Werkstatt des Ludwig Henfflin
Die Werkstatt des Ludwig Henfflin war eine schwäbische Schreiberwerkstatt des 15. Jahrhunderts. Aus dieser Werkstatt sind im Handschriftenbestand der Codices Palatini germanici aus der ehemaligen kurfürstlich-pfälzischen Bibliotheca Palatina mehrere deutschsprachige illuminierte Handschriften überliefert, die alle in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt sind.
Name der Werkstatt, Ort und Zeit der Tätigkeit
BearbeitenÜber die Werkstatt des Ludwig Henfflin gibt es keine eigenständige historische Überlieferung. Die Benennung geht zurück auf eine Analyse Hans Wegeners, der bei seiner Katalogisierung der spätmittelalterlichen Bilderhandschriften der Heidelberger Universitätsbibliothek 1927 den Werkstatt-Zusammenhang bestimmter Codices feststellte und unter diesem Namen in die Forschung einführte.[1] Die Bezeichnung beruht demnach auf der Selbstnennung eines Schreibers als Lud.[wig] Hennfflin auf der letzten Seite einer einzelnen Handschrift, der Sigenot-Handschrift Cod. Pal. germ. 67, Blatt 102r.[2]
Auch zur zeitlichen Einordnung gibt es im Handschriftenbestand der Codices Palatini germanici nur eine einzelne Angabe: Auf Blatt 14r der Handschrift Cod. Pal. germ. 17 findet sich im Innern des Illustrationsrahmens die Angabe 1477 zu Füßen der Figuren.[3]
Wegener folgend war die Werkstatt vermutlich in Stuttgart ansässig, der Residenzstadt der Grafen von Württemberg. Auftraggeberin der Handschriften war Margarethe von Savoyen (1420–1479), seit ihrer dritten Heirat 1453 mit Ulrich V. Gräfin von Württemberg-Stuttgart; beider Wappen finden sich in mehreren der zuzuordnenden Handschriften.[4] Vermutlich war die Werkstatt Henfflin demnach zwischen etwa 1470 und 1479 für Margarete tätig; weder früher noch später sind Zeugnisse weiterer Aktivitäten bisher nachgewiesen (Stand 2020).
Dass alle Handschriften der Werkstatt Henfflin letztlich in die Bibliotheca Palatina in Heidelberg gelangten, ist mit dem wechselvollen Lebensweg der Auftraggeberin zu erklären. Margarete von Savoyen war in zweiter Ehe mit dem pfälzischen Kurfürsten Ludwig IV. verheiratet, vermutlich erbte das einzige Kind aus dieser Ehe, Kurfürst Philipp von der Pfalz, die Handschriften nach Margaretes Tod 1479.[5]
Die Illustrationen
BearbeitenHans Wegener, 1927 der Entdecker des Werkstatt-Zusammenhangs, konnte den Illustrationen der Werkstatt Henfflin kaum Wert zumessen; aus seiner Sicht waren die kolorierten Zeichnungen „sorgfältig, aber sehr temperament- und phantasielos“ ausgeführt, ihn überraschen „einzelne Szenen […] durch die Primitivität der Darstellung“, die Qualität des Zeichners und der Zeichnungen ist für ihn „recht unbedeutend“.[6]
Die neuere Forschung hebt dagegen den unterhaltenden Charakter der Bildfolgen und die Anschaulichkeit der Darstellungen hervor, sieht auch das Bemühen um Perspektive gegenüber früheren elsässischen Illustratoren und betont die Richtigkeit der Proportionen bei der Figurendarstellung. Nur die Mimik wird als „weitgehend ausdruckslos“ bezeichnet, häufig zeigen die Gesichter „eine nicht zum Text passende Fröhlichkeit“.[7] Als Besonderheit der Zeichnungen wird außerdem deren moderner narrativer Charakter beschrieben und der Detailreichtum der Darstellungen. Der Illustrator der Werkstatt Henfflin entwarf regelrecht „Illustrationszyklen“ und bediente sich vielfach des Kunstgriffs der „simultanen Illustration“, indem er aufeinander folgende Situationen einer Geschichte in einer einzigen Darstellung parallel abbildete.[8] Die moderne Digitalisierung der Handschriften vermittelt solche Illustrierung als eine Art „Daumenkino des Mittelalters“.[9][10]
Überlieferte Handschriften
BearbeitenAlle neun Handschriften, die der Werkstatt Henfflin zugeordnet werden können, sind vollständig digitalisiert als Internet-Veröffentlichung der Universitätsbibliothek Heidelberg greifbar. Im Einzelnen:[11][12]
- eine dreiteilige Bibel-Handschrift, Abschrift des Alten Testaments aus der 1466 erstmals gedruckten Mentelin-Bibel:
- Cod. Pal. germ. 16 (Inhalte: Bücher Mose, Josua, Richter und Rut.)[13]
- Cod. Pal. germ. 17 (Inhalte: Bücher Samuel, Könige, Paralipomenon I und II, Esra, Tobias, Judit, Ester und Hiob)[14]
- Cod. Pal. germ. 18 (Inhalte: Psalter, Parabole, Ecclesiastes, Cantica canticorum, Sapienta, Ecclesiasticus, Propheten)[15]
- Cod. Pal. germ. 67 (Inhalt: Jüngerer Sigenot)[16]
- Cod. Pal. germ. 76 (Inhalt: Johannes von Tepl: Der Ackermann aus Böhmen)[17][18]
- Cod. Pal. germ. 142 (Inhalt: Pontus und Sidonia)[19]
- Cod. Pal. germ. 152 (Inhalt: Elisabeth von Nassau-Saarbrücken: Herpin)[20]
- Cod. Pal. germ. 345 (Inhalte: Lohengrin und Friedrich von Schwaben)[21]
- Cod. Pal. germ. 353 (Inhalt: Die Heidin)[22][23]
Literatur
Bearbeiten- Hans Wegener: Die Werkstatt des Ludwig Hennfflin. In: Hans Wegener: Beschreibendes Verzeichnis der deutschen Bilder-Handschriften des späten Mittelalters in der Heidelberger Universitäts-Bibliothek. Verlagsbuchhandlung J. J. Weber, Leipzig 1927, S. 71–72 (Digitalisat).
- Johannes Schnurr: Daumenkino des Mittelalters. Wie 600 Jahre alte Bilder im Computer das Laufen lernten. In: Die Zeit 16/2004, 7. April 2004.
- Pia Rudolph: Buchkunst im Zeitalter des Medienwandels. Die deutschsprachigen Bibelcodices der Henfflin-Werkstatt vor dem Hintergrund der spätmittelalterlichen Ikonographie. ART-Dok, Heidelberg 2009, zur Werkstatt besonders S. 3–9 (=Veröffentlichung der Magisterarbeit 2008, KU Eichstätt-Ingolstadt, ART-Dok-Zugang, Volltext Online (PDF), beides Webpräsenz der Universitätsbibliothek Heidelberg).
- Henrike Lähnemann: From Print to Manuscript. The case of a manuscript workshop in Stuttgart around 1475. In: M. C. Fischer / W. A. Kelly (Hrsg.): The Book in Germany. Merchiston Publishing, Edinburgh 2010, ISBN 978-0-9553561-6-2, S. 17–34 (Online (PDF; 733 KB)).
Weblinks
Bearbeiten- Ulrike Spyra, Maria Effinger: Schwäbische Werkstatt des Ludwig Henfflin, Überblick und Auswahl-Bibliografie, Webpräsenz Universitätsbibliothek Heidelberg, 03/2012.
Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Hans Wegener: Die Werkstatt des Ludwig Hennfflin. In: Beschreibendes Verzeichnis … Leipzig 1927, S. 72 (Digitalisat; abgerufen am 2. April 2020). Wegener schreibt noch „Hennfflin“; die Forschung ist seither zur Schreibung mit einem „n“ übergegangen.
- ↑ s. Digitalisat Cpg 67, 102r, UB-Heidelberg; abgerufen am 28. März 2020.
- ↑ Ulrike Spyra, Maria Effinger: Schwäbische Werkstatt des Ludwig Henfflin, UB-Heidelberg 03/2012; vgl. Digitalisat Cpg 17, 14r, UB-Heidelberg; beides abgerufen am 28. März 2020.
- ↑ Ulrike Spyra, Maria Effinger: Schwäbische Werkstatt des Ludwig Henfflin, UB-Heidelberg 03/2012; abgerufen am 28. März 2020.
- ↑ Hans Wegener: Die deutschen Bilderhandschriften des späten Mittelalters in der Heidelberger Universitätsbibliothek. In: Beschreibendes Verzeichnis … Leipzig 1927, S. VII (Digitalisat; abgerufen am 2. April 2020).
- ↑ alle Zitate aus Wegeners Beschreibung der Bibelhandschrift Cod. Pal. germ. 16 auf den „Zeichner A“ bezogen, von dem fast alle Illustrationen der neun Handschriften stammen. Hans Wegener: Die Werkstatt des Ludwig Hennfflin. In: Beschreibendes Verzeichnis … Leipzig 1927, S. 75–76 (Digitalisat; abgerufen am 2. April 2020).
- ↑ Ulrike Spyra, Maria Effinger: Schwäbische Werkstatt des Ludwig Henfflin, UB-Heidelberg 03/2012; abgerufen am 28. März 2020.
- ↑ Ulrike Spyra, Maria Effinger: Cod. Pal. germ. 16-18: Dreibändige Bibel, AT, deutsch, UB-Heidelberg 03/2012; abgerufen am 28. März 2020.
- ↑ Johannes Schnurr: Daumenkino des Mittelalters. Wie 600 Jahre alte Bilder im Computer das Laufen lernten. In: Die Zeit 16/2004, 7. April 2004; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Eine Präsentation von Bildern der Handschrift Cod. Pal. germ. 67 als „Daumenkino“-Trickfilm geben Spyra/Effinger: Codex Palatinus germanicus 67: Das Heldenepos 'Sigenot' (Abschnitt Daumenkino), UB-Heidelberg, 09/2008; abgerufen am 7. April 2020.
- ↑ folgt Ulrike Spyra, Maria Effinger: Schwäbische Werkstatt des Ludwig Henfflin, UB-Heidelberg 03/2012; abgerufen am 28. März 2020.
- ↑ Darüber hinaus wurde die Zugehörigkeit von Cod. Pal. germ. 143 zur Gruppe der Henfflin-Handschriften diskutiert (so Henrike Lähnemann, Margarethe von Savoyen in ihren literarischen Beziehungen, Encomia-Deutsch, Berlin 2002, S. 170, FN 20 (online (PDF)), unter Verweis auf Brigitte Schöning, Friedrich von Schwaben, Aspekte des Erzählens […] Erlangen 1991, S. 56–57). Dies ließ sich aber letztlich nicht bestätigen (s. Henrike Lähnemann, From Print to Manuscript, Edinburgh 2010, S. 17–18, FN 4 (online (PDF)), sowie Karin Zimmermann, Beschreibung im Katalog der UB-Heidelberg, Cod. Pal. germ. 143, Herkunft, Wiesbaden 2003, S. 314–315 (Digitalisat)). Weblinks abgerufen am 11. April 2020.
- ↑ Cpg 16, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Cpg 17, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Cpg 18, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Cpg 67, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Cpg 76, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Cod. Pal. germ. 76 wurde von Wegener 1927 noch nicht zum Henfflin-Corpus geordnet, sondern die Zuordnung geht auf die Heidelberger Forschungen anlässlich der Digitalisierung der Codices Palatini germanici zurück, s. Spyra/Effinger: Schwäbische Werkstatt …, UB-Heidelberg 03/2012. Zu möglichen Vorbehalten s. Pia Rudolph: Buchkunst im Zeitalter des Medienwandels. S. 5, besonders FN 11 (ART-Dok 2009, PDF), Webpräsenz UB-Heidelberg; Weblinks abgerufen am 28. März 2020.
- ↑ Cpg 142, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Cpg 152, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Cpg 345, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Cpg 353, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.
- ↑ Die ursprüngliche Reihenfolge der Blätter dieser Handschrift Cpg 353 ist bei Bindearbeiten zerstört worden (s. wissenschaftliche Beschreibung von Karin Zimmermann: Cod. Pal. germ. 353 (PDF), UB-Heidelberg 2007; abgerufen am 2. April 2020.) Hierdurch stimmen Erzählzusammenhänge bei Text und Illustrationen nicht mehr. Eine digitale Rekonstruktion der UB-Heidelberg mit der korrekten Reihenfolge der Blätter ist greifbar unter Cpg 353, Rekonstruktion, Startseite des Digitalisats, Heidelberger historische Bestände – digital, UB-Heidelberg; abgerufen am 2. April 2020.