt 66 Richterinnen und Richter.[1] Im gleichen Jahr wurden sieben Proberichter neu eingestellt. Zum Jahresbeginn 2017 nahmen drei aus der Zivilgerichtsbarkeit abgeordnete Richter ihre Arbeit auf und im Laufe des Jahres sollten weitere Neueinstellungen erfolgen. Vor allem die seit 2014 stark gestiegene Zahl der asylrechtlichen Streitfälle, die 2016 etwa 60 % der Verfahren ausmachten, führte zu dem Personalbedarf.[2]
Im Dezember 2018 arbeiteten 60 Richterinnen und Richter an 20 Kammern sowie zwei Fachkammern für Personalvertretungsrecht.[3] Jährlich werden von diesen 8.000 Verfahren erledigt.
Präsident des Gerichtes ist seit dem 1. April 2019 Dr. Siegbert Gatawis.[4]
Besondere Zuständigkeiten und bekannte Verfahren
BearbeitenZulassungsregeln für Medizinstudenten
BearbeitenDas Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ist als einziges Gericht bundesweit für alle Verfahren gegen die in Dortmund ansässige Stiftung für Hochschulzulassung (die frühere Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, ZVS) zuständig.[5] In mehreren Verfahren hatte es sich mit der Zulassung zum Medizinstudium in Deutschland zu befassen. Die Richter hielten Teile der Zulassungsregeln für verfassungswidrig, weil viele Bewerber von vornherein ausgeschlossen seien. Im Oktober 2017 kam es auf Initiative des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen zu einem Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) über die Frage, ob das auf einem Numerus clausus basierende bisherige Auswahlverfahren, das zu sehr langen Wartezeiten für viele Studienbewerber führt, einer Prüfung auf Verfassungsmäßigkeit standhält.[6] In seinem Urteil vom 19. Dezember 2017 erkannte der Erste Senat am BVG im derzeitigen System wie die Gelsenkirchener Richter einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und verlangte ein bundesweit standardisiertes System von Eignungstests an Universitäten. Bis zum 31. Dezember 2019 soll der Gesetzgeber eine gesetzliche Neuregelung schaffen.[7]
Rückholung von Sami A.
BearbeitenIm Juli 2018 geriet das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wegen seines Beschlusses zur Rückholung von Sami A. in die Schlagzeilen. Bei Sami A. handelt es sich um einen seit 1997 in Bochum lebenden dschihadistischen Gefährder und früheren Leibwächter von Osama bin Laden.[8][9][10][11] Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts wurde er am 13. Juli 2018[12] „grob rechtswidrig“ in sein Heimatland Tunesien abgeschoben, ohne die gerichtliche Entscheidung darüber abzuwarten und ohne eine verbindliche Zusicherung der tunesischen Regierung einzuholen, dass A. in dem Land keine Folter drohe.[13] Sami A. müsse nach seiner Freilassung durch die tunesischen Behörden ein Visum für die Rückkehr nach Deutschland ausgestellt werden, verfügte das Gericht per Eilentscheidung/Beschluss.[14] Das nordrhein-westfälische Flüchtlingsministerium unter Joachim Stamp (FDP) hat gegen den Beschluss gemeinsam mit der Ausländerbehörde Bochum vor dem Oberverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt.[15][16][17][18][19] Stamp erklärte am 16. Juli 2018, der Beschluss des Verwaltungsgerichts sei erst durch Bekanntgabe ergangen, als Sami A. „seinem Heimatland bereits näher war, als der Bundesrepublik“.[20] Am 27. Juli 2018 ordnete ein Untersuchungsrichter in Tunis A.s Entlassung aus der Untersuchungshaft an. Die Ermittler hätten keine Beweise für seine Verwicklung in Terroraktivitäten gefunden. Es werde weiter ermittelt und A.s Reisepass wurde einbehalten.[21] Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster erklärte: „Wenn die tunesischen Behörden ihn freilassen, dann bricht die Vermutung, dass ihm dort Folter drohe, wie zu erwarten war, zusammen“.[22]
Dieselfahrverbot
BearbeitenEbenso wie im Fall Sami A war die 8. Kammer des VG Gelsenkirchen für ein deutschlandweit viel beachtetes Urteil, diesmal im Bereich der Luftreinhaltung, verantwortlich. Das Gericht ordnete ein Dieselfahrverbot für große Teile der Stadt Essen einschließlich des durch dieses Gebiet führenden Teil der A 40 sowie für eine Straße in Gelsenkirchen an.[23][24]
Übergeordnete Gerichte
BearbeitenÜbergeordnetes Gericht ist das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen. Auf dieses folgt im Instanzenzug das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Siehe auch
BearbeitenWeblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Jahrespressemitteilung. Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 16. Januar 2016, archiviert vom am 17. September 2016; abgerufen am 3. Dezember 2018.
- ↑ Verwaltungsgericht Gelsenkirchen für Bewältigung der Asylverfahren gut aufgestellt. Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 16. Januar 2017, archiviert vom am 27. April 2017; abgerufen am 3. Dezember 2018. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Gerichtsvorstellung. Verwaltungsgericht Gelsenkirchen:, abgerufen am 3. Dezember 2018.
- ↑ Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Führungswechsel beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Abgerufen am 2. August 2022.
- ↑ Medizinstudium: Verwaltungsgericht hält lange Wartezeit für bedenklich. In: Ruhr-Nachrichten vom 26. April 2012, abgerufen am 6. Oktober 2017.
- ↑ Bundesverfassungsgericht prüft Zulassung für Medizinstudium. Berliner Morgenpost, 4. Oktober 2017, archiviert vom am 7. Oktober 2017 . .
- ↑ Hendrik Wieduwilt, Hanna Decker: Numerus clausus für Medizin ist teilweise verfassungswidrig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Dezember 2017, abgerufen am gleichen Tag.
- ↑ WDR 15. Juli 2018: Chronologie: Der Fall Sami A.
- ↑ Spiegel Online 6. August 2012: "Gefährlicher Prediger". Ex-Leibwächter von Bin Laden lebt unbehelligt in Bochum
- ↑ Spiegel Online 6. September 2012: Staatliche Unterstützung. 20.000 Euro für den Ex-Leibwächter von Bin Laden
- ↑ Spiegel Online 24. April 2018: Salafist Sami A. . Ex-Leibwächter von Bin Laden erhält seit 2008 staatliche Leistungen
- ↑ Sascha Lübbe: Wenn Politik und Rechtsstaat kollidieren. In: Zeit online. 17. Juli 2018, abgerufen am 22. Juli 2018.
- ↑ Verwaltungsgericht Gelsenkirchen 13. Juli 2018: Zeitlicher Ablauf der gerichtlichen Verfahren um die Abschiebung eines als Gefährder eingestuften Tunesiers
- ↑ Verwaltungsgericht Gelsenkirchen – Beschluss vom 13. Juli 2018 – Az.: 8 L 1315/18
- ↑ Oberverwaltungsgericht für das Land NRW 18. Juli 2018: Pressemitt.: Beschwerde im Fall des nach Tunesien abgeschobenen Sami A. eingegangen
- ↑ LTO 18. Juli 2018: Stadt Bochum legt Beschwerde gegen Entscheidung des VG Gelsenkirchen ein. NRW will Rückkehr von Sami A. verhindern
- ↑ Die Zeit 18. Juli 2018: Abschiebung von Sami A.: Stadt Bochum legt Beschwerde gegen Rückholung von Gefährder ein
- ↑ Tunesische Justiz beharrt auf Zuständigkeit für Sami A. In: Die Welt, 14. Juli 2018, abgerufen am gleichen Tag.
- ↑ Was lief schief im Fall Sami A.? In: Süddeutsche Zeitung, 14. Juli 2018, abgerufen am gleichen Tag.
- ↑ Statement des Flüchtlingsministers Joachim Stamp zur Rückführung von Sami A. | Chancen NRW. Abgerufen am 25. Juli 2018.
- ↑ zeit.de, siehe auch zeit.de / Martin Gehlen: Gefährder gefährden jetzt Tunesien
- ↑ Die Welt, Abgeschobener Sami A. kommt aus tunesischer Haft frei, 27. Juli 2018
- ↑ Essen: Zonales Fahrverbot unter Einschluss der A 40 in weiten Teilen des Essener Stadtgebiets ab Juli 2019. Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 15. November 2018, abgerufen am 3. Dezember 2018.
- ↑ Gelsenkirchen: Fahrverbot auf der Kurt-Schumacher-Straße ab Juli 2019. Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 15. November 2018, abgerufen am 3. Dezember 2018.
Koordinaten: 51° 30′ 21,6″ N, 7° 6′ 9,8″ O