Wiedenbrücker Kreuztracht
Als Wiedenbrücker Kreuztracht wird eine Karfreitagsprozession in Wiedenbrück, einem Stadtteil von Rheda-Wiedenbrück, in Ostwestfalen bezeichnet. Bei der Kreuztracht, einer frommen Übung, zieht eine Prozession durch die Altstadt von Wiedenbrück, die den Kreuzweg Jesu Christi zur Hinrichtungsstätte nach Golgota nachempfindet.
Geschichte
BearbeitenDie Kreuztracht wurde 1663 von den Franziskanern, die seit 1644 in Wiedenbrück einen Konvent haben, nach Wiedenbrück gebracht.[1] Von ihnen wurde sie seitdem mit nur wenigen Unterbrechungen (u. a. während des Zweiten Weltkriegs) bis 2020, dem Weggang der Franziskaner aus Wiedenbrück, durchgeführt. Seitdem obliegt die Durchführung dem Pfarrverband Reckenberg.
Traditionell sind die Darsteller ebenso wie deren Beweggründe für die Teilnahme an der Prozession nur wenigen Personen im Kloster bekannt. Gemutmaßt wird, dass zumindest in früherer Zeit auch Personen das Kreuz auf sich luden, die damit eine persönliche Schuld abtragen wollten. In diesem Zusammenhang halten sich bis in die jüngste Zeit Gerüchte, unter den Kreuzträgern befänden sich gelegentlich ehemalige Strafgefangene, die Buße tun wollten.[2]
In jüngster Zeit nehmen auch Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien, die in Wiedenbrück seit mehr als einem Jahrzehnt eine Gemeinde bilden, an der Prozession teil. Mit Gesängen aus der orthodoxen Liturgie gestalten dabei Mädchen und Jungen der Gemeinde eine Station der Prozession.
Die Kreuztracht und die Karfreitagsliturgie
BearbeitenDie Prozession ist in Wiedenbrück in die Liturgie des Triduum Sacrum eingebunden. Am Karfreitag beginnt am frühen Nachmittag in der Klosterkirche der Franziskaner die Feier vom Leiden und Sterben Christi. Bestandteil dieser Feier ist unter anderem der Vortrag der Passion aus dem Evangelium nach Johannes. Diese mit verteilten Rollen gelesene Perikope handelt von dem überlieferten Verhör Jesu durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus (Joh 18,1–19,42 EU). Pilatus ließ Jesus durch die Soldaten geißeln, die ihn zum Spott als „König der Juden“ verhöhnten, mit einem Purpurgewand kleideten und ihn mit einer Dornenkrone „krönten“. Das Verhör endet mit der Überantwortung Jesu an den Sanhedrin. Der Überlieferung nach schließt sich hieran der Kreuzweg Jesu durch Jerusalem nach Golgota an. Dieser wird durch die Kreuztracht nachempfunden. (Joh 19-16-28 EU).
Nach der Prozession schließen sich sowohl in der Klosterkirche als auch in der nahen St.-Aegidius-Pfarrkirche die weiteren Bestandteile der Karfreitagsliturgie an.
Zeitplan und Prozessionsweg
Bearbeiten- 13:00 Uhr: Beginn der Liturgie vom Leiden und Sterben Christi
- ca. 13:30 Uhr: Auszug zur Kreuztracht aus der Marienkirche beginnend ab der Klosterkirche Kreuzung Mönch-/Wasserstraße und Rietberger Straße
- ca. 14:30 Uhr Fortsetzung der Liturgie vom Leiden und Sterben Christi in der Marienkirche
Abweichend vom obigen Plan beginnt für die Mitglieder des Chores, bei dem Neueinsteiger willkommen sind, um 12:45 Uhr im Gemeindesaal der Pfarrgemeinde St. Aegidius die Probe der Gesänge zur Prozession. Der Prozessionsweg verläuft durch die Wiedenbrücker Altstadt. Durch die Teilnahme der syrisch-orthodoxen Christen (s. Geschichte) hat er in den letzten Jahren gelegentlich eine Veränderung erfahren, um das etwas außerhalb der Innenstadt liegende Gemeindezentrum der Partnergemeinde einzubeziehen.
Reihenfolge der Teilnehmer
BearbeitenTrotz der langen Tradition der Prozession gab es in der Reihenfolge der teilnehmenden Gruppen immer wieder Veränderungen. Derzeit zieht sie in der folgenden Reihenfolge durch die Straßen Wiedenbrücks:
- Messdiener
- Chor der Gemeinde
- Darsteller des Jesus und Simons von Cyrene, begleitet von den Franziskanern und sieben traditionell in Schwarz gekleidete Männer aus der Gemeinde. Diese halten die einen Stab mit Trauerflor. Simon von Cyrene wird in der Perikope nach Johannes nicht erwähnt, jedoch in Mt 27,32 EU.
- Gruppe von Kindern in einfachen Kostümen mit Leidenswerkzeugen und Spruchbannern. Die Kindergruppe symbolisieren das Volk und die Soldaten bei der Kreuzigung. Die Banner zeigen Bibelstellen aus den Kreuzigungsperikopen, etwa „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ (Mt 27,25 EU) oder „Kreuzige ihn!“ (Joh 19,15 EU).
- weitere Messdiener
Chormusik
BearbeitenEin Chor, bestehend unter anderem aus Sängern des Kirchenchors der Gemeinde St. Aegidius, Wiedenbrück, der Nachbargemeinden, des Männergesangvereins „Hoffnung“, begleitet die Prozession mit Gesängen wie zum Beispiel den Improperien und dem Stabat mater. Aus dem Düsseldorfer Jesuitengesangbuch Geistliche Übungen bey der Heiligen Mission von 1759 stammt die gesungene Litanei Vater von dem Himmelsthron:
- V: Vater von dem Himmelsthron
- A: Sieh’ auf uns erbarme dich.
- V: Jesu Christe Gottes Sohn
- A: Sieh’ auf uns erbarme dich.
- V: Geist, du Quell’ der Heiligkeit
- A: Sieh’ auf uns erbarme dich.
- V: Heiligste Dreifaltigkeit
- A: Sieh’ auf uns erbarme dich.
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Des Weiteren wird noch gesungen:
- Sei heil’ges Kreuz gegrüsset,
- an dem mein Gott gebüßet,
- an welchem mein Verlangen
- mein Heiland hat gehangen.
Bei den sieben Stürzen Jesu unter dem Kreuz stimmen die Männerstimmen den Ruf O crux, ave, spes an. Dieser ist Teil des um 600 entstandenen Hymnus Vexilla regis, des Venantius Fortunatus und wird dreimal in steigender Tonhöhe wiederholt. Eine Notation des Rufs wurde in den Diözesanteil des Gotteslob für das Erzbistum Paderborn aufgenommen.
- youtube.com: „Vater von dem höchsten Thron“, Bistum Aachen (in geringen Details geänderte Version des „Vater von dem Himmelsthron“)
Kreuztrachten an anderen Orten
BearbeitenAuch andere Orte in Westfalen kennen die Tradition der Kreuztracht:[2]
- Bad Driburg-Pömbsen (Kreis Höxter)
- Brakel-Gehrden (Kreis Höxter)
- Delbrück (Kreis Paderborn)
- Menden (Sauerland) (Märkischer Kreis)
- Sundern-Stockum (Hochsauerlandkreis)
- Coesfeld (Kreis Coesfeld) und
- Hörstel-Bevergern (Kreis Steinfurt)
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Kreuztracht: LWL-Volkskundler zeichnen Entwicklung von Bußprozessionen nach. Abgerufen am 18. April 2014.
- ↑ a b Artikel über die Arbeit von Volkskundlern des LWL zur Karfreitagsprozession (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
Koordinaten: 51° 50′ 6″ N, 8° 18′ 39,2″ O