Wang Weiyi

chinesischer Arzt des 11. Jahrhunderts

Wang Weiyi (chinesisch 王 惟一, Pinyin Wáng Wéiyī); * ca. 987; † 1067, auch Wang Weide (chinesisch 王 惟德, Pinyin Wáng Wéidé), war ein chinesischer Arzt, der zwei Kaisern der Song-Dynastie diente und sich durch seine Entwicklung von Akupunkturmodellen aus Bronze und eines dazugehörigen Handbuchs historisch bleibende Verdienste erwarb.

Holzschnitt aus einer mingzeitlichen Edition (1443) von Wangs Buch
Replika einer mingzeitlichen Bronzefigur

Leben und Wirken

Bearbeiten

Über Wangs Jugend und frühen Werdegang ist nichts bekannt. Im Laufe seiner Karriere stieg er zum wichtigsten Arzt an der Hanlin-Akademie (chinesisch 翰林院, Pinyin Hànlín yuàn) im Titularrang eines Chaosan Dafu (chinesisch 朝散大夫, Pinyin Cháosàn dàfū) auf.

Die Entwicklungsgeschichte der chinesischen Akupunktur zog sich über einen langen Zeitraum hinweg und zeigt neben Fortschritt auch Stillstand und Rückschritt. Zu Wangs Zeiten herrschte kein klares Bild hinsichtlich der Zahl, Lage und Nutzung der Akupunktur- und Moxa-Punkte. Überdies war das Ansehen der Akupunktur seit der Tang-Zeit, besonders infolge der ablehnenden Schriften der Arztes Wang Xi (chinesisch 王 燾, Pinyin Wáng Xī, 670–755), gesunken. Im vierten Jahr seiner Regierung – nach westlichem Kalender das Jahr 1026 – erließ dann Kaiser Renzong ein Edikt zur Wiederbelebung und Ordnung dieser Therapie.

Der mit dieser Aufgabe betraute Wang Weiyi schuf lebensgroße Bronzefiguren, die er nach intensiven Studien des Schrifttums mit 354 autorisierten Therapiepunkten versah. Auf der Oberfläche waren vierzehn Leitbahnen (Meridiane) eingraviert. Jeder Punkt war hier im ursprünglich Sinne des chinesischen Terminus jīngxué (chinesisch 经穴) ein Loch. Im Inneren der Figur befanden sich Organe und ein hölzernes Skelett. Überlieferten Beschreibungen zufolge versiegelte man bei Prüfungen die gesamte Figur mit gelbem Wachs und füllte sie mit Wasser, anderen Quellen zufolge mit Quecksilber. Wenn man den betreffenden Punkt mit der Nadel korrekt traf, quollen ein paar Tropfen hervor.[1] Das Konzept der Akupunkturpuppen war nicht neu. Wie archäologische Funde zeigen, gab es schon in der Frühen Han-Dynastie lackierte Figuren,[2] doch Wangs Kreationen waren lebensgroß und daher weitaus präziser. In der Folge dieser Pioniertat entstanden weitere Figuren.

Für seine Bronzemodelle verfasste Wang 1029 ein „Illustriertes Handbuch für das Nadeln und Brennen der Behandlungspunkte, gezeigt an der Bronzefigur“ (chinesisch 铜人腧穴针灸图经, Pinyin Tóngrén shùxué zhēnjiǔ tújīng). Im folgenden Jahr überwachte er die Herstellung von Steintafeln, in die dieser Text eingraviert war. Sie wurden in einem Tempel in Kaifeng (seinerzeit Bianjing, chinesisch 汴京, Pinyin Biànjīng) aufgestellt, sodass sich Interessenten Abriebe anfertigen konnten. Diese Tafeln fielen jedoch später kriegerischen Auseinandersetzungen zum Opfer.[3] Von den 1443 erneut errichteten Tafeln sind nach deren Zerstörung gegen Ende der Ming-Zeit heute nur je zwei Abriebe in China und Japan erhalten.[4] Der vom Kaiserlichen Hofamt in Tokyo aufbewahrte Abrieb ist digitalisiert zugänglich.[5]

Wang war auch an einer revidierten Ausgabe des hanzeitlichen Klassikers Nan Jing (chinesisch 黃帝八十一难经, Pinyin Huángdì bāshíyī nán jīng) beteiligt.[6]

Frühe europäische Rezeption

Bearbeiten

Wangs „Illustriertes Handbuch für das Nadeln und Brennen der Behandlungspunkte, gezeigt an der Bronzefigur“ spielte auch in der Frühphase der europäischen Beschäftigung mit der Akupunktur ein wichtige Rolle. Als sich der niederländische Arzt Willem ten Rhijne 1674 zwei Jahre auf der niederländischen Handelsstation Dejima in Japan aufhielt, gelangte er an ein Exemplar dieses Buchs – entweder an eine der mingzeitlichen chinesischen Ausgaben oder einen japanischen Nachdruck.

 
Icon Sinensis, chinesische Leitbahn-Tafel in Ten Rhijnes Mantissa Schematica, 1683.

Ten Rhijne ließ sich den Text von den beiden japanischen Dolmetschern Motoki Shōdayu und Iwanaga Sōko übersetzen bzw. erklären. Die nach seinem eigenen Eingeständnis wegen der sprachlichen und inhaltlichen Barrieren etwas wirren Resultate seiner mühseligen Erkundungen veröffentlichte er 1683 in einem in London gedruckten Sammelband: „Dissertatio de Arthritide: Mantissa Schematica: De Acupunctura: Et Orationes Tres“. Der erste Beitrag, die „Dissertatio de Arthritide“, greift das von dem in Batavia tätigen Pfarrer Hermann Buschoff publizierte erste westliche Buch zur Moxibustion auf. Ten Rhijne gibt hier aus der Sicht eines medizinischen Fachmanns erstmals detaillierte Informationen über die Moxibustion in Japan. Die hierauf folgende „Mantissa Schematica“ stellte erstmals chinesische und japanische Illustrationen der Leitbahnen für das Nadeln und Brennen vor. Allerdings interpretierte Ten Rhijne die Linien auf den Figuren als Arterien und Venen und hat daher auch große Mühe, den Zusammenhang zwischen dem Ort des Leidens (locus dolendi) und dem Ort der Therapie zu verstehen. Die sich dieser Abhandlung anschließende Arbeit ist die älteste ausführliche westliche Beschreibung des Nadelstechens. Mit ihr führte Ten Rhijne den Begriff Acupunctura (lat. acus, Nadel; pungere, stechen) in den europäischen Wortschatz ein.[7]

Zur Rezeption von Wangs Bronzefigur und seines Handbuchs

Bearbeiten

Die erste Ausgabe des Handbuchs von 1027 ist verschollen. Während der Jin-Dynastie (1125–1234) erschien eine erweiterte Ausgabe (chinesisch 王惟一《〔新刊补注〕铜人腧穴鍼灸図経》), die ebenfalls nicht erhalten ist. Sie wurde während der Yuan-Dynastie (1279–1368) mindestens einmal nachgedruckt. Dieser Druck ist heute digitalisiert zugänglich. Ein mingzeitlicher Druck enthält ein Vorwort des Kaisers Yingzong.

  • Wáng Wéiyī: Tóngrén shùxué zhēnjiǔ tújīng. Míng-Ausgabe, Vorwort des Ming Kaisers Yingzong (chinesisch 王惟一《铜人腧穴针灸图经》,明书林宗文堂绣梓本,明英宗御制序)

Wangs Werk wurde auch im benachbarten Königreich Korea rezipiert. Hier druckte man vier Mal eine Ausgabe der Yuan-Dynastie nach.[8] In Japan erschien 1654 ein Nachdruck der Ausgabe aus der Ming-Zeit.[9] Mitte des 20. Jahrhunderts publizierte man in Beijing einen modernen Nachdruck.

  • Wáng Wéiyī: Tóngrén shùxué zhēnjiǔ tújīng. Rénmín wèishēng chūbǎnshè, Beijing, 1956 (chinesisch 王惟一《铜人腧穴针灸图经》,北京:人民卫生出版社)

Eine Ende des 18. Jahrhunderts in Japan von dem Arzt Yamazaki Sōun (山崎 宗運, 1761–1834) auf Anordnung der Regierung (Bakufu) angefertigte Figur wird heute im Nationalmuseum Tokio aufbewahrt.[10]

Literatur

Bearbeiten
  • Carruba, R. W. / Bower, J. Z.: The Western Worlds First Detailed Treatise on Acupuncture; Wilhelm ten Rhijne's De Acupunctura. In: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, 29 (1974), 371–398.
  • Huang Longxiang: Reading Visual Imagery and Written Sources on Acupuncture and Moxibustion. In: Vivienne Lo, Penelope Barrett, David Dear, Lu Di, Lois Reynolds, Dolly Yang: Imagining Chinese Medicine. Brill, 2018, 161–166; (Digitalisat)
  • Keiraku chiryō kenkyūkai (hrsg.): Seitō ishizuri dōjin zukyō. Keiraku chiryō kenkyūkai, Tokyo, 1974, 6–9 (経絡治療研究会『正統石本銅人図経』)
  • Kosoto, Hiroshi: Tōhaku dōningyō no seisakusha oyobi nendai ni tsuite – Bakufu-ikan Yamazaki-shi no jiseki. In: Nihon Ishigaku Zasshi, 35 (1989), 140–142. (小曽戸洋「東博銅人形の製作者および年代について-幕府医官山崎氏の事跡」『日本医史学雑誌』; (Digitalisat)
  • Lu, Gwei-Djen / Needham, Joseph: Celestial Lancets. A History & Rationale of Acupuncture & Moxa. Cambridge, 1980.
  • Maruyama, Toshiaki: Shinkyū koten nyūmon. Kyoto, Shibunkaku Shuppan, 1987. (丸山敏秋『鍼灸古典入門―中国伝統医学への招』思文閣出版)
  • Mayanagi, Makoto: Edo-ki torai no Chūgoku-isho to sono wakoku. In: Yamada Keiji / Kuriyama (hrsg.): Rekishi no naka no yamai to igaku. Kyoto, Shibunkaku Shuppan, 1997, S. 301–340 (真柳誠「江戸期渡来の中国医書とその和刻」、山田慶兒・栗山茂久『歴史の中の病と医学』思文閣出版)
  • Mayanagi, Makoto: Keiketsu bui hyōjunka no rekishiteki igi. In: Shōkai keiketsu bui kanzen gaido. Tokyo Ishiyaku Shuppan, 2009, 411–422 (真柳誠「経穴部位標準化の歴史的意義」、第二次日本経穴委員会『詳解・経穴部位完全ガイド/古典からWHO標準へ』 医歯薬出版) Webseite
  • Michel, Wolfgang: Willem ten Rhijne und die japanische Medizin (I). In: Dokufutsu Bungaku Kenkyū, 39 (1989), 75–125. (Digitalisat)
  • Michel, Wolfgang: Willem ten Rhijne und die japanische Medizin (II) - Die Mantissa Schematica. In: Dokufutsu Bungaku Kenkyū, 40 (1990), 57–103. (Digitalisat)
  • Unschuld, Paul U.: Medicine in China. A History of Ideas. Berkeley/Los Angeles/London, 1985.
  • Wei, Jia: Wáng Wéiyī duì zhēnjiǔxué de wěidà gòngxiàn. In: Zhōng yīyào xuébào, 3 (1982), 11–14 (chinesisch 魏稼:《王惟一对针灸学的伟大贡献》,《中医药学报》)
Bearbeiten

Einzelnachweise und Anmerkungen

Bearbeiten
  1. Lu / Needham (1980), S. 131ff.
  2. Mayanagi (2009)
  3. Lu / Needham (1980), S. 133
  4. Lu / Needham (1980), S. 134; Maruyama (1987), S. 162f.
  5. https://kotenseki.nijl.ac.jp/biblio/100231700 Database of Pre-Modern Japanese Works
  6. Ein japanischer Nachdruck dieser Version wurde 1652 in Kyoto gedruckt Ō Kanrin shicchū Kōtei hachijūichi nankei. Kyōto, 1652 (王翰林集註黄帝八十一難経』武村市兵衛、慶安5年)
  7. Carruba / Bower (1974); Michel (1989), (1990)
  8. Mayanagi (2009)
  9. Maruyama (1987), S. 164; Mayanagi (1997), S. 321; Mayanagi (2009)
  10. Archivnummer (C-543). Mehr bei Kosoto (1989); siehe auch Fotos